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Nach dem Corona-ImpfgipfelImpfen für alle!

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Die Bund-Länder-Runde hat eine Chance verpasst. Bei den Haus­ärz­t:in­nen sollte die Impfpriorisierung nicht erst im Juni aufgehoben werden – sondern sofort.

Leider noch geschlossen: Impfzentrum in der Sport- und Kongresshalle Schwerin Foto: dpa

F ür Kanzlerin Angela Merkel war es eine gute Botschaft. Spätestens ab Juni könne sich je­de:r um eine Impfung bemühen. Bis dahin solle aber ausschließlich die dritte Prioritätengruppe geimpft werden, zu der unter anderem die 60- bis 70-Jährigen gehören wie auch die Polizei, die Feuerwehr und die Beschäftigen des Lebensmitteleinzelhandels.

Damit sind Vorstöße von Ärzteverbänden vorerst gescheitert, die Impfpriorisierung zumindest bei Haus­ärz­t:in­nen aufzugeben. Auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte das – erfolglos – unterstützt. Die Chance ist aber nicht dauerhaft vertan. Schließlich ist für die Corona-Impfverordnung der Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zuständig. Er kann die Verordnung auch ohne einen Bund-Länder-Konsens ändern.

Wohl niemand stellt infrage, dass die Impfpriorisierung grundsätzlich eine richtige Idee war. Als die Impfstoffproduktion im Winter erst langsam anlief, sollten zunächst die über 80-Jährigen geimpft werden sowie ihre Ärz­t:in­nen und ihr Pflegepersonal. Die Konzentration auf die Verletztlichsten war nicht nur ethisch korrekt, sondern auch medizinisch erfolgreich. Während in der zweiten Corona-Welle zeitweise je­de:r zweite Tote aus einem Pflegeheim stammte, sind es heute nur noch etwa drei Prozent.

Doch inzwischen steht viel mehr Impfstoff zur Verfügung als im Januar. Seit drei Wochen impfen auch Hausärzt:innen. Pro Woche gehen derzeit 2,25 Millionen Impfdosen an Impfzentren und eine weitere Million Dosen an Arztpraxen. Man kann nun also durchaus beides machen. In den Impfzentren sollte weiter nach Priorität geimpft werden, dagegen könnte bei den Haus­ärz­t:in­nen je­de:r zum Zug kommen.

Es gibt schon Ausnahmen

Wenn die Ärz­t:in­nen nicht strikt nach staatlich vorgegebener Priorität impfen müssten, würde ihnen das viel bürokratischen Aufwand sparen. Den Nutzen hätte aber die ganze Gesellschaft, weil dadurch die Impfkampagne insgesamt schneller vorankäme. Und auch die Ärz­t:in­nen werden sicherlich nach ethischen Kriterien vorgehen (und nicht nur ihre Freun­d:in­nen und deren Freun­d:in­nen impfen).

Die Impfpriorisierung ist ohnehin schon aufgeweicht. Vier Bundesländer – Bayern, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen – verimpfen bereits jetzt AstraZeneca an alle, die damit geimpft werden wollen. Sie nutzen dabei eine Ausnahmeklausel der Impfverordnung, die eine „zeitnahe Verwendung vorhandener Impfstoffe“ sicherstellen soll.

Wenn demnächst die Be­triebs­ärz­t:in­nen in die Impfkampagne einbezogen werden, müssen sie wohl auch von der Priorisierung ausgenommen werden. Schließlich ist es sinnvoll, in einem Betrieb alle Beschäftigen auf einmal zu impfen und nicht nach dem Alter zu differenzieren.

Stures Beharren auf Regeln schadet

Wenn nun zumindest ein Teil der Impfkampagne für alle geöffnet wird, wäre das auch gut für die Akzeptanz der Coronamaßnahmen insgesamt. Immerhin wird derzeit auch über Lockerungen für Geimpfte und Genesene diskutiert. Wer besonders unter Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen leidet, könnte sich dann auch nachdrücklich um eine Impfung bemühen und sich vertrauensvoll an sei­n:e Ärz­t:in wenden.

Die Logik des Impfgipfels war leider umgekehrt. Lockerungen für Geimpfte und Genesene werden bis Ende Mai verzögert, obwohl sie heute schon möglich und vermutlich auch rechtlich geboten wären. Grund dafür ist wohl, dass erst ab Juni alle Bür­ge­r:in­nen Zugang zur Impfung haben.

So erhöht das sture Festhalten an der einmal geplanten Impf-Reihenfolge auch die juristischen Risiken. Dagegen ermöglicht die sofortige Öffnung der Impfung für alle auch die schnelle Lockerung für Geimpfte und Genesene, was wiederum auch Kultur, Sport und Gastronomie zugute käme.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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6 Kommentare

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  • Fairerweise muss man sagen, dass es im Prinzip auch ein Argument gibt für die Auflockerung der Reihenfolge nach Alterssstufen: Wenn bestimmte Altersgruppen erst zuallerletzt geimpft werden, wie junge Eltern mit Schulkindern, erhöht dies das Risiko, dass sich das Virus in Folge der allgemeinen Lockerungen in diesen Gruppen praktisch ungebremst verbreitet und auf dem Weg über diese Menschen dann wieder die gesamte Gesellschaft erreicht.

    Allerdings spricht dieser Aspekt nicht gegen das Prinzip, die Menschen, welche besonders gefährdet sind, wirklich zuerst zu impfen - das ist noch nicht abgeschlossen! - , und Schutzmaßnahmen noch eine Weile länger aufrecht zu erhalten.

  • Der Kommentar macht mehrere Annahmen, die nicht erfüllt sind:

    * die Hausärzte hätten mehr als genug Impfstoff zur Verfügung. In Wirklichkeit hat mich die Webseite meines (bayrischen) Hausarztes gerade davon informiert, dass momentan noch die über-70-jährigen geimpft werden und nicht viel Impfstoff vorhanden ist.

    * Von geimpften Menschen gehe keinerlei Gefahr aus, und Menschen die geimpft seien, seien nicht mehr gefährdet. Sicherlich reduziert die Impfung sowohl das Risiko, die Krankheit weiter zu geben, als auch das Risiko, schwer zu erkranken. Diese Reduktion macht aber die massiven Unterschiede in der Gefährdung insbesondere zwischen verschiedenen Altergruppen nicht weg.

    de.wikipedia.org/w..._des_Sterberisikos

    "Laut einer vorveröffentlichten Studie steigt der geschätzte Infizierten-Verstorbenen-Anteil von 0,004 % (0 bis 34 Jahre) auf 0,06 % (bis 44 Jahre), 0,2 % (bis 54), 0,7 % (bis 64), 2,3 % (bis 74) auf 7,6 % (bis 84) bzw. 22,3 % (85 und älter)."

    Somit sind zB Leute im Alter zwischen 44 und 54 *mit* Impfung immer noch einem weit höherem Risiko ausgesetzt als Menschen unter 34 *ohne* Impfung (bei Vernachlässigung der Long Covid Spätfolgen, die sich vermutlich deutlich anders verteilen).

    Und da steht vor dem Grundrecht auf Handlungsfreiheit das Recht auf Leben und Gesundheit von schutzbedürftigen Mitgliedern der Gesellschaft.

    * Die Hausärzte seien in der Lage, kurzfristig und mühelos Impftermine für alle zu organisieren. Das ist nicht der Fall - die sind vom Ansturm der Impfwilligen überlastet

    * alle Personen, die medizinisch besonders gefährdet seien, seien bereits geimpft. Das ist nicht der Fall.

    * eine Ausweitung der Menschen, die sich impfen lassen können, erhöhe die Akzeptanz der Maßnahmen. In Wirklichkeit wird dann in kürzester Zeit argumentiert werden, wer mehr Schutz wolle, könne sich ja impfen lassen - ohne dass die Betreffenden dann tatächlich zeitnah Termine bekommen können.

    Das ist nicht sehr solidarisch.

  • Warum sollten Ärzte jetzt auf einmal anders handeln als bei der Unterscheidung von Privat- und Normalpatienten? "Hören sie mal, ich könnte da auch was drauflegen, wenn sich da was machen lässt..."



    Sicherlich gibt es auch Ärzte, die so etwas nie machen würden, aber DAS ist doch die Ausnahme und nicht die Regel.

    • 0G
      08630 (Profil gelöscht)
      @Helmut van der Buchholz:

      Es ist doch umgekehrt: Gestern Abend um 20:30 Uhr rief mich noch meine Hausärzten an, das ich nun in der Woche Chance haben als Risikopatient geimpft zu werden.

  • "Und auch die Ärz­t:in­nen werden sicherlich nach ethischen Kriterien vorgehen (und nicht nur ihre Freun­d:in­nen und deren Freun­d:in­nen impfen)."

    "Werden sicherlich"? Aha. Gibt es dafür Beweise? Ich habe in meinem Umkreis von Ärzten und Ärztinnen gehört die verkünden sie können Impfen wen SIE wollen. Sie würden entscheiden. Und das war verbunden mit einem Angebot an Freunde und Verwandte. Und wenn die sowieso schon oft übergangene Impfreihenfolge jetzt noch ausgesetzt wird, dann können sich Menschen die noch nicht geimpft sind und zur Risikogruppe gehören nochmal wieder hinten anstellen, da erstmal alle dran kommen werden, die Beziehungen haben und sich noch nicht getraut haben diese zu nutzen. Dieses blinde Vertrauen in die Privilegierten und die Bourgeoisie hätte ich von der taz, die ja eher links ausgerichtet ist nicht erwartet. Wenn ein so kostbares, knappes und wichtiged Gut wie Impfstoff jetzt wie in der freien Marktwirtschaft für den meistbietenden/bestvernetzten angeboten wird, wird die Mehrheit davon nicht profitieren. Aber wen kümmert das noch? Die haben ja keine Lobby/Medienaufmerksamkeit. Den Diskurs bestimmt immernoch die Obrigkeit.

  • Ist das nicht ein Missverständnis? Hausärzte können schon jetzt Menschen mit Vorerkrankungen unabhängig vom Alter impfen. Sie können auch Atteste ausstellen, mit dem man sich auch unabhängig vom Alter in Impfzentren impfen lassen kann.

    Die Aufhebung der Priorisierung hieße nur, dass sich JEDER unabhängig vom Alter oder von irgendwelchen Risiken im Falle einer Infektion um eine Impfung bemühen kann. Da aber noch lange nicht genug Dosen für alle verfügbar sind, wird das einfach heißen, dass weniger von denen geimpft werden, die das wirklich brauchen. Stattdessen wird "Vordrängeln" dann einfach normalisiert, dann ist sich halt jeder selbst der Nächste. Und die ohne Beziehungen sind halt die letzten, die dann geimpft werden.

    Und bis die Anzahl der Geimpften sich insgesamt auf die Ausbreitung der Pandemie auswirkt, müssen ohnehin noch sehr viel mehr Menschen geimpft werden.