Nachruf auf Martin Kaltwasser: Bilder des Übergangs
Ressourcen zu schonen, Gefundenes umzuwandeln, Nutzbares weiterzugeben: Das waren Themen des Berliner Künstlers Martin Kaltwasser.
Lachend steht er vor dem Trümmerhaufen und hält eine Holzlatte hoch. Das Foto von Martin Kaltwasser stammt aus der Aktion „Trash your house“ von 2009, die Martin Kaltwasser mit seiner langjährigen Kunstpartnerin Folke Köbberling in der Nähe von Linz inszeniert hatte. Mit Helfern hatten Köbberling & Kaltwasser das Holzhaus an einer Bergkante aufgebaut und dann über den Abgrund geschoben: Ein Bild der Beschleunigung von Erosionsvorgängen, der klimatischen Bedrohung von Dörfern in den Alpen und auch ein Bild zerschredderter Immobilienträume.
Am 30. Oktober ist der Berliner Künstler Martin Kaltwasser mit 57 Jahren gestorben, beim Joggen im Tiergarten. „Ja, ich und einige andere Künstler:innen würden mit unserer Kunst immer noch gerne die Welt ein wenig besser machen wollen“, zitiert ihn in einem Nachruf das Kunsthaus Kloster Gravenhorst. Dort wurde gerade eine Ausstellung „Hidden Landscape“ beendet, zu der er eine raumgreifende Außeninstallation aufgebaut hatte.
Mit Gewächshäusern und einem zu einem Lastenfahrrad umgebauten Auto enthielt sie wieder die Lebensthemen, die Kaltwasser in den Arbeiten mit Folke Köbberling und seit 2013 als Solokünstler antrieben: Ressourcen zu schonen, Material zu recyceln, spielerische Ideen zur Weiterverwendung von gefundenen Materialien zu entwickeln.
Für das Interesse an ökologischen und partizipativen Projekten steht auch seine letzte Arbeit in Berlin: 2020 baute er für die Floating University am Rande eines Rückhaltebecken in Berlin-Kreuzberg aus Fundmaterialien einen großen Pavillon, die Floating Sports Hall, die bis 2021 existierte.
Auf seiner Website hielt er dazu fest, was ihm wichtig war: Die Halle war „komplett ohne Geldmittel und nahezu emissionsfrei ausschließlich mit recycelten Baustoffen“ gebaut worden, das „Material stammt von vergangenen Kunstaktionen, von illegalem Sperrmüll, aus Baustellenabfallcontainern und Restebehältern von Baufirmen, von Straßenrändern und Brachgrundstücken. Der Materialtransport geschah mit 3 Lkw-Fuhren, ansonsten ausschließlich mit Lastenfahrrad und Fahrradanhänger.“
Gemeinschaften stiften
Wenig zu verbrauchen gehörte auch zu seiner Lebenspraxis. Wohnungen blieben minimalistisch eingerichtet, er besaß kein Auto, nutzte Fahrrad und öffentlichen Nahverkehr. Einige Jahre wohnte er mit Folke Köbberling und zwei Kindern im Hansa-Viertel, zu dessen ursprünglichem Konzept auch gemeinschaftlich zu nutzende Räume gehörten. Diese Idee war schon lange unter die Räder gekommen, als sie dort lebten, ihre Wiederbelebung im Rahmen von Festivals und Kunstaktionen war den beiden aber ein großes Anliegen.
Wie überhaupt die meisten Installationen und Plattformen, die Martin Kaltwasser als Künstler und Architekt plante und baute, immer auch nutzbar waren für Treffen, Workshops oder Ausstellungsort zu Themen der Nachhaltigkeit. So entstand 2014 in Berlin der Ding Dong Dom, in Zusammenarbeit mit der Theatergruppe Showcase Beat Le Mot am Holzmarkt.
Seit 2019 war Martin Kaltwasser Professor an der TU Dortmund. Dort hatte er sich zum Ziel gesetzt, den öffentlichen Raum auf dem Campus mit seiner Arbeit zu verwandeln, dazu wird es nicht mehr kommen.
Das erste Bild auf seiner Website zeigt ein stillgelegtes Auto, die Reifen schon abmontiert, bei Nacht in einem improvisierten, beleuchteten Carport. Es ist eigentlich ein Zwischenschritt bei der Verwandlung „Car into Bicycles“, aber auch sehr melancholisches Bild des Übergangs.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“