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Nachhaltige FischereiDer Siegelstreit

Neue Regeln für Fischereien der Zertifizierungs-Organisation MSC gehen dem Umweltverband WWF nicht weit genug.

100% fair? Oder doch nur zum Teil? Was ist drin, im Fischstäbchen? Foto: dpa

Berlin taz | Blaues Oval mit schemenhaft gezeichnetem weißen Fisch – das MSC-Zertifikat prangt auf Thunfischdosen oder Fischstäbchenpackungen. Ein Großteil der Fischprodukte ist inzwischen mit dem Siegel des Marine Stewardship Council (MSC) zertifiziert. Vor Kurzem hat MSC die Regeln für den Zertifizierungsprozess geändert. Damit habe die Non-Profit-Organisation „das Feedback einer Reihe von Interessengruppen, darunter NGOs, Fischereibetriebe und Zertifizierungsstellen“ berücksichtigen, sagt Rohan Curry vom MSC. Der Umweltorganisation WWF gehen die Neuerungen nicht weit genug. Sie seien unzureichend und enttäuschend, heißt es.

Unter anderem fordert MSC nun, dass Fischereien einen Fischbestand nicht gleichzeitig mit nachhaltigen und nichtnachhaltigen Methoden befischen. Ein Siegel für Fischereien, die nachweislich Shark Finning betreiben – also die Rückenflosse von Haien abschneiden, um den Körper danach wieder ins Meer zu werfen – soll es nicht mehr geben. Allerdings kann ein Unternehmen das umgehen, wenn es die Boote, auf denen so etwas passiert ist, von der Fangflotte ausschließt.

Dem WWF reicht das nicht. Der Umweltverband kritisiert, dass MSC keine Kursänderung vorgenommen und Forderungen für den Reformprozess nicht aufgenommen hat, etwa die Gewährleistung, dass Zertifizierungsauflagen auch wirklich umgesetzt werden. Die Organisation hatte beim MSC Einspruch gegen 17 vorgeschlagene Zertifizierungen erhoben. Die Einsprüche waren bisher wirkungslos. Eine Zertifizierung läuft noch, alle anderen wurden trotz der Einwände angenommen.

„Anstatt eine bedeutende Reformagenda auf den Weg zu bringen, sitzt der MSC die Situation einfach aus“, sagt WWF-Fischereiexperte Philipp Kanstinger. Der Umweltverband zieht daraus Konsequenzen. „Leider sind wir gezwungen, die Verlässlichkeit dieses Labels für eine wachsende Anzahl von Fischereien in Frage zu stellen.“ Der WWF will sich weiterhin für Verbesserungen im MSC-Programm einsetzen und gleichzeitig Einzelhändler und Verbraucher vor zertifizierten Fischereien warnen, die nach Auffassung des Verbands nicht nachhaltig sind.

MSC löst nicht alle Probleme

Christopher Zimmermann, Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei und ehrenamtliches Mitglied des Technischen Beratenden Gremiums des MSC, ist dagegen der Auffassung, Produkte mit dem MSC-Siegel könne man guten Gewissens kaufen – auch wenn es „wahnsinnig viel zu kritisieren gibt am MSC“.

Das MSC löse nicht alle Probleme, sondern wolle Fischereien, die die Schwelle zur Nachhaltigkeit überschritten haben, durch Anreize weiter verbessern. Das funktioniere, sagt er mit Blick auf die 20-jährige Geschichte des Siegels. Die MSC-Regeln seien ein Balanceakt, um die Umweltverbände nicht zu verlieren und Fischereien nicht zu verprellen. 20 Prozent des Weltfischmarktes seien zertifiziert. Bekäme nur der „Goldstandard“ ein Siegel, wären es ein bis zwei Prozent.

Das oft vorherrschende Bild vom leer gefischten zerstörten Meer sei falsch, erklärt Zimmermann. „Wenn wir die Welt ernähren wollen mit geringer Belastung für die Umwelt, dann kommen wir nicht drumherum, das Meer zu nutzen“, sagt er. Zwei Drittel der Fischbestände seien in gutem Zustand. Ein Drittel nicht. Die Ökosysteme im Meer seien anders als an Land miteinander verbunden und können sich besser ausgleichen. Während an Land viele Tierarten vom Aussterben bedroht seien, sei das im Wasser nicht der Fall.

Teilweise seien Fischbestände wegen Überfischung am „Kollabieren“ und können nicht mehr „sinnvoll wirtschaftlich genutzt werden“. Das gelte etwa für Dorsch und Seelachs. Um sich zu erholen, müsse der Fang drastisch reduziert werden. Tatsächlich vom Aussterben bedroht seien der Weiße Hai oder der Europäische Aal. Bei Letzterem sei die Nachwuchsproduktion seit den 50er Jahren um bis zu 99 Prozent zurückgegangen. Aber das liege nicht an Überfischung, sondern an anderen Umwelteinflüssen, sagt Zimmermann.

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1 Kommentar

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  • „Wenn wir die Welt ernähren wollen mit geringer Belastung für die Umwelt, dann kommen wir nicht drumherum, das Meer zu nutzen“



    Das ist meines Erachtens falsch. Ein vernünftiger Ansatz wäre:



    Wenn wir die Welt ernähren wollen mit geringer Belastung für die Umwelt, dann kommen wir nicht drumherum ...



    - den Kapitalismus abzuschaffen und anstelle diesem ein System zu entwickeln, das alle Menschen gleichermaßen versorgen kann und dabei die Ökosysteme erhält, das Klima stabilisiert und die Interessen von Tieren auf Leben respektiert.



    Würde der Kapitalismus so weiter gefahren, wird der Zugang zu Waren (eben auch zu Nahrungsmitteln) und Dienstleistungen hierarchisiert. Die Spanne wird dabei weiterhin von unglaublichen Reichtum bis hinzu Armut, Besitzlosigkeit und Hungertod reichen. Die dem Kapitalismus innewohnende Verwertungslogik, Kapitalvermehrung über alles zu stellen und zu maximieren ordnet aber nicht nur unzählige Menschen unter sondern auch das Interesse der Tiere an Leben und Leidvermeidung. Schussendlich untergräbt der stetige Expansionsdrang des Kapitalismus die notwendige Balance der Ökosysteme und damit die Existenzerhaltung von Mensch und Tier. Wir sind inbegriff die Welt wie sie wir kennen zu zerstören. An einer Nachhaltigkeit innerhalb des Kapitalismus ist nicht zu denken. Sicherlich sind wohl nachhaltig gelabelte Produkte zumeist besser als deren labelose Alternativen - ausreichend ist eine Umstellung auf "nachhaltige Fischerei" nicht. Zumal es Tierprodukten für eine gesunde Ernährung nicht bedarf. Anstatt das weiterhin wenige Menschen (Wohlhabende) Tierprodukte kaufen dürften, sollte Tierproduktion an sich in Frage gestellt werden. Biovegane Landwirtschaft ist als Alternative nicht nur ökologischer, effizienter sondern auch "ethischer" gegenüber Tieren.