Nachruf auf Guido Westerwelle: Der verwundbare Neoliberale
Der ehemalige FDP-Chef war gelegentlich vorlaut und aufstiegsbewusst. Und er wusste, wie man provoziert. Er machte eine überraschende Karriere.
Er war anders als die anderen, und in gewisser Weise war er auf diese Selbstwahrnehmung sogar immer ein wenig stolz. Guido Westerwelle erzählte gern, befragt, weshalb es ihn nie zu den Grünen trieb, der coolsten Partei seiner Generation, er habe auf die moralischen und lebensweltlichen Befehlshaltungen nie Lust gehabt. Vielmehr habe er sich gegen die, wie er sagte, Zumutungen für die Freiheit eines jeden immer zu wehren versucht. Nicht Müsli essen müssen, nicht aus Gründen der Selbstgefälligkeit auf ein Auto zu verzichten oder überhaupt: nur leise und bescheiden aufzutreten.
Anfang der achtziger Jahre, die Grünen waren auf dem Weg, zur tonangebenden Lebensstilpartei der Republik zu werden, hatte er keine Lust auf die Jungdemokraten, die sozialliberal gesinnte Nachwuchsorganisation der FDP. Und machte stattdessen die Jungliberalen groß: Das Liberale, so sagte diese Nachwuchskraft aus Bonn, muss schon im Namen betont werden, das Demokratische verstehe sich von allein.
Gewisse Karrieren kündigen sich früh an, die wirklich großen aber nimmt das Publikum als Überraschung – etwa die von Angela Merkel und Joschka Fischer. Die politsche Laufbahn des Guido Westerwelle war in den vergangenen dreieinhalb Dekaden freilich die unwahrscheinlichste. Ein gelegentlich vorlauter, sehr aufstiegsbewusster junger Mann, der schwul ist – obwohl Westerwelle dieses Wort nie mochte, sondern eher das ihm neutraler scheinende homosexuell bevorzugte. Wie sollte das gut gehen?
So einer sollte zur Hassfigur aller Linken werden, zum Nervbolzen selbst für Christdemokraten, zur Lichtgestalt der FDP, die er, Guido Westerwelle mit nur mäßig kalkuliertem Größenwahn auf knapp 15 Prozent bei den Bundestagswahlen 2009 führte. Ein schwuler Mann, der, als im Jahr 2004 der Posten eines Bundespräsidenten auszukungeln war, Merkel und andere zum Hintergrundgespräch in die eigene Wohnung einlud, wo er bekennender Weise gern Wollsocken mit Noppen trug. Da mokierte sich die FAZ über die Unernsthaftigkeit eines solchen Politikers.
Kalte Leidenschaft
Westerwelles Karriere war allerdings nur möglich, weil seine FDP wie keine andere Partei dem neoliberalen Zeitgeist huldigte. Da mochte es Proteste gegen die Agenda 2010 geben – und dieser Mann höhnte doch: „Meine Politik fördert die Fleißigen, schützt die Schwachen und bestraft die Faulen. Es gibt kein Recht auf staatlich bezahlte Faulheit.“ Er wusste, wie man provoziert, und er tat dies nicht einmal aus strategischen Erwägungen, sondern aus persönlicher Überzeugung, also mit kalter Leidenschaft. „Mindestlohn ist DDR pur ohne Mauer.“
Das war schon von der Tonlage her – es gibt so viele Sprüche dieses Kalibers – so daneben, dass alle gutherzige Welt dachte, das müsste doch in den politischen Untergang führen. Und das tat es eben nicht: Westerwelles FDP allerdings glaubte – mit ihrem Vorsitzenden selbst – den Ratschlag ihres alten Parteifreundes Lord Ralf Dahrendorf ignorieren zu können. Der sagte, die FDP müsse immer ein Korrektiv sein und nie öffentlich beanspruchen, die Hauptrolle zu spielen. Man könne mit knapp über fünf Prozent mehr Einfluss haben als mit dreifach größerer Wählerzustimmung.
Gut möglich, dass Westerwelle nie auf solche Ratschläge hören konnte, weil ihm innerlich eine Art Resonanzboden fehlte, Stimmen anderer nicht nur als feindlich gesinnt zu hören. Sein Aufstieg zum Bundesaußenminister – mit dem Erfolg in diesem Job 2011, wenn man so will, bei den Vereinten Nationen dem Mandat zur militärischen Intervention in Libyen die Gefolgschaft zu verweigern, deutsches Militär also den Kriegseinsatz zu versagen – war da längst einer, den ein Geouteter schaffte.
1999 ließ er sich noch ziemlich verhuscht vom Süddeutschen Magazin in einem weißen Anzug in einer Gondel in Venedig fotografieren. Die Botschaft: Ich bin auf den Spuren von Thomas Manns Gustav Aschenbach, aber sage nichts explizit. Westerwelle vergab damit die Chance, als erster Politiker nach dem Grünen Volker Beck die eigene Homosexualität zu entdramatisieren, indem er sich cool als schwul zu erkennen gibt. Aber mit Venedig, Gondel, verdruckstem Sprechen? Nein, das atmete hölzerne Distanz und leicht ölige Verkniffenheit. Jedenfalls viel weniger befreiend als zwei Jahre später beim Sozialdemokraten Klaus Wowereit das „Ich bin schwul, und das ist auch gut so“ oder noch etwas später auch bei Ole von Beust, dem Hamburger CDU-Bürgermeister, der seiner Partei beibrachte, dass Homosexualität keine Antipathien stiften muss.
Leukämieerkrankung
Westerwelle ist nie in den Kreis der Elder Statesmen aufgestiegen. Männer wie Joschka Fischer oder Gerhard Schröder empfanden den verwundbaren Liberalen als Schreihals, als viel zu dünn angerührt. Mag sein, dass in dieser Haltung auch die von heterosexuellen Testosteronbomben einem schwulen Mann gegenüber anklang. Immerhin: Es wurde unter Westerwelles Dirigat im Außenministerium durchgesetzt, diplomatische Vertretungen Deutschlands, etwa in Moskau oder in arabischen Ländern, Menschenrechts-NGOs zum Dialog anzubieten. In jener Zeit war die irrealistische Idee geboren worden, Entwicklungshilfe an den Einhalt der Menschenrechte zu knüpfen.
Guido Westerwelle bezeichnete Michael Mronz, mit dem er seit 2010 in Eingetragener Lebenspartnerschaft das Leben teilte, als seinen „Mann“, nicht als „Partner“ oder „Freund“. Das klang, wie vor wenigen Monaten noch in Talkshows, seltsam freundlich, liebevoll und zärtlich. 2014, ein gutes halbes Jahr nach dem Verlust des Ministerpostens und dem Hinauswurf der FDP aus dem Bundestag wegen deren neoliberal-rasender Politik, wurde bekannt, dass der hitzigste, charismatischste Neoliberale der jüngeren Zeitgeschichte an Leukäme erkrankt war. Er schrieb, nach erster Genesung noch ein Buch – „Zwischen zwei Leben“.
Doch dieser Krebs war nicht zu besiegen. Guido Westerwelle ist am Freitag an den Folgen seiner Erkrankung gestorben. Auf der Homepage der Westerwelle Foundation steht zu lesen: „Wir haben gekämpft. Wir hatten das Ziel vor Augen. Wir sind dankbar für eine unglaublich tolle gemeinsame Zeit. Die Liebe bleibt. Guido Westerwelle und Michael Mronz, Köln, den 18. März 2016.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert