Nach Rücktritt von Grünen-Politikerin: Wenn Macht krank macht

Immer öfter ziehen Po­li­ti­ke­r:in­nen wegen des massiven Drucks einen Schlussstrich – um sich selbst und andere zu schützen. Wo führt das hin?

Zwei Frauen wurden von hinten fotografiert, während sie laufen. Sie umarmen sich. Es handelt sich um Atnje Kapek Fraktionsvorsitzende der Grünen und ihre Amtskollegin Silke Gebel

Die Fraktionschefin der Berliner Grünen, Antje Kapek (l.), hat sich für ihre Gesundheit entschieden Foto: Annette Riedl/dpa

Wie anstrengend, nervenaufreibend und gesundheitszehrend darf ein Job sein? Manche werden sagen: Stress lässt sich bei zahlreichen Jobs schlicht nicht vermeiden, mehr noch, der gehört einfach dazu. Andere werden widersprechen: Arbeit darf nicht krank machen.

Nun gibt es eine Branche, in der die Frage vermutlich erst gar nicht gestellt und die Antwort bereits eingepreist ist: Politik. Wer, wenn nicht Po­li­ti­ke­r:in­nen, sollte allseits bereit und einsatzfähig sein, zu nahezu allen Themen eine kompetente und vor allem die passende Antwort geben können, in Talkshows und anderswo öffentlich präsent sein, aber auch vor Ort bei den Menschen im Wahlkreis. So denken sicher viele Menschen im Land. Der Anspruch an Po­li­ti­ke­r:in­nen ist hoch. Und gleichzeitig ganz schön viel Ballast für die einzelne Person.

Wer hält so was lange durch? Welchen Preis zahlen Po­li­ti­ke­r:in­nen für die Macht, die mit einem Amt oder einem Mandat verbunden ist? Persönlich, gesundheitlich, familiär?

Gerade hat die Fraktionchefin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus Antje Kapek ihr Amt niedergelegt – nur einen Monat nach ihrer Wiederwahl im Januar. Sie begründete ihren Schritt mit „mentalen und physischen Spuren“, die der vergangene Wahlkampf, die Koalitionsverhandlungen und die Co­ro­na­pandemie hinterlassen hätten. Diese Spuren „kann ich nicht mehr weiter ignorieren“, sagte Kapek.

Die persönliche Reißleine ziehen

Ist das verantwortungslos gegenüber dem politischen Amt? Oder verantwortungsvoll gegenüber sich selbst?

Kapek ist nicht die Erste, die die Härte des Politikbetriebs anprangert. 12 Stunden Koalitionsverhandlungen, Dauersitzen, viel Kaffee, kaum Schlaf, die herumlungernde Presse, die nach einem astreinen O-Ton giert.

Claudia Roth, ein Grünen-Urgestein und heute Kulturstaatsministerin, erzählte vor gut zehn Jahren der taz, dass sie manchmal nachts nach Hause in eine leere Wohnung komme und sich wahllos durch das Fernsehprogramm zappe. Einmal sei sie wenige Stunden später auf dem Sofa aufgewacht – immer noch im Mantel.

Die Linken-Politikerin Anke Domscheit-Berg beklagte vor zweieinhalb Jahren öffentlich sowohl Arbeitsvolumen als auch Arbeitsbelastung im Bundestag, sie nannte sie „menschenfeindlich“ und „gesundheitsschädlich“. Kurz zuvor waren zwei Abgeordnete mit Schwächeanfällen zusammengebrochen, Domscheit-Berg selbst erlitt zweimal einen Burn-out. Auch ihre Kollegin, die Linke Sahra Wagenknecht, zog sich nach einem Burn-out aus der ersten Reihe zurück. Die Grüne Renate Künast offenbarte, dass die Härte des Politikbetriebs auch sie härter gemacht habe.

Bis vor Kurzem waren solche Outings ein absolutes ­No-go, ein Tabuthema, über das öffentlich zu sprechen lediglich eine offene Flanke bot – persönlich, vor allem aber für den politischen Gegner.

Politik als Droge

Auffällig ist, dass es Frauen sind, die Überlastungen des Politikbetriebs und das eigene Ausgebranntsein zum öffentlichen Thema machen. Männer hingegen zeigen sich meist von überbordender Potenz. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Phi­lipp Amthor findet, an die Belastungsgrenzen zu gehen, „gehört zu einer verantwortlichen Führungsposition dazu“. Oder anders formuliert: Heul nicht rum, du hast es so gewollt, also komm damit klar.

Damit klarkommen müssen oder mussten Politiker wie der Linke Gregor Gysi, Ex-Innenminister Horst Seehofer, die Ex-Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt, FDP-Mann Hans-Dietrich Genscher, SPD-Innenpolitiker Peter Struck, der FDP-Politiker Wolfgang Gerhardt, der Grüne Jürgen Trittin. Sie alle erlitten einen Herzinfarkt oder lebensbedrohliche Herz-Rhythmus-Störungen, manche haben sie nicht überlebt. Zugespitzt ließe sich die Zi­vilisationskrankheit auch als neue männlich-dominierte Politi­ker­krankheit bezeichnen.

Als Krankheit könnte man indes auch das Festhalten an politischer Macht bezeichnen. Zumindest wenn man Sucht als Krankheit definiert, wie das mittlerweile der Fall ist. Politik als Droge. So hatte es Seehofer einst gesehen hatte: Er komme einfach nicht davon los. Herzerkrankung hin oder her. So könnte es Gysi formulieren, der mit 74 Jahren augenscheinlich nicht in den politischen Ruhestand treten kann.

Ex-Kanzlerin Angela Merkel hatte erkannt, wann es Zeit ist zu gehen. Und das nicht nur politisch, sondern auch persönlich, gesundheitlich, privat. Die erlebte Erschöpfung stand ihr am Ende förmlich ins Gesicht geschrieben.

Erinnert sei an ihre Zitteranfälle vor über einem Jahr, die in der Öffentlichkeit – leider viel zu – ausführlich debattiert worden waren. Ist Politik für die ehemalige Kanzlerin eine Droge? Heute macht Merkel jedenfalls nicht den Eindruck, dass ihr die Politik fehlt.

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