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Nachruf auf Peggy ParnassEine herzensgrantige Botschafterin des anderen Hamburg

Kompromisslose Antifaschistin und Ikone der linken Szenen: Die Publizistin und Schauspielerin Peggy Parnass ist mit 97 Jahren gestorben.

Museum der Vollgestelltheit mit tannengrünen Wänden: Peggy Parnass 2019 in ihrem Refugium in St. Georg Foto: Miguel Ferraz

Hamburg taz | Es war wohl vor fünf Jahren, da war sie damit einverstanden, dass es nicht mehr geht. Dass ein Leben in ihrer Wohnung in einem St. Georger Hinterhof an der Langen Reihe nicht mehr zu bewältigen ist. Ihre Zimmer, ihre Küche: ein Museum der Vollgestelltheit, akkurat auf ihre Art gehalten, überall Fotografien von Menschen, denen sie im Laufe ihres Lebens begegnet ist, viel Prominenz dabei.

Männer wie Udo Lindenberg zuvörderst, auch die Beatles, denen sie in den frühen Sechzigern in der Großen Freiheit begegnete, der Dichter Peter Rühmkorf und viele andere, die zur linken Zeitgenossenschaft zählten, sind zu sehen. Die Wohnung höhlig, die Wände in dunkelstem Tannengrün, in der Mitte ein großes Bett, Diwan, Schlafstatt und Sofa in einem.

Peggy Parnass lebte in diesem, in ihrem Refugium seit den frühen Siebzigerjahren. Es lag im damals noch gar nicht so ehrenhaften St. Georg, aber hier war ihre Szene, ihr Catwalk, hier lagen ihre Bordsteine, die sie beschritt wie eine sich ihrer selbst bewusste Königin ihrer Zeit, wenigstens in Hamburg. Sie war eine der ersten Gästinnen des Café Gnosa, der Tageskulturstätte der schwulen (und später queeren) Community, dort saß sie an einem der ersten Tische gleich nach dem Eingang.

Peggy Parnass, buchstäblich gebrechlich geworden, angewiesen auf einen Rollator, musste 2019 in ein Pflegeheim umziehen, ebenfalls in St. Georg. Freunde und Förderer ermöglichten ihr diese letzte Station in einem langen Leben. Nun ist sie am 12. März 2025 im Kreise ihrer Engsten gestorben, wie es heißt.

Eine Künstlerin, auch in eigener Sache

Sie war buchstäblich eine Ikone der linken und antifaschistischen Szenen in Hamburg, eine Künstlerin, auch in eigener Sache, Schauspielerin in vielen NDR-Produktionen schon in den frühen Sechzigern, eine Bekannte Hubert Fichtes noch, als der sich in der „Palette“ herumtrieb und seine kiezigen Geschichten zu Literatur montierte. Sie war Journalistin, die mit ihren Gerichtsreportagen für die Zeitschrift Konkret bekannt wurde, eine Schreibende wider Ungerechtigkeit, die immer auf Seiten der Schwächeren sich positionierte, ausnahmslos.

Auch als Schauspielerin bei Gericht: Peggy Parnass 1978 in der Serie „Das Fernsehgericht tagt“ Foto: Tele Press/United Archives/Imago

Ihre Lebensgeschichte nobilitierte ihr Engagement auf das glaubwürdigste. 1927 in Hamburg geboren, ihre jüdischen Eltern eingewandert aus Polen, mit Beginn der Nazizeit erheblichen Schikanen ausgesetzt, schließlich in den frühen Vierzigerjahren in Vernichtungslagern des Regimes in Osteuropa ermordet. Die Kinder, Peggy und Gady, vermochten beide 1939 noch auf einen sogenannten Kindertransport nach Schweden zu schicken – und damit zu retten.

In Stockholm indes, davon zeugt auch die Biografie Peggy Parnass’, ging es beiden auch nicht gut. Mehrmals musste sie die Pflegefamilien wechseln, wurde getrennt von ihrem kleinen Bruder. In den frühen Fünfzigern kam sie in die Bundesrepublik zurück, durchaus nicht abgeneigt, Rache an jenen zu nehmen, die für die Drangsalierung und Ermordung ihrer Eltern verantwortlich waren. Ihr blieb, zumal als Mutter eines Sohnes seit 1951, ein unbedingter Wille, sich nichts mehr gefallen zu lassen. Unterordnung und Gefügigkeit? Ohne sie.

Sie wurde über die Jahre eine immer bekanntere Medienfigur, eine öffentliche Person, die sich für die Mühseligen und Beladenen einsetzte. Antifa – das war ihr Credo, ihr Eintreten gegen alles, was sich irgendwie nazi- oder kriegsverharmlosend zeigte. Sie war keine deutsche Patriotin, sondern verstand sich als Frau, die für Gerechtigkeit kämpfte, schreibend, sprechend und demonstrierend. Auf Demos war sie zu sehen mit ihrer ganz eigenen Schönheit, flammend rothaarig, körperlich so schmal wie unzerbrechlich.

„Frauen können alles, und das schon immer“

Die alternativen Bewegungen, die in den Siebzigerjahren erwuchsen, waren ihre Sache nicht so sehr. Ein feministisches Engagement im Besonderen war ihr selbstverständlich: Frauen können alles, sagte sie einmal, und das schon immer – im Guten wie im Bösen.

Ob sie eine besonders innige Beziehung zur queeren Community hatte, muss offen bleiben: Dass sie sehr früh, auch in politischer Hinsicht, auf die schändlichen Auswirkungen des Strafparagrafen 175 hinwies, machte sie fast automatisch zum Darling der schwulen Szene St. Georgs, dem vormaligen Schmuddelviertel Hamburgs.

Peggy Parnass hat zahlreiche Ehrungen erfahren, eine aber blieb ihr verwehrt: Die Stadt Hamburg mochte sich nicht durchringen, ihr die Ehrenbürgerschaft anzutragen – anders als Kulturleuten wie Kirsten Boie oder Udo Lindenberg. Dabei war sie, die viele als Nervensäge empfanden, andere als erfrischende Mahnerin wider linkes Biedertum, eine keineswegs bezaubernde, dafür herzensgrantige Botschafterin des anderen Hamburg – jenseits patrizischen Goldlackgetues. Peggy Parnass war offenbar nicht honorig genug. Sie würde sagen: „Aber das wollte ich ja auch nie.“

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3 Kommentare

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  • Danke. Gute Reise Peggy Parnass 💐💐💐

    Zitier mal einen früheren Mitfloristen zum 90.



    “Happy Birthday Peggy Parnass!



    Die Gerichtsreportagen dieser großartigen Frau haben mir als jungem Menschen die Begriffe "Klassengesellschaft" und "Klassenjustiz" erlebbar und begreiflich gemacht. Danke dafür.“



    taz.de/Portrait-zu...burtstag/!5540198/



    &



    Hummel Hummel - was könnt ihr manchmal -



    So schäbbig sein - ihr versnobten Pfeffersäcke!

  • Unzählige gute und erhellende Momente, in Wort und Bild.



    DANKE PEGGY

  • Danke für den schönen Nachruf.

    R.I.P. Peggy Parnass.