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Nach Kritik an Gauck-Rede in der TürkeiRückendeckung für den Pastor

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Deutschland, Kenan Kolat, verteidigt die Kritik des Bundespräsidenten an der türkischen Innenpolitik.

Werden wohl keine besten Freunde mehr: Bundespräsident Gauck und der türkische Regierungschef Erdogan am Montag in der Türkei Bild: ap

BERLIN taz/rtr/afp | Die Türkische Gemeinde in Deutschland hat sich vor Bundespräsident Joachim Gauck gestellt und dessen umstrittene Rede in der Türkei verteidigt. Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde, sagte am Mittwoch im ZDF: „Er (Gauck) hat eine sehr ausgewogene Rede gehalten.“

Gauck hatte auf seinem Türkei-Besuch am Montag bei einer Rede vor Studenten an der Middle East Technical University und auf einer Pressekonferenz mit dem türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül deutliche Worte für den autoritären Führungsstil des türkischen Regierungschefs Recep Tayyip Erdogan und seiner AKP-Regierung gefunden. Gauck warnte vor einer „Gefährdung der Demokratie“.

Nachdem Gauck in seiner Rede in der Universität zuerst auf das gewachsene Zusammenleben von deutschen und türkischen Bürgerinnen in Deutschland eingegangen war und versichert hatte, Deutschland werde alles tun, um die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds aufzuarbeiten, lenkte der Bundespräsident den Blick auf die Entwicklungen in der Türkei.

Er frage sich, „ob die Unabhängigkeit der Justiz noch gesichert ist, wenn die Regierung unliebsame Staatsanwälte und Polizisten in großer Zahl versetzt und sie so daran hindert, Missstände ohne Ansehen der Person aufzudecken“, so Gauck. Es erschrecke ihn zudem, wenn Protest auf der Straße gewaltsam unterdrückt würde und Menschen dabei ihr Leben verlören. Gauck wörtlich: „Ich gestehe: Diese Entwicklung erschreckt mich – auch und besonders, weil Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt werden.“ Damit spielte Gauck unter anderem darauf an, dass die Regierung den Zugang zum Kurznachrichtendienst Twitter und zum Videoportal Youtube gesperrt hatte. Gerichte haben diese Sperren mittlerweile für rechtswidrig erklärt, Youtube ist allerdings weiterhin offline.

Erdogan schlägt zurück

Der türkische Regierungschef Erdogan hatte Gauck daraufhin am Dienstag scharf attackiert. Seine Bemerkungen seien unangebracht für einen Staatsmann. „Offenbar hält er sich immer noch für einen Pastor“, sagte Erdogan in Anspielung auf Gaucks Biografie. Erdogan betonte, er habe Gauck klar gemacht, dass die Türkei keine Einmischung in innere Angelegenheiten dulde. Von den Deutschen müsse man sich nicht belehren lassen, was den Umgang mit Extremisten angehe, so Erdogan. In Deutschland würden Häuser von Türken „aus rassistischen Motiven niedergebrannt. Dann kommen sie hierher und erteilen uns Ratschläge. Behaltet eure Ratschläge für euch“, sagte Erdogan.

Kenan Kolat äußerte am Mittwoch, das deutsch-türkische Verhältnis sei stark und werde durch Gaucks Rede nicht belastet. Mit Blick auf Erdogans Attacke sagte Kolat: „Es geht nicht, dass man einen Bundespräsidenten so angeht. Das gehört sich nicht.“

Zuvor hatte bereits das Auswärtige Amt Erdogans Kritik zurück gewiesen. Die „emotionalen Auslassungen“ Erdogans seien „weder im Inhalt noch im Ton angemessen“, sagte Staatsminister Michael Roth (SPD) der Welt. „Ich kann mich nur wundern und den Kopf schütteln“, fügte er hinzu.

Gauck: „War noch zurückhaltend“

Gauck selbst nahm auch zu Erdogans Vorwürfen Stellung. Der Bundespräsident sagte am Dienstag: „Ich habe mir erlaubt, das zu tun, was ich immer tue. Nämlich die kritischen Themen, die in einer Gesellschaft diskutiert werden, aufzunehmen. Das ist normal unter Freunden.“ Er frage nicht nur bei den Regierenden, sondern auch bei den Regierten nach, um sich ein Bild zu machen. Und: „Ich bin eher noch zurückhaltend gewesen“, stellte Gauck klar.

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5 Kommentare

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  • Die Türkei ist zwar nicht Mitglied der EU aber immerhin Kandidat und das bedeutet, dass sie nicht reines Ausland ist wie z. B. China, Kamerun oder die USA. Sie ist ein Halbmitglied, quasi Halbinländer.

    Innerhalb der EU ist es erlaubt, sich innenpolitisch einzumischen. Als Haiders FPÖ in Wien in der Regierungskoalition war ging diese Diskussion los, sie ging weiter als in Italien die Neofaschisten Juniorpartner der Regierung waren und dreht sich heute um Ungarn.

    Irgendwann wird es auch einen offiziellen Sanktionsmechanismus geben.

