Nach der Tarifeinigung bei der Bahn: Mehdorn kündigt Stellenabbau an
Wegen des Tarifabschlusses mit der GdL kündigt Mehdorn steigende Fahrpreise und Entlassungen an. Politik und Gewerkschaften sind empört: Streikdrohungen stehen im Raum.
Die Ruhe bei der Bahn währte nicht lange: Mitten in die Freude über das Ende des monatelangen Tarifkampfes platzte Bahn-Chef Hartmut Mehdorn am Montagabend mit einer Rede bei einem Empfang, in der er seinen Unmut über die Einigung mit den Lokführern kundtat und mögliche Folgen skizzierte.
Der Tarifabschluss sei "keineswegs ein Sieg der Vernunft", sagte Mehdorn laut Redemanuskript. "Er ist eine Niederlage nicht nur für die Bahn, sondern auch für den Standort Deutschland." Die zusätzlichen Kosten hätten "natürlich Konsequenzen für Arbeitsplätze und Standorte der Bahn" und "auch für unsere Preise". Offen drohte Mehdorn mit der "Verlagerung von Arbeit in Billiglohngebiete" und dem Ende des Beschäftigungspakts, der Kündigungen von Bahn-Mitarbeitern derzeit bis 2010 ausschließt. Mögliche Einsparungen bei umstrittenen Großprojekten wie dem unterirdischen Bahnhof "Stuttgart 21" erwähnte Mehdorn hingegen nicht.
Während die Gewerkschaft der Lokführer Mehdorns Äußerungen auf Anfrage nicht kommentieren wollte, reagierten andere Gewerkschaften sowie Politik und Fahrgastverbände empört auf die Ankündigungen. Die Bahn-Gewerkschaften Transnet und GBDA drohten mit Streik, um einen Stellenabbau zu verhindern. "Mit seinen Aussagen provoziert Hartmut Mehdorn einen Klimawandel im Konzern", warnten sie in einer gemeinsamen Erklärung. Die Beschäftigten hätten den Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung durch Zugeständnisse erzwungen. "Wenn der Bahn-Vorstand das jetzt infrage stellt, dann provoziert er den Widerstand seiner Beschäftigten, die bereit sind, für ihre Arbeitsplätze zu kämpfen."
Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), der in den Verhandlungen Druck auf Mehdorn ausgeübt hatte und von diesem am Montag direkt angegriffen wurde, übte ebenfalls Kritik an den Äußerungen des Bahn-Chefs. "Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund für ein wirtschaftlich so starkes Unternehmen wie die DB AG, sofort mit der Entlassung von Beschäftigten oder der Verlagerung von Arbeitsplätzen zu drohen", erklärte Tiefensee. Er erwarte von der Bahn, dass sie "die gute Partnerschaft mit den Gewerkschaften" fortsetze.
Der FDP-Verkehrsexperte im Bundestag, Horst Friedrich, bezifferte die Kosten des Abschlusses mit der Gewerkschaft der Lokführer auf 50 bis 64 Millionen Euro. Ähnliche Schätzungen gab es auch aus Gewerkschaftskreisen. "Alle anderen Behauptungen sind Horrorzahlen, die nur dazu dienen, Vorwände für neue Preiserhöhungen zu schaffen", sagte Friedrich.
Auch Fahrgastverbände übten scharfe Kritik an Mehdorns Drohung. Mit Stellenabbau und höheren Preisen gehe Mehdorn "in die völlig falsche Richtung", sagte der Vorsitzende von Pro Bahn, Karl-Peter Neumann. Der Bahnchef solle lieber darüber nachdenken, wie mit motivierten Mitarbeitern mehr Kunden gewonnen werden können. Heidi Tischmann, Bahnexpertin des Verkehrsclubs Deutschland, nannte die Ankündigung höherer Preise "eine Frechheit". Bereits die jüngste Preiserhöhung im Dezember 2007 sei mit Mehrkosten wegen der Tarifrunde begründet worden. Zudem rühme sich der Konzern guter Gewinne.
Tatsächlich hat die Bahn in den Jahren 2005 und 2006 jeweils "das beste Ergebnis ihrer Geschichte" erzielt. Der Gewinn vor Steuern (Ebit) lag 2006 bei 2,5 Milliarden Euro. Für 2007 liegt noch kein Gesamtergebnis vor, doch im Dezember hatte die Bahn verkündet, dass sich der "wirtschaftliche Aufwärtstrend" fortsetze und und der Umsatz in den ersten drei Quartalen um 5,3 Prozent gestiegen sei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen