Zum Tod von Peter Struck: Ein authentischer Arbeiter
Es mochten ihn selbst die, die seine politische Überzeugung für grundfalsch hielten. Denn Peter Struck hat nie etwas vertreten, woran er nicht selbst glaubte.
BERLIN taz | Freundliche Worte werden fast jedem Toten mit ins Grab gegeben. Aber die Nachricht, dass Peter Struck kurz vor seinem 70. Geburtstag an den Folgen eines Herzinfarkts gestorben ist, dürfte im politischen Berlin sehr viel mehr Bestürzung und ehrliche Trauer hervorrufen, als das sonst bei Beileidsbekundungen oft der Fall ist.
Der SPD-Politiker, der zuletzt Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung gewesen ist, war auch bei politischen Gegnern anerkannt und beliebt. Es mochten ihn sogar Leute, die seine politische Überzeugung in wesentlichen Fragen für grundfalsch hielten, vor allem seine Unterstützung von weltweiten Militärinterventionen der Bundeswehr.
„Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt“: Mit dieser Behauptung warb der damalige Verteidigungsminister Struck 2002 für den Einsatz deutscher Streitkräfte in Afghanistan. Nicht einmal alle Parteifreunde hielten die forsche Floskel für vertretbar, vom grünen Koalitionspartner ganz zu schweigen. Aber der Satz wurde schnell zum geflügelten Wort und hat vermutlich mehr als jede andere Formulierung dafür gesorgt, dass die öffentliche Skepsis gegenüber dem Krieg am anderen Ende der Welt schwand.
Heute gibt es nicht mehr so sehr viele Politiker, die den Einsatz in Afghanistan für einen Erfolg halten – oder die wirklich glauben, der Krieg in Afghanistan habe die Lage in Deutschland sicherer gemacht. Dennoch hat sich Peter Struck niemals von seinem Wort distanziert. Warum auch? Er hatte schließlich nur das ausgedrückt, was tatsächlich seiner Überzeugung entsprach.
Und er kämpfte für diese Überzeugung mit harten Bandagen: Als unsicher war, ob die Grünen einen Einsatz in Afghanistan mittragen würden, da ließ Struck durchblicken, eine Weigerung könne zu einem Bruch der Koalition führen. Damals war er noch nicht Verteidigungsminister, sondern der Fraktionsvorsitzende der SPD. Die Koalition hielt. Und die Bundeswehr engagierte sich am Hindukusch.
Vor und hinter den Kulissen
Vielleicht hat niemand mehr dafür getan als Peter Struck, dass das rot-grüne Bündnis nicht vorzeitig zerbrach. Ob es um den Umbau der sozialen Sicherungssysteme ging, um die Einführung der Ökosteuer oder um die Modalitäten des Ausstiegs aus der Atomenergie: Fast die gesamte erste Legislaturperiode hindurch hing es vor allem von dem schnauzbärtigen Juristen mit der Pfeife im Mund ab, ob Gerhard Schröder sein Amt als Bundeskanzler behalten und Joschka Fischer weiterhin als Außenminister die Bundesrepublik repräsentieren durfte.
Fraktionschef Struck war derjenige, der vor und hinter den Kulissen für Mehrheiten sorgte und Kompromisse in mühsamer Kleinarbeit aushandelte. Er war die tragende Säule der Koalition. Und dennoch hat er – auch in den Jahren danach – niemals vergleichbare Aggression auf sich gezogen wie andere rote und grüne Spitzenpolitiker. Weshalb eigentlich nicht?
Wohl aus demselben Grund, aus dem in Berlin jetzt getrauert wird: Peter Struck war das, was heute gern mit dem Modewort „authentisch“ bezeichnet wird. Er kannte alle politischen Kniffe und Tricks, aber er hat nichts vertreten, woran er selbst nicht glaubte.
Opportunismus war seine Sache nicht. Das bewies er unter anderem 2003 mit der schnellen, überraschenden Entlassung von Brigadegeneral Reinhard Günzel. Der hatte eine weithin als antisemitisch verstandene Rede des CDU-Abgeordneten Martin Hohmann gelobt – und wurde dafür augenblicklich vom Verteidigungsminister geschasst. Sollten die militärischen Seilschaften doch toben. Da kannte Peter Struck kein Pardon.
Respekt über Parteigrenzen hinweg
Mit solchen Handlungen hat sich der Niedersachse, der schon im Alter von 21 Jahren der SPD beigetreten war, über Parteigrenzen hinweg Respekt verschafft. Achtung hat er sich auch damit erworben, auf dem – in einer Mediengesellschaft besonders schmalen – Grat zwischen dem berechtigten Anspruch der Öffentlichkeit auf Information und dem Recht auf Privatsphäre trittfest laufen zu können.
2004 hatte Peter Struck einen Schlaganfall erlitten – ausgerechnet als Verteidigungsminister, also in einem Amt, in dem Robustheit als Qualifikationsmerkmal gilt. Einige Wochen blieb er dem Schreibtisch fern. Nach seiner Rückkehr trat Struck die Flucht nach vorn an: Er teilte der Öffentlichkeit seinen Befund mit, weil sie seiner Ansicht nach einen Anspruch darauf hatte zu wissen, ob ein Minister belastbar ist. Und zugleich machte er deutlich, dass es Grenzen für das Recht auf Information gibt.
Der Schlaganfall des Verteidigungsministers hätte ein guter Anlass für die Gesellschaft – und für die Medien – sein können, sich mit dem Thema Krankheit und Gesundheit anders auseinanderzusetzen als im kleinteiligen Raster zwischen Praxisgebühr und Sterbegeld. Diese Chance wurde verpasst. Aber das lag nicht an Peter Struck.
Der Ehemann, Vater und Großvater gehörte übrigens zu den wenigen Politikern, die glaubhaft waren, wenn sie von sich behaupteten, auch ein Leben jenseits der Politik zu kennen. Als sich der begeisterte Motorradfahrer 2009 aus der aktiven Politik zurückzog, erklärte er, von seinem Leben und seiner Familie „noch etwas haben“ zu wollen. Viel Zeit ist ihm dafür nicht geblieben.
Leser*innenkommentare
frieda sömmerling
Gast
@Arne: Ich stimme dir völlig zu, wenn du sagst, "dass niemand, der über 50 ist, und nach jahrzehntelangem Einzahlen in die Arbeitslosenversicherung, Struck irgendeine Dankbarkeit schuldet, ist verständlich."
Wenn wir als Generation der von der SPD ruinierten und gedemütigten Arbeitslosen diese beschissenen Erfahrungen konsequent reflektieren, so folgt daraus, dass niemand von uns mehr SPD wählen kann und das auch nicht mehr tut. So wahr mir Struck helfe, Amen.
Was nichts damit zu tun hat, dass ich viele andere auch längst nicht mehr für wählbar halte.
Wolfgang Banse
Gast
@Hafize
Es ist weder Ironie,sondern Aufrichtigkeit,was den Verstorbenen Dr. Peter Struck betrifft.
Marco
Gast
"Doitschland wörd am Hindukusch fährtaidiggt"
- in der Erinnerung wird er darauf reduziert werden und somit in die Geschichte als peinliche Figur eingehen.
Arne
Gast
Okay, Frau Gaus hält sich an die Regeln, dass der Tote meistens einem den Verdruß hinterlässt, dass man von Frischgestorbenen immer Gutes sagen soll.
Ich persönlich bezweifele auch, als Struck für Schröder/Fischer den Kosovokrieg in der SPD durchsetzte, ihm irgendeine serbische Mutter Respekt zollen wird, deren Kind in den Krankenhäusern starb, weil die NATO die Stromwerke bombadierte und die Krankenhäuser ohne Strom blieben.
Dass niemand, der über 50 ist, und nach jahrzehntelangem Einzahlen in die Arbeitslosenversicherung, Struck irgendeine Dankbarkeit schuldet, ist verständlich.
Aber eines stimmt: Er hat sich nie dafür entschuldigt, dass er Tot, Armut und Ungerechtigkeit über andere Menschen brachte. Bis zu seinem Tode nicht. Selbstreflektion war nichts, womit er etwas anfangen konnte.
Bleibt positiv zu erwähnen, dass es meines Wissens der erste ist aus den Regierungskreisen, die sowohl die SPD wie auch die Grünen unwählbar für viele gemacht haben, von Senesemann die Hufen hochgeklappt wurden.
Es wird Zeit für eine Strichliste, wieviele aus dieser unseeligen Generation noch bleiben.
Hafize
Gast
@Wolfgang Banse
Das ist doch nicht ernst gemeint - oder? Das ist Ironie, stimmt's?
Die ganze SPD ist eine einzige Lücke oder war es Lüge?
