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Nachruf US-Jazzsaxofonist Wayne ShorterWeird wie Wayne

Der US-Jazzsaxofonist und Gründer der Fusionband Weather Report, Wayne Shorter, ist 89-jährig in Los Angeles gestorben. Nachruf auf einen Visionär.

Wayne Shorter Foto: Vincent West/reuters

Es war immer die Melodie, die für Wayne Shorter im Vordergrund stand. Als Erzählung, die in eine Märchen-, Comic- oder Science-Fiction-Welt führte, in andere Länder und Zeitebenen oder in ein Bekenntnis. Genau wie in „Speak No Evil“, seinem dritten Album für das Label Blue Note, veröffentlicht 1964.

Die Melodie zählt zu den bekanntesten des Jazz, sie ist seiner ersten Ehefrau gewidmet. „Infant Eyes“ komponierte Shorter für die gemeinsame Tochter. Es ist eine langsame, zärtliche und gleichzeitig zerrissene Melodie, aus der sich sein Solo herauslöst. Wie ein Bildhauer, der eine Figur formt und zu einem Monument erhebt. Mit „Speak no Evil“ streifte er den Hard Bop ab und übernahm kompositorische Elemente von zeitgenössischen Komponisten wie Varese und Stravinsky in sein Spiel.

1964 ist auch das Jahr, als das Civil-Rights-Gesetz wenige Monate nach Kennedys Ermordung die sogenannte Rassentrennung aufhob, Martin-Luther King den Friedensnobelpreis erhielt und die USA offiziell in den Vietnamkrieg eintraten. Für Wayne Shorter markierte jenes Jahr auch den Beginn seiner Zusammenarbeit mit Miles Davis, nach fünf Jahren zuvor, während derer er als musikalischer Leiter von Art Blakey's Jazz Messengers fungierte.

Mit Miles tritt er am 12. Februar 1964 in der Philharmonic Hall in New York auf, an einem Benefizkonzert der Bürgerrechtsbewegung für das „Voter Education Project“ in Lousiana und Mississippi. Shorter ist damals 31, persönlich und musikalisch steht er an einem Wendepunkt.

Inspiriert von Comics und Science-Fiction

Shorter hatte erst spät angefangen, ein Instrument zu lernen. Am 25. August 1933 in Newark, New Jersey, geboren, wuchs er mit seinem älteren Bruder Alan im Newarker Industrieviertel Ironbound auf. Shorter, stets begeistert von Comics und Science-Fiction, hatte im Alter von 12 Jahren einen landesweiten Kunst-Wettbewerb gewonnen und damit einen Platz in der Newark Arts High-School, der ersten öffentlichen High School des Landes, die auf bildende und darstellende Kunst spezialisiert war.

Doch nachdem der Junge Dizzy Gillespie mit Charlie Parker gehört hatte, schwänzte er seine Zeichenkurse und trieb sich im örtlichen Instrumentengeschäft herum. Mit 15 Jahren erhielt er seine erste Klarinette, ein Jahr später kam ein Tenorsaxofon dazu. Die Klarinette von damals habe er immer noch, erzählte er noch 2022 dem Schlagzeuger (The Roots) und HipHop-Produzenten Questlove für dessen Video-Podcast „Supreme“. Er habe sechs Stunden am Tag Tonleitern geübt und versucht, die Musik der Alben von Gillespie und Stravinsky nachzuspielen, die er sich in der Stadtbibliothek ausgeliehen hatte.

Wayne Shoter gefiel der lässige Stil der Bopper mindestens ebenso wie deren Musik. Wie jene „Jazzcats“ trat er im Anzug auf und legte die aktuelle Tageszeitung anstelle von Notenblättern auf das Pult. Der Dichter Leroy Jones, später Amiri Baraka, ebenfalls aus Newark, erinnerte sich, dass es damals hieß „Weird as Wayne“ und Shorter beschriftete seinen Saxofonkoffer mit „Mr. Weird“.

Beteiligung am Meisterwerk „Bitches Brew“

Wayne Shorter komponierte für Miles Davis unter anderem „Nefertiti“ und blieb bis zu seinem 1969 gemeinsam eingespielten epochalen Album „Bitches Brew“, das einen radikalen Neuanfang beschrieb. 1970 gründete er mit Joe Zawinul und Miroslav Vitouš die Fusionband Weather Report, die auch kommerziell mit ihrer Kreuzung von Rock und Jazz so erfolgreich wurde, dass er sich 1972 mit seiner zweiten Frau und der gemeinsamen Tochter einen Umzug nach Los Angeles und ein Haus leisten konnte.

Hauptgrund für die Emigration nach Südkalifornien war die schwere Erkrankung seiner Tochter und der von einem Arzt empfohlene Klimawechsel. Seit 1973 war Shorter Buddhist. Im Interview mit Questlove, der Shorter zum Pionier, musikalischen Architekten und größten Zeitreisenden der Jazzgeschichte erklärt, erzählt er, dies habe ihm geholfen, die Krankheit seiner Tochter und später ihren Tod und den seiner Frau akzeptieren zu können.

Mit Weather Report wechselte Wayne Shorter vom Tenor- zum Sopransaxofon und entwickelte einen abstrakten, minimalistischen Stil mit dem Ansatz, die traditionelle Trennung von Solist und Begleitung aufzuheben. Er erklärte, diese Musik zur „Folk-Musik der Zukunft.“ Nach Auflösung der Band 1986 spielte Wayne Shorter mit Carlos Santana, den Rolling Stones, Steely Dan und auf mehreren Alben von Joni Mitchell.

„Iphigenia“ in Boston

Im Jahr 2000 gründete er sein bis zuletzt aktives akustisches Quartett mit Danilo Pérez, John Pattitucci und Brian Blade, mit dem er einige seiner frühen Kompositionen neu interpretierte. Es folgten mehrere Grammys und 2017 der Polar Music Prize. 2021 wurde seine Oper „Iphigenia“ in Boston uraufgeführt. Ein Herzensprojekt des Komponisten, der sie für Orchester und Quintett komponierte.

Shorter sah Jazz als kulturellen DNA-Code. „Der Spirit des Jazz ist das Ausbrechen aus dem Gewohnten, ein revolutionärer Akt.“ Wayne Shorter starb am 2. März 2023 im Alter von 89 Jahren in einem Krankenhaus in Los Angeles.

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12 Kommentare

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  • Ich hatte das unbändige Glück Wayne Shorter 2x Live zu erleben. 1x mit Weather Report (bereits mit Jaco Pastorius) späte 70er in Lyon nach der Weinlese und 1x mit Herbie Hancock und Marcus Miller u.a. in Montreux 2011 oder 2012. Er war zwar körperlich bereits etwas tüddelig, spielte aber wie ein junger Gott. Dieses Konzert hat mich auch mit Marcus Miller versöhnt, den ich vorher oft als virtuosen und egozentrischen Wichser eingestuft hatte. Er war sehr gruppendienlich!



    Wayne Shorter, have good jams in some heavens or elsewhere!



    Hier noch Montreux für Alle:



    youtu.be/-QXGCEkeJR0

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Welch' ein Privileg! Mein Bruder hat Weather Report 1977 in Hannover live gesehen und gehört und schwärmt heute noch von diesem Konzert. Ich war seinerzeit mit 14 trotz des ungeheuren Einflusses, den mein Bruder in musikalischer Hinsicht auf mich hatte, noch nicht so überzeugt von dieser Band. Ich habe sie erst Mitte der 80er so richtig für mich "entdeckt".

      Ein Ausschnitt (Teen Town) von einem Konzert in Offenbach 1978:



      youtu.be/nWBBd9_tt18

      Der Kontrast zwischen den wohltuend unaffektiert vorgetragenen, genau platzierten, minimalistischen Einsätzen Wayne Shorters und dem selbstverliebten Auftritt des uneingeschränkt kongenialen Jaco Pastorius ist wirklich bemerkenswert.

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Neid •

      • @Lowandorder:

        Um selbigem entgegen zu treten, hab ich ja das Video eingestellt. Kannte ich auch noch nicht.



        Schöne Trouvaille!!!



        Aber Live - ich sach et Dir



        Un dat andere sach ich Dir morjen...

        • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

          Danke schon mal vorab fürs incredible Video &! du hörst&riechst die Bodum-Kugeln blubbern & denkst - Ey da spielt doch einer bassclarinet (eins meiner favorits;)) & Däh Marcus Miller!! war mir bisher entgangen. Danke.

        • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

          Ok - dann erzähl ich dir von den Einspielungen - 🎸🎤 fl - & 🍺 Starnberger Hell -

          • @Lowandorder:

            "Starnberger Hell", bajuwarische Plörre?

            • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

              Du weißt - ich bin ein Banause



              Und trinke diese Brause!



              Verklebt auch nicht das SopraninoBlatt!



              Wie Urlaub: Gut wenn man ihn hat!



              (©️ Heinz Erhard;))

  • Farewell, mein Lieber. Auch Dir bin ich, neben Zawinul, Pastorius und Erskine, zu ewigem Dank verpflichtet.

  • Farewell - Weird wie Wayne Shorter -

    unterm—— etwas Lametta —



    Phil Minton - Waliser - erzählt immer gern - zu Miles Davis -



    Bei einem Festival in (?) Schweden mußte jeweils eine ⛴️ benutzt werden!



    Phil ging downstairs - wo Miles - der gerade Wayne aus der Band geworfen hatte!



    Schwer overdressed residierte & setzte sich an den Tisch mit den Worten:



    “You are Wayne Shorter - I presume?!“

    ps - www.welt.de/geschi...-nehme-ich-an.html



    Anyway! Hörnmer mal rein - Nefertiti -



    m.youtube.com/watch?v=GAHCg4w3TKs



    Miles Davis, Wayne Shorter, Herbie Hancock, Ron Carter, Tony Williams



    Short cut - Have a nice trip - Mr Wayne Shorter - 🎷 -

    • @Lowandorder:

      Ich schließe mich an.

      Was Jazz angeht, bin ich wie der Bauer, der in die Stadt kommt und alles ihm sagt: Verschlossen.

      Wenn ich da aber mal reinhöre, erkenne ich zumindest, dass da große Künstler am Werk sind.

      • @Jim Hawkins:

        Hier häng ick mir och mit dran!