Nach Rauswurf zweier US-Abgeordneter: „Keine Demokratie in Tennessee“
Die republikanische Mehrheit in Tennessee zwang zwei afroamerikanische Demokraten, ihre Parlamentssitze aufzugeben. Einer darf vorläufig zurück.
Die beiden rausgeworfenen Abgeordneten heißen Justin Jones und Justin Pearson. Beide sind Afroamerikaner und Ende zwanzig. Am 30. März protestierten beide, zusammen mit ihrer weißen Parteikollegin Gloria Johnson, im Parlament für stärkere Waffengesetze.
Jones, dessen Wahlbezirk sich in Tennessees Hauptstadt Nashville befindet, wurde am Montag in einer einstimmigen Entscheidung zurück ins Repräsentantenhaus berufen. Dort wird er bis zum Ende der aktuellen Legislaturperiode auf vorläufiger Basis seinen alten Sitz einnehmen. Sowohl Jones als auch Pearson müssen sich jeweils in einer Sonderwahl behaupten, um ihre verlorenen Sitze zurückzugewinnen. Wann diese Wahlen abgehalten werden, steht noch nicht fest.
„Es ist einfach beispiellos, dass jemand wegen einer Kleinigkeit, in diesem Fall wegen schlechten Verhaltens, aus seiner Rolle als Abgeordneter entfernt wird“, sagt Ken Paulson der taz. Einem gewählten Abgeordneten zu sagen, dass er seine Wähler nicht mehr vertreten dürfe, nur weil er im Parlament für die Forderungen genau dieser eingestanden habe, sei gegen den amerikanischen Geist.
Abgeordneten ist es untersagt, die Tagesordnung zu stören
Der Grund war ein Schulmassaker, welches sich nur wenige Tage zuvor und unweit des Repräsentantenhauses zugetragen hatte: Insgesamt sechs Menschen, davon drei neunjährige Kinder, kamen dabei ums Leben. Proteste für eine Verschärfung des Waffenrechts im Bundesstaat halten seither an – bisher ohne Erfolg.
Ken Paulson
Sowohl Jones als auch Pearson gestanden später ein, dass sie mit ihrem Protest im Repräsentantenhaus gegen eine Regel verstoßen hatten, die es Abgeordneten untersagt, die Tagesordnung zu stören. Doch beide hätten wohl nie geglaubt, dass ihnen dafür der Ausschluss drohen könnte.
Die Republikaner verteidigten den Ausschluss der beiden Abgeordneten so: Jones und Pearson hätten mit ihrem Verhalten nicht nur die Sitzung gestört, sondern auch Demonstranten, die an diesem Tag im Parlament anwesend waren, weiter angestachelt.
Eine Zweidrittelmehrheit des Parlaments stimmte für den Ausschluss von Jones und Pearson. Gloria Johnson, eine weiße Abgeordnete, die ebenfalls am Protest beteiligt war, überstand die Wahl knapp. Die Entscheidung der republikanischen Mehrheit wurde von lauten „Shame on you“(„Schämt euch“)- und „Fascists“(„Faschisten“)-Rufen aus den Besucherrängen des Repräsentantenhauses begleitet.
Ken Paulson: „Sollte ein Weckruf sein“
Es war erst das vierte Mal in der Geschichte Tennessees, dass Abgeordnete aus dem Repräsentantenhaus verwiesen wurden. Die Gründe zuvor: Sklaverei, Betrug und sexuelle Belästigung. Und nun eben auch freie Meinungsäußerung, so Paulson. „Dass dies zu einer Annullierung eines Wahlergebnis führen könnte, ist eigentlich undenkbar in Amerika.“ Die Strafe stehe in keinem Verhältnis zum Verstoß, sagt er.
Auch wenn Paulson nicht glaubt, dass sich solche Szenen in anderen Bundesstaaten mit ähnlichen Mehrheitsverhältnissen wiederholen würden, sollte es doch ein Weckruf sein, sagt er: „Parteien, die über sogenannte Supermehrheiten verfügen, könnten diese dazu nutzen, ihre politischen Gegner zum Schweigen zu bringen oder sich an ihnen zu rächen. Es wäre das Ende des Zweiparteiensystems.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe