Nachruf auf Dramatiker Rolf Hochhuth: Den Vorhang zerrissen
Vom wichtigen Theateraufklärer in der Nachkriegszeit wurde Rolf Hochhuth zum starrsinnigen Wutbürger. Nun ist er in Berlin gestorben.
Am Ende war sein Ruhm der eines Starrkopfs und Querulanten. Regelmäßig legte sich Rolf Hochhuth mit Claus Peymann an, Intendant des Berliner Ensembles, das Hochhuth über die Ilse-Holzapfel-Stiftung gehörte. Er wollte, dass sein Stück „Der Stellvertreter“ auf den Spielplan gesetzt werde. Das Landgericht Berlin wies ihn zurück. Der Streit wiederholte sich, Hochhuth war schon über 80 Jahre alt.
Schmunzelnd nahm die Theateröffentlichkeit dies wahr, gerieten hier doch zwei aneinander, die sich in nichts nachstanden im Festhalten an einem heroischen und widerständigen Selbstbild. Auf den Barrikaden sahen sich beide auch Jahrzehnte, nachdem sie dort wirklich agiert hatten. Aber eigentlich war diese Komödie eine Tragödie.
Er löste Debatten aus
Wie meine älteren Schwestern und ihre Freunde über Rolf Hochhuth mit Anerkennung, Bewunderung und Respekt redeten, in den 60er Jahren, erinnere ich noch. Er zerriss den Vorhang, der in Deutschland gern vor die faschistische Vergangenheit gehängt wurde. Sein Stück „Der Stellvertreter“, 1963 von Erwin Piscator in Berlin uraufgeführt, führte mitten hinein in die Vernichtung der Juden, mit Monologen von Frauen, Männern und Kindern, die in einem Zug sitzen, der ins Todeslager rollt.
Das Stück kritisierte die Rolle der katholischen Kirche, ihren mangelnden Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die Premiere in Berlin war eine Sensation und löste eine Debatte über die Vergangenheit aus, nicht nur in Deutschland, auch international.
Hochhuth, 1931 geboren und in der NS-Zeit aufgewachsen, schrieb den „Stellvertreter“ mit 26. Das Thema des Umgangs mit der deutschen Geschichte verfolgte er weiter in dokumentarischen Stücken. Seine Recherchen zum Drama „Die Juristen“ über die Rolle von Hans Filbinger als früherer Nazi-Richter führten 1978 zu dessen Rücktritt als Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Vom CSU-Chef Franz Josef Strauß wurde er deshalb zu den „Ratten und Schmeißfliegen“ gezählt.
Allein sein Gespür für die kritischen Stoffe bedeutete nicht immer gut geschriebene Stücke. Dass größere Theater ihn nicht mehr spielen wollten, kränkte ihn. Er selbst ging unkalkulierbare Allianzen ein, als er etwa in Interviews den britischen Publizisten und Holocaust-Leugner David Irving zu verteidigen begann. Seinem politischen Instinkt war nicht mehr zu trauen. Mit 89 Jahren ist er nun in Berlin gestorben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut