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Nach der Oper direkt zur Beatles-PartySchluppenblusen-Rubber-Soul

Gastgeber freuen sich über hungrige Gäste und das richtige Outfit. Aber was, wenn das Neonlicht zu sehr blendet?

Nach der Oper auf eine Beatles-Party? Das geht, wirft aber Fragen bei der Outfit-Auswahl auf Foto: Alberto Pezzali/imago

V ergangene Woche war die vestimentäre Fragestellung komplex: Was zieht man an, wenn man zuerst in die Oper „Carmen“ und dann direkt auf eine Beatles-Party geht? Dass Rüschenröcke jeglicher Art sowie Oberteile mit nervig (oder „neckig“!!??) an den Schultern runterrutschenden Ärmeln von vornherein ausscheiden, muss ich nicht extra erwähnen, mal abgesehen davon, dass solcherlei Kita-Klamottenkisten-Quatsch sich zu keinem einzigen Beatles-Album kombinieren ließe, nicht mal zu „Sgt. Pepper“.

Und die Party hatte das Motto „Rubber Soul“, also eigentlich Lederjacken und Rollkragenpullover – die gehen wiederum nicht zur Deutschen Oper. Ich löste das Problem durch Anzug plus Schluppenbluse und stellte damit hoffentlich sowohl George Harrison als auch Georges Bizet zufrieden.

Doch im Wochenende lauerte eine neue Herausforderung: Was zieht man an beziehungsweise übers Gesicht, wenn man auf eine Galerie-Party geht, bei der gefühlt über 1.000 Lux herrschen? Dabei trägt das Jubiläumsfest „25 Jahre friendly capitalism lounge“ ja schon im Titel, dass es sich bei den Gästen vermutlich nicht ausschließlich um „spring chicken“ handelt. Auf der anderen Seite tut das dem Reiz natürlich keinen Abbruch. Zudem sehen Boomer und GenX eh meistens nicht mehr richtig gut.

So schaute ich am Freitag in der Neurotitan-Galerie glücklich in die unscharfen Gesichter scharfer Menschen, lehnte mich aus Versehen an schöne Kunst, hörte Grateful Cat und Neoangin zu und sinnierte angesichts der von einer neuen, aus Jeans Team hervorgegangenen Instrumentalband namens Elektroservice dargebotenen Version von James Lasts „Biscaya“ darüber nach, wie lange es dauert, bis Sounds mit etwas anderem behaftet werden.

112 mit Tofu

Ich meine, „Biscaya“ – hätte man je im Leben geglaubt, dass die Tittenquetsche, wie wir das Akkordeon in der Boomer-Kindheit abschätzig nannten, es noch mal als Leadinstrument auf eine großartige Party schaffen würde? Zudem Elektroservice diese maritime Sehnsuchtsmelodie mit einer Melodica interpretierten – da weiß man gar nicht, ob das vom Regen in die Traufe bedeutet oder ob die Melodica tatsächlich in eine neue Coolness-Phase eintritt.

Die allerdings nicht mehr ganz so neu ist: Die Endmelodie bei „Everything Counts“ von Depeche Mode und der über jeden Coolness-Zweifel erhabene Damon Albarn in „Clint Eastwood“ zeigten ebenfalls nie Berührungsängste mit dem Musikalische-Früherziehungs-Sound.

Auch der Samstagabend startete mit einer freundlichen Erinnerung an die Vergänglichkeit: In einem Restaurant, in dem das Self-Order-Terminal größer war als das Fenster, fiel mir ein, wie sich in einem Café vor Jahren ungefragt ein Mann mit Man Bun an meinen Tisch gesetzt und begonnen hatte, auf seinem Handy herumzutippen. „Ich halte die Plätze für meine Freunde frei“, hatte ich zögernd gesagt. „Ich will doch nur deine Bestellung aufnehmen“, hatte er zurückgegeben. Dabei fand ich immer beeindruckend, wenn Kell­ne­r:in­nen wissen, was „die 112 mit Tofu“ in Wirklichkeit bedeutet, weil sie die geheime, numerische Fremdsprache des Menüs verinnerlicht haben.

Sonntag schmiss ich mich erneut in Schale und nahm eine Adventseinladung an – der Dezember ist der billigste Monat, was die Verpflegung betrifft, und ich arbeite daran, dass das so bleibt. Ich gehe zu jeder Weihnachtsfeier, nehme zum Outfit passende, reißfeste Tüten mit und schäme mich nicht, mit Hunger aufzuschlagen. Gast­ge­be­r:in­nen freuen sich, wenn man zugreift, das ist meine Erfahrung. Sonntagabend kugelte ich gefüllt mit anderer Leute Plätzchen zurück nach Hause und überführte mitgenommene Salat- und Dip-Reste stante pede in den Kühlschrank. Die nächste Woche ist kulinarisch somit schon gerettet.

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