Nachruf auf Fania Brancovskaja: Die Partisanin aus dem Wald
Einst zog Fania Brancovskaja in den Wald bei Vilnius, um gegen die Wehrmacht zu kämpfen. Nun ist die jüdische Partisanin mit 102 Jahren gestorben.
Fania Brancovskaja hatte Jahrzehnte später längst ihren Frieden mit den Deutschen gemacht. Sie trat als Zeitzeugin auf, spielte in einem Film mit und erhielt für ihre Versöhnungsarbeit den Verdienstorden der Bundesrepublik. Sie war die letzte lebende jüdische Untergrundkämpferin aus den Wäldern bei Vilnius. Sie wurde 102 Jahre alt und starb diese Woche, wie die jüdische Gemeinde von Litauen mitteilte.
Von den 60.000 eingesperrten Bewohnern des 1941 eingerichteten jüdischen Ghettos von Vilnius überlebten nur wenige. Fast alle wurden in Ponary, einem Waldgebiet zehn Kilometer von Vilnius entfernt, ermordet, darunter viele Verwandte von Fania Brancovskaja, geborene Jocheles.
Eigentlich hatte die Widerstandsgruppe mit dem jiddischen Namen Fareynegte Partizaner Organizatsye (FPO) einen Aufstand im Ghetto geplant. Als sich das jedoch als unmöglich herausstellte, versuchte die Gruppe, möglichst viele ihrer Mitglieder aus dem Ghetto zu schleusen. In den Wäldern Litauens sollten sie sich dem Kampf gegen die Nazis anschließen. Fania hatte zuvor in einem Keller unter der Ghetto-Bibliothek das Schießen gelernt. Am 23. September 1943, nur Stunden vor der Auflösung des Ghettos durch die Nazis, erhielten sie und eine Kameradin den Auftrag, Kontakt zu einer Partisaneneinheit aufzunehmen. Die Flucht gelang.
Eigentlich war sie Lehrerin
Die 21-Jährige stieß zur Partisanengruppe „Für den Sieg!“. Sie zerstörten Telefonverbindungen, sprengten Brücken und Bahngleise „Wir waren große Spezialisten“, sagte sie dazu in der Rückschau. Sie schliefen in von Baumstämmen gedeckten Unterkünften oder selbst gegrabenen Höhlen im Wald. Bei den Partisanen lernte Fania auch ihren späteren Ehemann Mikhail Brantsovsky kennen. Im Juli 1944 nahm ihre Einheit an der Befreiung von Vilnius teil. Aber was hieß Befreiung? Kaum einer der früheren jüdischen Bewohner im „Jerusalem des Nordens“, wie Vilnius auch genannt wurde, war noch am Leben. Fania und Mikhail Brantsovsky aber überlebten, gründeten eine Familie und blieben im sowjetischen Vilnius. Stalin trieb ihr alle Sympathien für die roten Herrscher aus. Sie arbeitete fortan in der Statistikbehörde.
Eigentlich hätte Fanias Leben ganz anders verlaufen sollen. Geboren 1922 in Kaunas, zog ihre Familie fünf Jahre später nach Vilnius. Fania besuchte das Realgymnasium, wurde zunächst zionistische Pfadfinderin und dann Aktivistin bei der kommunistischen Jugendorganisation Komsomol. Sie absolvierte eine Lehrerinnenausbildung und unterrichtete in einer Dorfschule – bis der Einmarsch der Wehrmacht alle ihre Pläne zunichte machte.
Anlässlich ihres Todes würdigte Litauens Staatspräsident Gitanas Nausėda das Leben von Brancovskaja. Sie habe als eindringliche Zeitzeugin gegen das Vergessen gekämpft. Zu ihren Lebzeiten gab es aber auch andere Töne. 2008 bekam sie auf Weisung der Staatsanwaltschaft ungebetenen Besuch von der Polizei. Sie sei als Partisanin an der Ermordung litauischer Zivilisten beteiligt gewesen, so die Behauptung von rechtsradikalen Nationalisten. Die Ermittlungen wurden bald eingestellt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt