Nach dem deutschen WM-Debakel: Die Tugenddebatte schwillt schon an
Die verweichlichte, deutsche Jugend soll also schuld sein. Unterirdischer könnte die Diskussion nach dem deutschen WM-Aus kaum sein.
Was ist nur mit der deutschen Jugend los? Na klar, es wird wieder mal ganz grundsätzlich, wenn es darum geht, das andauernde Scheitern deutscher Fußballauswahlteams bei großen Turnieren zu begründen. Die faule deutsche Jugend, mit der man als Arbeitgeber nicht mehr machen kann, was man möchte, war eines dieser merkwürdigen Kulturkrampfthemen dieses Jahres.
Nur logisch also, dass Repräsentantinnen dieser leistungsverweigernden Generation bei der Fußball-WM keine Chance haben. Wenn heute in Kommentaren davon die Rede ist, dass es die anderen viel mehr gewollt haben als die Deutschen, dann schwingt diese Kritik an der leistungslosen deutschen Jugend nicht selten mit.
Der deutsche Sportwissenschaftler Ingo Froböse sieht Deutschland in den Tagen nach dem WM-Aus in der Vorrunde gar auf dem Weg zum Sportentwicklungsland. Sein Facebook-Post dazu wird rauf und runter zitiert. Es werde zu wenig über Leistung gesprochen, meint er und erinnert an die Diskussion über die Bundesjugendspiele im Sommer. Dann wäre das ja geklärt. Deutschland war also früher eine so große Sportnation, weil es normal war, Kinder, auch wenn sie es nicht wollten, mit der Stoppuhr über den Platz zu jagen. Man hört sie schon anschwillen, die Debatte über Kuschelpädagogik im Sportunterricht. Oje.
Wider den Druck
Dabei hat der Sport doch gerade angefangen, jenen Athletinnen und Athleten Raum zu geben, die offen über den irrwitzigen Druck sprechen, der auf ihnen lastet und der von Trainerinnen und Betreuern auf sie ausgeübt wird. Superturnerin Simone Biles wird gerade dafür gefeiert, dass sie ihren ersten Wettkampf seit den Olympischen Spielen von Tokio geturnt hat.
Dort war sie wegen psychischer Probleme ausgestiegen. Die Leistung, zu bekennen, dass sie micht mehr kann, ist mindestens genauso hoch einzuschätzen wie die Anstrengungen, die hinter ihren zahlreichen olympischen Goldmedaillen stehen.
Und was geschieht in Deutschland nach dem WM-Aus? Da beklagen Expertinnen und Klugscheißer im vorgerückten Alter die mangelnde Widerstandsfähigkeit der Sportlerinnen in Drucksituationen im Speziellen und die Faulheit der jungen Leute im Allgemeinen. Statt über die fehlende taktische Variabilität der deutschen Auswahl zu diskutieren, kommt von irgendwoher der Ruf nach mehr Straßenfußballerinnen.
Die Hoffnung auf hungrige Spielerinnen, die sich durch den Fußball aus dem Elend einer verkommenen Vorstadtsiedlung ins Rampenlicht spielen, ist auch nichts anderes als der Vorwurf an die ach so satte Generation von Sportlerinnen, denen es doch eigentlich viel zu gut gehe.
Ob derartige Einlassungen dazu geeignet sind, junge Leute für den Spitzensport zu begeistern? Wohl kaum.
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