piwik no script img

Nach der Abschiebung

Wer in sein Herkunftsland abgeschoben wird, wird dort nicht nur mit offenen Armen empfangen. Betroffene erleben oft erneut Ablehnung und Stigmatisierung

Geflüchtete demonstrieren im bayerischen Fürstenfeldbruck gegen Abschiebungen Foto: Sachelle Babbar/imago

Von Franziska Schindler

Seine Mutter und seine beiden Schwestern waren zu Hause, als Richies Idemudia zum ersten Mal nach sieben Jahren in Benin City ankam. Sie weinten, aber nicht vor Freude oder Rührung. Er, der Haupternährer der Familie, war zurück. Anstatt weiter Gabelstapler in Gaisbach, Baden-Württemberg zu fahren, und alles, was von seinem Lohn übrig blieb für die Medikamente seiner Mutter, die Bustickets seiner Schwestern, endlich ein eigenes Haus für die Familie nach Hause zu schicken, war er nun selbst wieder in Nigeria. Abgeschoben und mit leeren Händen. „Es ist eine Katastrophe“, sagt Idemudia.

Das alles war im September 2022, sagt Idemudia im WhatsApp-Call aus Benin City. Er erzählt auch, dass er direkt bei der Arbeit in der Logistikfirma festgenommen worden sei, an einem Donnerstagnachmittag, dann unter Polizeibegleitung zum Packen nach Hause und anschließend in den Abschiebeknast nach Pforzheim gebracht worden sei. „Sie haben nicht viel erklärt“, sagt er. Wenige Tage später, in der Morgendämmerung, sitzt er in einem Charter-Abschiebeflug nach Nigeria, sein Leben in Deutschland in einem 20-Kilo-Koffer.

Allein von Januar bis Oktober 2025 wurden 19.538 Menschen aus Deutschland abgeschoben, das sind durchschnittlich rund 65 pro Tag. So umstritten eine Abschiebung gewesen sein mag – wenn das Flugzeug abgehoben hat, schwindet in Deutschland meist die Aufmerksamkeit. Aber wie geht es weiter für die, die in den Flugzeugen sitzen?

Das Trauma der Abschiebung

Im Abschiebeknast traf Idemudia einen Bekannten, der schrieb ihm eine Handynummer auf einen Zettel: von Rex Osa, Mitgründer und Koordinator bei Deportees Emergency Reception and Support. „Das erste Mal, dass ich Abgeschobene am Flughafen von Lagos in Empfang genommen habe, war ein Schock“, erinnert sich Rex Osa. „Die Leute sind völlig verstört.“ Osa und sein Team stellen Handys zur Verfügung, damit die Abgeschobenen ihre Familien anrufen können. Wer nicht in der Lage sei, zur Familie weiterzureisen, könne in der Schutzwohnung der Organisation unterkommen. „Dort essen und trinken wir zusammen, alle können ihre Geschichte erzählen“, sagt Osa. Einen Raum zu schaffen, in dem den Betroffenen zugehört wird und sie verstanden werden, sei wichtig, damit aus dem Trauma der Abschiebung möglichst keine langfristige psychische Erkrankung werde. „Das können am besten Leute, die dieselbe Erfahrung gemacht haben“, sagt Osa. Also kümmern sich bei Deportees Emergency and Support einst abgeschobene Menschen um die Ankommenden.

Der Vollzeitaktivist Osa pendelt zwischen Stuttgart und Lagos hin und her. Er selbst kam 2006 als Asylsuchender nach Deutschland und begann wenig später, sich in antirassistischen Gruppen zu engagieren. 2016 beschloss er, nicht nur in Deutschland, sondern auch in seinem Heimatland Nigeria für die Rechte von Geflüchteten zu arbeiten. „Die Debatte dort drehte sich damals nur um Schlepperbekämpfung – ein europäisches Narrativ“, sagt Osa. „Ich wollte, dass die Abgeschobenen selbst zu Akteuren des Migrationsdiskurses werden.“

Denn dass die Menschen und oft auch ihre Familien mit der Abschiebung ihre Existenzgrundlage verloren haben, getrennt sind von Freun­d*in­nen und Liebesbeziehungen, sich oft nicht einmal verabschieden konnten, das alles ist nur der eine Teil. Der andere ist die Stigmatisierung in dem Land, das früher mal Zuhause war. „Viele werden von ihren Familien zurückgewiesen“, sagt Osa. „Abgeschobene werden in Nigeria schlecht angesehen, so als ob sie Kriminelle sind.“ Immer wieder telefoniere er mit den Familien, um sie nach der Abschiebung auf die Ankunft ihrer Kinder vorzubereiten. „Ich erkläre dann, dass sie nichts falsch gemacht und sich wirklich bemüht haben, in Deutschland zu bleiben.“

Diese Art von Telefongespräch kennt Razakou Aboubakari gut. Aboubakari, Lehrer in der Region Tchaoudjo in Togo, hat 2008 die togoische Vereinigung der Abgeschobenen gegründet. Gerade eben hat Aboubakari in der zweiten Klasse Französisch unterrichtet, jetzt ist Mittagspause, Aboubakaris Erzählungen mischen sich mit Pausenhofgeräuschen. „Es wird hier als Schande angesehen, abgeschoben zu werden“, sagt er, „die meisten schämen sich – gegenüber der Familie, den Freunden, dem Dorf, dem Viertel.“ 2017 etwa schickten Togoer umgerechnet etwa 507 Millionen US-Dollar nach Hause und erwirtschafteten damit knapp 10 Prozent des BIP. 2023 waren es mehr als 7 Prozent des BIP. „Der, der die Familie ernährt hat, muss jetzt selbst mit durchgefüttert werden, das ist ein riesiges Problem für die Familien“, sagt Aboubakari.

Aboubakari und die anderen Ehrenamtlichen begleiteten Rück­keh­re­r*in­nen zu ihren Familien. Aber von den einst 40 Mitgliedern der Vereinigung sind nur noch wenige aktiv, und für kaum eine Aufgabe reicht das Geld. Kürzlich hätten sie zum Beispiel eine Frau beherbergt, die auf dem Weg zum Mittelmeer mehrfach vergewaltigt worden sei. „Die sichtbaren Wunden konnten wir behandeln, das Krankenhaus bezahlen, aber sie braucht dringend psychologische Unterstützung und dazu haben wir einfach nicht die Mittel.“ Viele der Zurückkehrenden stürzten in Depressionen.

„Ich versuche, klarzukommen, aber innerlich geht es mir nicht gut“, sagt Idemudia. Meist sei er zu Hause, genau genommen in dem halb fertig gebauten Haus, das er für die Familie mit seinem Lohn finanziert hatte, bis die Abschiebung ihm zuvor kam. Alte Freunde aus Nigeria hätten sich nach der Abschiebung von ihm abgewandt, viele aus Deutschland antworteten nicht mehr auf seine Nachrichten. „Es ist schwierig, wieder Menschen zu vertrauen, wenn du all das erlebt hast“, sagt Idemudia. Einen Job habe er bislang nicht gefunden. Im Januar 2024 habe er versucht, ein zweites Mal nach Europa zu kommen, erzählt er. „Ich habe keinen anderen Weg gesehen, um meiner Depression zu entkommen.“ Er scheitert.

Wie schwierig es für die Zurückgekehrten ist, wieder anzukommen, berichtet auch Ousmane Diarra aus Bamako. Nach seiner eigenen Abschiebung aus Angola hat er 1996 hat er die Malische Vereinigung der Abgeschobenen gegründet. „Dass die Kredite für die Flucht zum Teil noch nicht abbezahlt sind, macht die Rückkehr noch komplizierter“, sagt Diarra. Angefangen haben die Ak­ti­vis­t*in­nen in Bamako mit Sprechstunden am Flughafen, wo viele der Abgeschobenen ankommen. Inzwischen betreibt die Organisation eine Unterkunft, in der die Menschen bis zu 72 Stunden bleiben können, bevor sie zu ihren Familien weiterreise, erzählt Diarra.

„Dort bekommen sie Kleidung, Verpflegung und medizinische Versorgung.“ Zugleich prüften die An­wäl­t*in­nen der Organisation die Rechtmäßigkeit der Abschiebung. Zum Teil mit Erfolg: „Manchmal schaffen wir es gemeinsam mit den An­wäl­t*in­nen im früheren Aufnahmeland dafür zu sorgen, dass die Abschiebung rückgängig gemacht wird“.

An einem solchen Fall arbeitet Gwendolin Buddeberg. Die Rechtsanwältin aus München erfuhr von der Abschiebung ihres Mandanten erst, als Bright Obasuyi schon in Nigeria angekommen war. „Es war total überraschend“, sagt Buddeberg. Obasuyis Asylantrag war trotz seiner schweren psychischen Erkrankung abgelehnt worden. „Ein umfangreiches Gutachten seiner Psychiaterin über seine Reiseunfähigkeit lag der Ausländerbehörde Oberbayern vor“, sagt Buddeberg. Besteht die Gefahr, dass sich der Gesundheitszustand einer Person wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, darf nicht abgeschoben werden. Diese Gefahr sah die Psychiaterin bei Obasuyi.

Die Ausländerbehörde habe ein Gegengutachten beantragt, erzählt Buddeberg. „Während der Untersuchung durch den Amtsarzt hatte Obasuyi einen Wahnanfall, der Termin musste abgebrochen werden.“ Obasuyi selbst berichtet, dass er es zum zweiten Termin nicht schaffte, auf dem Weg erlitt er einen epileptischen Anfall und musste ins Krankenhaus. „Wir konnten mit einem Arztbrief aus dem Krankenhaus glaubhaft machen, dass er nicht erscheinen konnte, und haben auf die Festsetzung eines neuen Termins gewartet“, sagt Buddeberg.

Gewaltvolle Abschiebung

„Aber dann wurde er ohne neuen Termin einfach abgeschoben.“ Aus den E-Mails zwischen Ausländerbehörde und Amtsarzt wisse sie, dass der Amtsarzt nach der ersten Untersuchung davon ausgegangen ist, dass Obasuyi nicht reisefähig und für die Entscheidung über die Reiseunfähigkeit eine weitere Untersuchung erforderlich sei.

Doch auf Anfrage bei der Ausländerbehörde heißt es, dass ein fachärztliches Gutachten Obasuyis Reisefähigkeit „im Rahmen einer medizinisch und sicherheitsbegleiteten Abschiebung“ bestätigt habe. Wie das möglich ist, ohne zweiten Termin? „Vieles deutet darauf hin, dass diese Abschiebung nicht rechtmäßig war“, sagt Anwältin Buddeberg. Beim Verwaltungsgericht München hat Buddeberg gegen die Abschiebung geklagt und per Eilverfahren beantragt, dass das Gericht die Rückführung von Obasuyi nach Deutschland anordnet.

Viele werden von ihren Familien ­­zurück­gewiesen

Rex Osa, Aktivist in Nigeria

„Mein ganzes Leben ist kaputt“, sagt Obasuyi, der trotz allem Deutschprüfungen abgelegt, einen Integrationskurs besucht hat und im September eine Ausbildung zum Lagerlogistiker beginnen wollte. „Er wirkt von der Abschiebung total traumatisiert“, sagt Buddeberg. Obasuyi berichtet von massiver Gewalt. Sämtliche Körperteile und auch sein Kopf seien im Flugzeug fixiert worden. Selbst als er vor Schmerzen schrie, habe man seinen Kopf weiterhin fixiert. Gegen seinen Willen seien ihm Medikamente eingeflößt worden. Ein Video zeigt, wie Obasuyi reglos auf einem Sitz im Flughafen hängt, Speichel tropft aus seinem Mund.

„Er wurde mit aller Gewalt abgeschoben, aber wenn die Abschiebung rechtmäßig gewesen wäre, wäre möglicherweise auch die Gewaltanwendung rechtens gewesen“, sagt Anwältin Buddeberg. „Das deutsche Recht erlaubt, dass festgebunden und sediert wird, wer sich wehrt“. Die Bundespolizei will sich nicht zu Obasuyis Abschiebung äußern. Über den Eilantrag hat das Verwaltungsgericht München noch immer nicht entschieden – auf taz-Anfrage mit der Begründung, dass es sich um einen sehr komplexen Sachverhalt handele. Seine Medikamente und das Zimmer in Benin City zahlen momentan Obasuyis Un­ter­stüt­ze­r*in­nen in Deutschland. „Bis Februar habe ich noch Medikamente“, sagt Obasuyi. „Ich habe sehr große Angst, was danach passiert“.

„Wenn wir transnational zusammenarbeiten, können wir viel mehr schaffen“, sagt Ousmane Diarra und bezieht das nicht nur auf die Unterstützung von Abgeschobenen. Druck auf die Herkunftsstaaten aufbauen, um der Externalisierung der EU-Grenzen Einhalt zu gebieten, das ist die Strategie von Ak­ti­vis­t*in­nen in Nord- und Westafrika. Die Ak­ti­vis­t*in­nen arbeiten auch daran, das vielerorts noch immer vorherrschende Bild der Europas als Kontinent der Menschenrechte zu entkräften. „Die Abschottung Europas hat uns diese ganzen Dramen gebracht: die Zurückweisungen, die Abschiebungen, das Sterben im Mittelmeer“, sagt Diarra.

Richies Idemudia hofft, bald genug Geld für sein eigenes Gewerbe zusammen zu haben. Vielleicht ein gebrauchtes Auto kaufen, Taxi fahren. Dann könnten auch seine Freundin und sein einjähriger Sohn zu ihm ziehen, sie sind noch in Lagos, bei den Schwiegereltern. „Gerade geht das noch nicht, weil ich sie nicht versorgen kann“, sagt Idemudia. „Ich wünsche mir so sehr, dass sie bei mir sein könnten, gerade jetzt, wo Weihnachten kommt“. Und, dass seine Eltern endlich seinen Sohn kennenlernen.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen