Nach „Volksverrat“-Vorwurf: AfD streitet weiter um Russlandkurs
Nachdem der AfD-Abgeordnete Lucassen zwei Kollegen „Volksverräter“ nannte, drohen ihm interne Konsequenzen. Gleiches gilt für den Putin-Fan Tillschneider.
Schmidt war mehrfach in russischen Propaganda-Sendungen aufgetreten und hatte dabei unter anderem gesagt, in Deutschland gebe es keine Demokratie und keinen Rechtsstaat. Auch Kotré taucht häufig in russischen Medien auf und reiste in Vergangenheit als Pseudowahlbeobachter nach Russland.
Lucassen, der als Oberst der Bundeswehr selbst zeitweise Chairman einer Nato-Gruppe für Standardisierungsverfahren war, hatte Auftritte von Fraktionskollegen wie Schmidt, aber auch Kotré bereits mehrfach kritisiert und vergangenen Mittwoch bei „Lanz“ mitgeteilt, in der Fraktion mit Schmidt gar nicht mehr zu reden. Vor einem Jahr hatte er bereits in der taz davon gesprochen, dass für ihn bei solchen Auftritten „die Schwelle zum Landesverrat hauchdünn“ sei. Besonders die Vokabel „Volksverräter“ hat nun in der AfD für Aufruhr gesorgt.
Der Landesvorsitzende aus NRW, Martin Vincentz, hat sich bereits von der Wortwahl distanziert, wobei er sich zugleich von Schmidts Aussagen distanzierte. Auch in der Fraktionssitzung der AfD im Bundestag ging es am Dienstag erneut um das Thema. Dort bat Lucassen bei den Kollegen um Entschuldigung, diese sollen sie angenommen haben.
Zuvor hatte sich Lucassen bereits bei Facebook eher kleinlaut für seine Wortwahl entschuldigt. „Parteimitglieder als Volksverräter zu bezeichnen, ist überzogen und falsch“, schrieb Lucassen. Er wolle für seinen Fehler auch persönlich bei Eugen Schmidt und Steffen Kotré um Verzeihung bitten. Für seine inhaltliche Positionierung gegen Putins Propagandisten in der AfD entschuldigte er sich hingegen nicht. Schmidt signalisierte, sich auf das Gespräch zu freuen und Differenzen persönlich klären zu wollen – um „geeint gegen dekadenten linken Zeitgeist und die Abschaffer unseres Landes“ zusammenzustehen.
Ost vs. West, Flügel vs. Nichtflügel
Der grundsätzliche Konflikt aber wird damit nicht beigelegt sein. Dieser verläuft in der Russlandfrage häufig auch analog zu grundsätzlichen ideologischen Positionierungen in der Partei. Häufig schauen insbesondere westdeutsche Vertreter*innen der AfD mit Befremden auf die Russlandnähe ihrer ostdeutschen Kollegen. Im Osten dominieren Personen mit Nähe zum rechtsextremen Flügel oder dem Institut für Staatspolitik in Schnellroda, die grundsätzlich westliche Werte ablehnen und in dieser Hinsicht Putins Russland ideologisch näher als der BRD sind.
Ähnlich dürfte das auch bei Harald Laatsch aus der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus sein, der Lucassens Entschuldigung nicht gelten ließ und ihm vorwarf, dass der Schaden angerichtet sei und sich nicht über ein Facebook-Post zurückholen ließe. Laatsch schrieb: „Sie haben von Geopolitik keine Ahnung oder sind dermaßen US-indoktriniert, dass die Realität nicht mehr in Ihren Kopf passt.“ Mit Indoktrinierung kennt der Abgeordnete sich aus: Laatsch war 2018 auf russische Einladung auf die annektierte Krim gereist und dafür viel kritisiert worden. Und wenn er nicht gerade Putin versteht, spricht er sich für die Aufhebung der Gewaltenteilung auf.
