Nach Grazer Amoklauf: Österreich will liberale Waffengesetze prüfen
Ein 21-Jähriger tötete mit legal erworbenen Waffen elf Menschen in einem Gymnasium. Österreich gehört zu den am stärksten bewaffneten Ländern Europas.
Es dauerte nicht lang, bis eine breite Debatte entbrannte, nicht nur in den sozialen Medien: Bei einer Gedenkveranstaltung am Tag nach der Tat sagte Bundespräsident Alexander Van der Bellen, dass die Waffengesetze überprüft werden sollten. Tags darauf diskutierte der Nationale Sicherheitsrat, darunter mehrere Minister und hochrangige Beamte, wie sich solche Fälle künftig vermeiden lassen können.
Eine der drängendsten Fragen betrifft den Waffenzugang. Laut „Small Arms Survey“ (2018) ist die österreichische Bevölkerung eine der meistbewaffneten in Europa. Demnach gibt es in Österreich durchschnittlich 30 Schusswaffen pro 100 Personen – ein Spitzenwert, übertroffen in der EU nur von Zypern (34) und Finnland (32). Die rund 374.000 erfassten Waffenbesitzer verfügen über insgesamt mehr als 1,5 Millionen Waffen. Tendenz stark steigend.
Das deutsche Waffengesetz gilt im internationalen Vergleich als restriktiv. Nicht so das österreichische. „Bei der Führung von Waffen im öffentlichen Raum ist der österreichische Gesetzgeber vergleichsweise streng, nicht aber beim Besitz und Erwerb. Und der Zugang ist ja das eigentliche Problem“, sagt Stefan Storr, