Nach den Regionalwahlen in Frankreich: Der aufhaltsame Aufstieg des FN
Der rechtsextreme Front National liegt in Führung. Die Strategie war seit Langem bekannt, aber niemand nahm sie ernst.
Tatsächlich aber ist beim ersten Durchgang der Regionalwahlen etwas eingetreten, was die Gegner der extremen Rechten in Frankreich seit vielen Jahren geahnt, aber nicht wirklich als politische Perspektive ernst genommen haben: Die Machteroberung durch den Front National ist nicht mehr eine spielerische Hypothese von Politologen, sondern eine reelle Aussicht.
Das kann man nach diesem ersten Wahlsonntag in den Regionen nicht mehr wegreden. Denn in 6 von 13 Regionen liegt der Front National (FN) in Führung. Und dies zum Teil sehr deutlich mit mehr als 40 Prozent der Stimmen im Süden zwischen Marseille und Nizza (Provence-Alpes-Côted’Azur)und auch im Norden vom Ärmelkanal bis ins Elsass (in den Regionen Nord-Pas-de-Calais-Picardie und Alsace-Lorraine-Champagne-Ardenne). Und mit klaren Abstand zu den Gegnern.
Außer vielleicht bei den Präsidentschaftswahlen von 2002, als Jean-Marie Le Pen gegen Jacques Chirac in die Stichwahl kam, hat der FN noch nie einen solchen Triumph feiern können. Anders als ihr Vater will aber die heutige Parteichefin Marine Le Pen nicht nur provozieren und schockieren. Sie will wirklich an die Macht. Für sie sind diese Regionalwahlen kein Selbstzweck, sondern eine letzte Etappe vor 2017, wenn es um die Präsidentschaft und die Regierungsmacht geht. Das wusste man seit Langem, so unaufhaltsam wäre dieser Marsch durch die Institutionen nicht.
Spiel gegen das System
In den Analysen der Ergebnisse wird immer wieder betont, es handelt sich um ein Votum der Angst und der angestauten Wut in Volksschichten, die sich von den übrigen Parteien vergessen und verraten fühlen. Doch daran dürfte sich in knapp zwei Jahren nichts ändern.
Der FN spielte auch in dieser Wahlkampagne geschickt mit dem Image einer „Antisystem“-Partei, die vom Establishment der Politik und der Medien ausgegrenzt wird. Viele FN-Wähler kennen das FN-Programm nicht oder sind mit dessen Inhalt nicht einverstanden; aber sie identifizieren sich mit einer Partei, die ihnen sagt, sie sei als einzige für die herrschenden Verhältnisse überhaupt nicht mitverantwortlich.
Die Sozialisten, die seit 2004 und 2010 mit anderen Linksparteien und den Grünen außer im Elsass in allen Regionen (damals waren es noch 22) eine Mehrheit hatten, sind dieses Mal fast überall auf dem dritten Platz gelandet und haben in einigen nicht einmal mehr 20 Prozent. Sie bezahlen damit die Zeche für eine Regierung, deren Leistungsbilanz auch in den eigenen Reihen schwer enttäuscht hat.
Eben daher trat die Linke zudem gespalten und zerstritten an. Die Grünen hatten in den meisten Fällen das Angebot der Sozialisten, gemeinsame Listen zu bilden, abgelehnt. Auch die „Linksfront“ aus Linkspartei und Kommunisten trat mit eigenen Listen an, während die parlamentarische Rechte überall geeint kandidierte.
Zersplitterte Linke
Zusammengezählt wären die Listen der gesamten Linke eindeutig die stärkste Kraft. Jetzt aber ist der FN ebenso klar mit einem durchschnittlichen Wähleranteil von 28 bis 30 Prozent die stärkste Partei Frankreichs.
Die französische Republik ist seit den 50er Jahren – neben den Departements – auch in Regionen gegliedert. Sie sollen die staatliche Planung verbessern.
Ihre Anzahlwurde 2014 von 27 auf 17 (inklusive Überseegebiete) verringert, damit sie mehr Gewicht im europäischen Wettbewerb erhalten. In der neuen Region Nord-Pas-de-Calais-Picardie etwa leben mit 6 Millionen mehr Menschen als in Dänemark.
Für Ärger sorgt die Reform trotzdem bis heute. Nach wie vor wollen die Elsässer nicht mit den ärmeren Lothringern und den Bürgern von Champagne-Ardenne in einer Region leben, anderswo wird immer noch darüber verhandelt, welcher Ort Regionalhauptstadt sein soll.
Die Kompetenzen der Regionalbehörden und ihrer Vorsitzenden jedoch sind begrenzt: Sie sind zuständig für Wirtschaftsförderung, Raumplanung, Kultur, Berufsschulen und Vereine.
Finanziell sind die Regionen auf die Zentralregierung in Paris angewiesen, eigene Steuereinnahmen haben sie kaum.
Regionalräte werden für sechs Jahre gewählt. Wenn bei der Wahl keine Liste 50 Prozent erhält, gibt es einen zweiten Durchgang. Teilnehmen können Listen, die mindestens 10 Prozent erhalten haben. Um klare Mehrheiten zu erreichen erhält der Sieger Bonus-Sitze. (rb)
Für das bürgerliche Lager hat sich die Wahleinheit gelohnt. Wo der FN besonders stark ist, liegen die Listen von Konservativen und Zentristen auf dem zweiten Platz. Kleinlaut, aber im Namen ihrer Prinzipien haben die Sozialisten darum angekündigt, dass sie mindestens in den drei Fällen, wo der FN die größten Chancen auf die Eroberung der Region hat, ihre Listen aus der Stichwahl zurückziehen. Sie ziehen es damit vor, den konservativen Gegnern eine Chance in der Stichwahl zu geben. Ob das reicht, um den FN am kommenden Sonntag im Norden oder an der Côted’Azuran der Wahlurne zu stoppen, ist ungewiss.
Auch in den übrigen Fällen wird die gespaltene Linke ihre Mühe haben, sich jetzt in wenigen Tagen noch zusammenzuraufen. Ihre einzige Motivation dazu ist, den FN mit allen Mitteln am Durchbruch zu hindern: Wo immer es geht mit einer letzten dramatischen Mobilisierung; und andernfalls mit dem Gegenteil: einem Verzicht, der den Bürgerlichen das Feld überlässt.
Kapitulation aus Angst
Für die Linke ist diese Kapitulation aus Angst vor einem totalen Wahlsieg der extremen Rechten eine politische Katastrophe, denn die Geste aus demokratischer Überzeugung wird von rechts nicht erwidert. Expräsident Nicolas Sarkozy, der Chef der konservativen Partei Le Républicains (LR), hat noch am Wahlabend sofort erklärt, dass seine Listen nirgends zurückgezogen werden, wo sie für den zweiten Durchgang qualifiziert sind – also heißt auch dort nicht, wo diese keine Chancen haben und wo die Linke im Finale gegen den FN klar die besseren Aussichten hätte.
Das kann angesichts der Ausgangslage nichts anderes heißen, als dem FN voraussichtlich zwei oder drei Regionen zu überlassen. Sarkozy hat mehrfach gesagt, dass die extreme Rechte des FN für ihn als Gegner nicht schlimmer sei als die Sozialisten.
So oder so sind diese Wahlen in den Regionen für Staatspräsident François Hollande und seine sozialistische Regierung eine Katastrophe zu einem Zeitpunkt, wo die französische Staatsführung im Kampf gegen den Terrorismus oder auch in laufenden Verhandlungen an der Pariser Klimakonferenz ein Maximum an Glaubwürdigkeit und Autorität bräuchte.
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