    Gauk hat damit in keiner Weise gegen die guten diplomatischen Sitten verstoßen.

     

    Beste Grüße aus Peking, Martin

  • @ Enki & Pleb

    Es gibt mehrere Antworten auf Eure Frage nach der innenpoltiischen Einmischung. Ein Grund ist sicherlich, dass bei allen Fehlern am deutschen Staatswesen die Einschränkungen von Demokratie und Freiheit in der Türkei doch nochmal um die eine oder andere Größenordnung schwerwiegender ausfallen. Es ist ja nicht so, dass Gauck hier penibel jeden Fehler nachgekartet hätte, der der Türkei in letzter Zeit auf dem Weg zu einer wirklich gelebten freiheitlich-demokratisdchen Grundordnung passiert ist. Er hat lediglich die Dinge angesprochen, die diesen Weg nach seiner Ansicht grundlegend gefährden. Und davon gibt es - allen VTen zum Trotz - in Deutschland reichlich wenige.

     

    Viel wichtiger aber: Auch wenn Gauck sicherlich ein paar Freiheiten in der Themenwahl genießt, so ist und bleibt sein Amt doch dazu verdammt, nicht selbst bestimmend in die Politik seines Landes einzugreifen. Dafür sind andere Verfassungsorgane zuständig.

     

    Dementsprechend steht es ihm auch nicht zu, eine Art Opposition in der Exekutive zu bilden. Was er sagt, hat mit den politischen Leitlinien der Regierung (z. B. dem sogenannten "Weißbuch der Außenpolitik") überein zu stimmen. Er ist "nur" Staatsoberhaupt, weder Herrscher noch Volkstribun.

    • @Normalo:

      Es gibt meinem Kenntnisstand nach keine Beschränkung im GG die ihm verbieten würde sich regelmäßg in Innenpolitische Sachverhalte verbal einzumischen, er hat die Freiheit seine Agenda selbst zu setzen. Nur nicht das Rückgrat.

       

      Wichtiger als seine Exekutivfunktionen ist vor allem die des "Hüters der Verfassung" was eben nicht nur bedeuten kann alle Jahrzehnte mal ein Gesetz nicht zu unterschreiben sondern auch im Mindesten den Geist des GG in der Öffentlichkeit am florieren zu halten.

       

      Und da er nunmal das Staatsoberhaupt der BRD ist, hat jeder Verstoß in seinem Land unendlich mehr zu wiegen als welcher auch immer im Ausland. Er würde sich damit auch viel glaubwürdiger machen als nur den Grüßáugust zu spielen und den Bankmanagern auf dem Bankentag das Ego zu tätscheln.

  • "Nämlich die kritischen Themen, die in einer Gesellschaft diskutiert werden, aufzunehmen."

    Interessant Herr Gauck - nur das sie das im eigenen Land offenbar weniger konsequent tun.

    Nebenbei bemerkt: An ihrer Seite sollte bei allen ihren Besuchen ihre Ehefrau stehen.

    Warum tut sie das nicht?

    Wieso zahle ich stattdessen ihre Reisen mit der Nebenbuhlerin?

    Sorry, aber was anderes ist sie nicht. Ist ihnen das schon mal klar geworden?

    Ich kenne in unserem Land kein Gesetz, das einem eine ordentliche Trennung von dem Partner untersagen, geschweige denn zur Last auslegen würde, die man nicht ertragen könnte.

  • So richtig seine Kritik ist, umso mehr frage ich mich, wieso er sie nicht in Deutschland anbringt?

     

    "die Regierung unliebsame Staatsanwälte und Polizisten in großer Zahl versetzt und sie so daran hindert, Missstände ohne Ansehen der Person aufzudecken“, so Gauck"

     

    Er sollte sich mal mit so einigen Staatsschutzbeamten beschäftigen, die zur Verkehrsüberwachung versetzt wurden weil sie ihre Arbeit "zu gut" gemacht haben. Gab es sogar einen öffentlich-rechtlichen Reportagebeitrag zu - kann mich leider nichtmehr entsinnen wo.

     

    Oder noch besser, einer gewissen Frau Hannemann, die gesetzestreu (sie ist gem. Haftung des Beamtenstatusgesetzes ultimativ selbst für ihr Handeln verantwortlich und verpflichtet entgegen den Vorgaben ihrer Vorgesetzen zu handeln wenn für sie erkennbar ist, dass ihr sonstiges Handeln rechtswidrig wäre) und Verfassungsgerichtstreu (Leitsätze 1 BvL 1/09 vom 9.2.2010 )ihre Arbeit machte und dafür suspendiert wurde.

     

    Das ich nicht lache: "Gauck warnte vor einer „Gefährdung der Demokratie“"

     

    S.o. und seine Äußerungen zum NSA Skandal.

     

    Der Mann ist so sehr in der Vergangenheit gefangen, das er nur die offensichtliche Gewalt erkennt, nicht aber die fortentwickelte, subtilere in und gegen sein eigenes Land.

    Ein Armutszeugnis.