Nach der ersten Schlichtung: Schlagabtausch um Stuttgart 21

In der ersten Schlichtungsrunde beim Bahnhofsprojekt sind sich Gegner und Befürworter nicht nähergekommen. Demonstrationen beider Seiten folgen.

Hier geht es rund: Schlichtungsgespräche. Bild: dpa

Das gab es noch nie: eine Schlichtung zwischen Regierenden und Bürgerinitiativen - also eine Art runder Tisch -, die direkt im Fernsehen, im Internet und auf öffentlichen Großbildleinwänden übertragen wird. Am Freitag war es so weit: Der erfahrene Schlichter in Tariffragen, Heiner Geißler (CDU), bat die Gegner und Befürworter des umstrittenen Bahnhofsprojekts Stuttgart 21 an einen Tisch - damit sie sich jeweils die Argumente der anderen Seite anhören. Anders ist der breite Graben, der in Stuttgart Gegner und Befürworter des Milliardenprojekts trennt, offenbar nicht mehr zu überwinden. Am heutigen Samstag wollen beide Seiten wieder demonstrieren.

Die erste Runde der Schlichtung, an deren Ende wohl kaum ein Fifty-fifty-Kompromiss stehen kann, verlief dabei in einer erstaunlich sachlichen Atmosphäre. Mehrfach hatte Geißler die Redner darauf gedrängt, parteitaktische Polemik zu unterlassen und sachlich verständlich zu sprechen, also Fremdworte, Anglizismen und Abkürzungen zu meiden. Dabei heraus kam eine wirklich informative Veranstaltung, bei der es zunächst um die strategische und verkehrliche Bedeutung des Projekts ging; Finanz-, Umwelt- und Sicherheitsfragen sollen folgen.

Dabei stellte sich auch heraus: Stuttgart 21 besteht im Grunde aus zwei Projekten. Zum einen soll der heutige Kopfbahnhof in großen Teilen abgerissen und durch einen unterirdischen Bahnhof ersetzt werden; zum anderen soll zwischen Wendlingen und Ulm eine neue Schnellfahrstrecke gebaut werden, wodurch die Fahrzeit im Personenverkehr zwischen Stuttgart und München erheblich sinken kann.

Zunächst erläuterte Volker Kefer, Technikvorstand der Deutschen Bahn AG, die Strategie der Bahn. Die Bahn befinde sich im harten Wettbewerb mit Flugzeug und Auto; deshalb komme es auf schnelle Verbindungen zwischen den Städten an. Hier gebe es im Südwesten Deutschlands ein Defizit. "Wenn die Bahn schneller ist als das Auto, gewinnen wir Fahrgäste." Dies treffe vor allem auf Reisezeiten zwischen drei und vier Stunden zu. "Deshalb geizen wir so bei den Minuten im Fernverkehr." Von der neuen Verbindung zwischen Stuttgart und Ulm würden jährlich zehn Millionen Fahrgäste profitieren.

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) warf der Bahn eine falsche Strategie vor. "Sie sind auf der ganzen Linie gescheitert, im Fernverkehr gibt es Rückgänge bei den Fahrgastzahlen." Deshalb seien weniger einzelne Hochgeschwindigkeitsstrecken sinnvoll, sondern ein integrierter Fahrplan mit garantierten Anschlüssen auch auf Nebenstrecken. Dafür habe aber der Ausbau der Rheinschiene Vorrang. "Stuttgart 21 setzt die falsche Priorität und hat keinerlei Nutzen für den Güterverkehr."

Dem widersprach Kefer. Zwar werde Wendlingen-Ulm nicht wegen des Güterverkehrs gebaut, dennoch profitiere dieser davon. Der Grund: Da auf der neuen Bahnstrecke auch Regionalexpresse fahren würden, würden auf der bisherigen Strecke über Geislingen Kapazitäten für Güterzüge frei. Zwar würden diese heute noch nicht benötigt, aber künftig brauche man im deutschen Güterverkehrsnetz auch Ausweich- und Entlastungsrouten. Im Übrigen verliere Stuttgart 20 bis 30 Jahre, wenn es jetzt zurück auf Start gehe. Palmer entgegnete, dass die Verwirklichung des Alternativprojekts - Sanierung und Ausbau des Kopfbahnhofes - in wenigen Jahren machbar sei, wenn die Bahn wolle.

Großen Raum nahm die Frage ein, ob ein Kopf- oder ein Durchgangsbahnhof in Stuttgart leistungsfähiger sei. "Der Durchgangsbahnhof hat eine um ein Drittel höhere Kapazität als der Kopfbahnhof", sagte der Verkehrsforscher Ullrich Martin. Ihm warf Projektgegner Gangolf Stocker vor, mit falschen Prämissen gerechnet zu haben.

Nach der Sitzung beharrten beide Seiten auf ihrer Einschätzung. Die Projektgegner fühlten sich in ihrer Gesamtkritik bestätigt, sagte Brigitte Dahlbender vom BUND. Bahn-Vorstand Kefer betonte, das Unternehmen sei "mehr denn je" von dem Projekt überzeugt.

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