Ist auch egal, 2013 machen wir wieder an der Urne wieder den (Idioten-)Test: Wieviele Menschen lieben die SPD? Wieviele Leute lieben den Vortragsmilionär Peer Steinbrück?
Arbeiter sterben früher
Gast
Was soll der Personenkult unwürdiger Inhalte?
Es gibt Menschen die weit mehr und besseres geleistet haben und Bundesverdienstkreuze werden jedes Jahr wie warme Semmel an Politiker verschenkt.
Die SPD hat den Angriffskrieg Kosovo zu verantworten, hochrangiges Militär würden gerne ein paar Politiker vor dem Kriegsgericht sehen. Natürlich werden solche Inhalte ausgeblendet.
Rente mit 67, anders ausgedrückt, für die Sozis und deren extrem rechtslastige Ideologie bis in den Tod arbeiten.
Der deutsche Personenkult ist widerlich.
reblek
Gast
"... da ließ Struck durchblicken, eine Weigerung könne zu einem Bruch der Koalition führen." - Dem Land wäre mit einem solchen Bruch sicher gedient gewesen.
"Und die Bundeswehr engagierte sich am Hindukusch." - Frau Gaus, was für ein Begriff - "engagierte". Sie hat einen Krieg begonnen. "Der Ehemann, Vater und Großvater gehörte übrigens zu den wenigen Politikern, die glaubhaft waren, wenn sie von sich behaupteten, auch ein Leben jenseits der Politik zu kennen." - Ach ja? Und wie steht des hiermit? "Der SPD-Politiker, der zuletzt Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung gewesen ist..." Diese Stiftung liegt "jenseits der Politik"?
Detlev
Gast
Peter Struck war authentisch auch in der Verfechtung eines Armutarbeitssektors, Sparideen bei Arbeitslosen, die als Reform getarnt wurden und hat eine lange Sündenliste mit ins Grab genommen.
Man kann ihm nur zugute halten, dass er den großen Wurf sich nicht selber ausgedacht hat, denn wenig fiel ihm direkt ein. Er war der Mann des Strömmungssurfen und Trittbrettfahren - wichtige Überlebenseigenschaften unter einem Wegbeisser namens Schröder.
Ich werde ihm keine Träne hinter her weinen und verstehe auch die Behauptung nicht so ganz, was so toll an ihm war. Eins steht fest: Die Friedrich Ebert Stiftung hat nun Platz für den nächsten Politrentner, der's nicht lassen kann.
Wolfgang Banse
Gast
Ein großer SPD Politiker starb
Das Herz von Peter Struck wollte nicht mehr schlagen.Er starb. Auf vielfälltigen Gebieten hat er sich verdient gemacht. Er hinter lässt eine lücke,die nur schwer zu schließen ist.
Karl K
Gast
Ein authentischer Arbeiter
- oder von der Verkommenheit der Begriffe!
Genauso wie Müntefering steht Peter Struck
für die Hartz-IV-Verbrechen, Kosovo-Lüge, Kriegseinsätze
einschl. Doch-Beteiligung Irak usw der Schröder/Fischer-Ära.
Er hat also - seggt, is seggt - aus tiefster Überzeugung
all das mitverbrochen; insbesondere die Arbeiter bei
Hartz-IV und jetzt 43%Renten-Plünderung beschissen.
Aus Überzeugung - na Mahlzeit.
Werner G. Richter
Gast
Deutschland am Hindukusch verteidigen?
Nun einer weniger, der Deutschland am Hindukusch verteidigen wollte. Wie viele Deutsche sind dafür gestorben? 50 oder mehr? Und wieviel höher ist der Rauschgiftanbau in Afghanistan heute? Auch dies gehört zur Bilanz zu seinem Lebensende.
Ralf
Gast
"Hinten anstellen, ordentlich arbeiten, dann kann man auch was werden. Nicht nach vorne gehen und sagen, ich will Minister werden oder Fraktionsvorsitzender. Hinten anstellen, in aller Ruhe arbeiten, das ist der richtige Weg."
Schade dass da nicht mehr Leute in der Politik drauf hoeren heutzutage... z.B. Frau Schroeder oder Herr Roesler waeren super beraten mit diesem Ratschlag. Ich glaub denen kein Wort, Hauptsache Macht und oben mitmischen...
Horsti
Gast
Was ist authentisch an jemandem, der als Fraktionsvorsitzender stets das durchpeitscht was sein Chef ihm sagt? Hört sich eher nach dem genauen Gegenteil an.