Dass nun Lucassen trotz seiner Entschuldigung ein Ordnungsverfahren droht, spricht Bände darüber, welche Kraft in der AfD die Oberhand hat. Bezeichnend dafür ist auch der kürzliche Besuch von Alice Weidel am Stand der „Russlanddeutschen in der AfD“ beim Landesparteitag in NRW. Die Co-Vorsitzende ließ sich dort grinsend zwischen Schmidt und Olga Petersen fotografieren, die zuletzt von der Hamburger AfD abgemahnt wurde. Der Grund: Ein Interview mit dem russischen Staatssender Rossija 1. Weidel hat laut den „Russlanddeutschen für die AfD“ bei ihrem Besuch zugesagt, das Netzwerk zu unterstützen.
Immer Ärger mit Tillschneider
Bei der Präsenzsitzung am kommenden Montag gibt es aber noch mehr zu bereden: Neben dem Parteiordnungsverfahren gegen Lucassen drohen ähnliche Schritte möglicherweise auch Hans-Thomas Tillschneider, Vize-Chef der AfD Sachsen-Anhalt. Der wiederum gilt seinerseits als Putin-Fan, hatte im September 2022 versucht, in die russisch besetzten Gebiete in der Ostukraine zu reisen, und war dann vom Bundesvorstand zurückgepfiffen worden. Nun wird der Bundesvorstand möglicherweise erneut über Tillschneider diskutieren.
Diesmal geht es darum, dass Tillschneider im Februar auf dem Magdeburger Domplatz bei einer der vermeintlichen AfD-Friedensdemos vor 350 Leuten im Nieselregen zum „Krieg gegen die Bundesregierung“ aufgerufen hat. Politikberater Johannes Hillje kommentierte treffend: „Mehr muss man zur Selbstverharmlosung der AfD als Friedenspartei wohl nicht wissen.“
Zunächst hatte der Pressereferent auf taz-Anfrage bestätigt, dass ein Antrag, Tillschneider auf die Tagesordnung zu setzen, vom Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla gekommen sei. Nach Veröffentlichung des Artikels hieß es am Montag vor der abendlichen Vorstandssitzung wiederum, dass ein solcher Antrag Chrupallas nicht existiere. Es habe intern „einen fernmündlichen Übermittlungsfehler“ gegeben. Ob und wann Tillschneiders Äußerungen thematisiert würden, sei offen.
Der Antrag gegen Lucassen hingegen kommt von Maximilian Krah, der Beisitzer im Bundesvorstand ist und seinerseits seit Februar in seiner Fraktion im EU-Parlament wegen der Vergabe eines PR-Auftrages suspendiert ist. AfD-intern steht Krah nicht nur ob seiner Russlandnähe in der Kritik, sondern auch wegen fragwürdiger Einladungen und Verbindungen nach China.
In Chats kündigte sich das bereits an
In internen Chats einer Chat-Gruppe „AfD-aber normal“, die der taz vorliegen, kündigte sich das bereits an. Dort regte sich der NRW-Landtagsabgeordnete Christian Blex, der selbst wegen der versuchten Einreise in die Ostukraine aus der AfD-Fraktion geschmissen wurde, über Lucassens Äußerung als „schwer parteischädigend“ auf: „Übrigens verrät der unser Land, wer es in Vasallenschaft halten möchte“. Damit dürfte er sich auf die rechtsextreme Legende beziehen, dass die BRD nur ein Vassallenstaat der USA sei.
Tillschneider, der findet, dass die Aussage gar nicht gehe, sprach sich im Chat „als liberaler Geist“ gegen ein Ausschlussverfahren aus, schrieb aber: „Wir sollten dafür sorgen, daß Lucassen nie wieder für irgendwas in dieser Partei gewählt wird.“ Krah entgegnete: „Irgendwie reagieren müssen wir schon. Man kann doch nicht Kollegen im Staatsfunk derartig abkanzeln.“ Die beantragten Ordnungsmaßnahmen dürften das Ergebnis sein.
Update, 24.4.2023: Der Artikel wurde ergänzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten