Nach Wahlerfolg in Hannover: Grüne Pflänzchen im Norden
Belit Onay wird neuer OB von Hannover. Bisher schafften es die Grünen nur im Südwesten in die Rathäuser. Eine Zeitenwende?
Berlin taz | Bei den Grünen herrschte am Montag eitel Sonnenschein. Hannovers neuer Oberbürgermeister Belit Onay bringe „mit seiner Empathie und seinem Gestaltungswillen“ frischen Wind in die Stadt, lobte Parteichefin Annalena Baerbock. Der Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir nannte Onays Sieg schlicht „grandios“. Und Sven-Christian Kindler, Haushaltsexperte der Bundestagsfraktion, twitterte, man habe „gemeinsam Geschichte geschrieben“.
In der Tat haben die Grünen in Hannover eine kleine Sensation geschafft: Der 38-jährige Onay setzte sich am Sonntag in der Stichwahl mit 52,9 Prozent gegen seinen CDU-Konkurrenten durch. Ein Grüner im Rathaus, das ist neu in einer Stadt, die über 70 Jahre von Sozialdemokraten regiert wurde. Onay ist zudem der erste Oberbürgermeister mit Migrationshintergrund in einer deutschen Landeshauptstadt.
Bisher eroberten die Grünen Rathäuser vor allem im Südwesten der Republik. Stuttgart wird von Fritz Kuhn regiert, Tübingen von Boris Palmer und in Freiburg saß bis 2018 der Grüne Dieter Salomon am Ruder. In Baden-Württemberg gehört eine starke kommunale Verankerung zur grünen Historie. Hier gab es früh grüne Beigeordnete, hier wurde Elmar Braun 1991 in Maselheim der erste grüne Bürgermeister in Deutschland. Und hier wurde Winfried Kretschmann 2011 der erste grüne Ministerpräsident eines Bundeslandes überhaupt. Dass er das geschafft hat, liegt auch an der Präsenz der Grünen in der Fläche.
Werden die Grünen im Norden nun das, was sie im Südwesten schon sind? Hannover ist schließlich nicht das erste bemerkenswerte Zeichen. Mitte Juni wurde Anna Kebschull als grüne Landrätin gewählt. Sie gewann die Wahl im Landkreis Osnabrück, einer CDU-Hochburg. Ihr Sieg wurde auch in der Unions-Bundestagsfraktion aufmerksam registriert. Wenn Grüne in Osnabrück gewinnen, dann sei kaum ein Wahlkreis noch sicher, hieß es bei den Abgeordneten. Osnabrück liegt ebenfalls in Niedersachsen, gerade mal 140 Kilometer von Hannover entfernt.
Eine inhaltliche Zeitenwende
Niedersachsens Grünen-Landeschefin Anne Kura gab sich selbstbewusst. Die Erfolge Onays und Kebschulls zeigten, dass die Grünen sich „ein breites kommunalpolitisches Standing“ erarbeitet hätten. „Die NiedersächsInnen trauen uns zu, erfolgreich Rathäuser und Landratsämter zu führen.“ Baerbock wollte den Nord-Süd-Vergleich nicht anstellen. Baden-Württemberg lasse sich nicht eins zu eins auf den Norden Deutschlands übertragen. Auch habe Onay bei seinem Erfolg nicht geschaut, wie es in Stuttgart gelaufen sei. „Man kann am besten verändern, wenn man sich der Realität vor Ort stellt“, sagte Baerbock. „Und die Realität vor Ort ist in vielen Städten sehr unterschiedlich.“
Da ist etwas dran. Während die Grünen in Teilen der Republik auch in der Fläche stark sind, kämpfen sie anderswo mit erheblichen Problemen. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen schnitten sie jenseits der Großstädte sehr schlecht ab.
Auch die Situation in Hannover war eine Besondere. Die SPD hatte sich in ihrem angestammten Revier selbst durch eine Rathausaffäre geschwächt. Der ehemalige Oberbürgermeister Stefan Schostok war im April zurückgetreten, weil er von unzulässigen Gehaltszuschlägen für Spitzenbeamte gewusst haben soll. Nachdem im ersten Wahlgang keiner der Bewerber die nötige Mehrheit schaffte, dürfte Onay in der Stichwahl davon profitiert haben, dass ihm ehemalige SPD-WählerInnen ihre Stimme gaben.
Doch gleichzeitig steht sein Sieg auch für eine inhaltliche Zeitenwende. Hannover galt seit jeher als Sinnbild der „autogerechten Stadt“, die Nähe zu Wolfsburg und VW und der Sitz der Landesregierung taten ihr Übriges. Onay vertritt eine andere Agenda. Ganz oben stehen: weniger Autoverkehr, eine bessere Luft in der Innenstadt, mehr Fahrradwege, ein besserer ÖPNV. Wenn schon Auto, dann wenigstens Carsharing.
Und die Grünen planen schon den nächsten Schritt, um Norddeutschland ein bisschen südwestdeutscher zu machen. Am Samstag wählten die Hamburger Grünen Katharina Fegebank zur Spitzen- und Bürgermeisterkandidatin für die Bürgerschaftswahl im Februar 2020. Ihre Kandidatur ist eine Kampfansage an die SPD. Zum ersten Mal will eine Grüne offiziell das Amt der Ersten Bürgermeisterin erringen.
Leser*innenkommentare
Charlotte Sturm
Liebe Taz, jetzt wäre doch mal eine Landkarte der Republik fällig mit wirklich allen! grünen Landräten, Bürgermeistern und Oberbürgermeistern!
Die Heisze Br@ut
An dieser Stelle würde ich Greifswald nicht unerwähnt lassen. Ganz im Norden und ganz im Osten.
Adelheid
Migrationshintergrund
Wenn gerade die taz aufhören würde, auf den "Migrationshintergrund" eines Menschen hinzuweisen, wäre das für mich die Sensation überhaupt!!! Nach wie vielen Generationen fällt dieser Zusatz endlich weg??? Es ist keine Besonderheit, sondern Normalität Vorfahren aus anderen Ländern zu haben.
shashikant
@Adelheid Kennen Sie neben Cem Özdemir und Sahra Wagenknecht andere bekanntere (!) PolitikerInnen mit ausländischen Wurzeln in Deutschland?
In London gibt es einen ausländischstämmigen Bürgermeister, der Ministerpräsident von Irland hat ausländische Wurzeln, obwohl es in Irland nach meiner Einschätzung deutlich weniger Ausländer gibt. Es gibt noch viel zu tun.
Bücherfan
Auch ich gratuliere Herrn Onay ganz herzlich und wünsche ihm Erfolg bei seiner Arbeit. Als Grüne aus Baden Württemberg möchte ich noch ergänzen, dass die Daimler Stadt Böblingen auch einen grünen Bürgermeister hat.
shashikant
Herzlichen Glückwunsch, Herr Onay!
Auch wenn Herr Özdemir vor Ihnen da war, ist das für mich nochmal ein bißchen so, wie die Wahl von Obama für die Schwarzen in den USA.
Alles Gute!
Ada Zaurak
@shashikant wow ... wieviel kriegstote hat dieser obama zu verantworten? da hat der onay ja noch einiges zu tun, um deinen erwartungen gerecht zu werden ...
shashikant
@Ada Zaurak Ich empfehle Dir, vor dem Verfassen eines Kommentars zu verstehen, was der Autor (in diesem Fall ich) gemeint haben könnte.
Die Bedeutung Obamas als erstem schwarzen Präsidenten der USA hat nichts zu tun mit seiner anschließenden Politik. Es geht darum, daß jemand mit seiner Hautfarbe Präsident werden konnte. Ansonsten glaube ich, daß alle Menschengruppen in statistischer Sicht etwa die gleichen Anlagen haben in Bezug auf Intellekt und Empathie.
Ich glaube, daß Margret Thatcher wesentlich mehr Fehler als Regierungschefin gemacht hat als Obama. Aber es war erfreulich, daß Sie die erste RegierungschefIn von UK geworden ist.
Jörg Kahl
"Mitte Juni wurde Anna Kebschull zur ersten grünen Landrätin in der Republik gewählt."
In Bayern amtieren breits seit 2014 mit Jens Marco Scherf im Landkreis Miltenberg und Wolfgang Rzehak im Landkreis Miesbach zwei grüne Landräte.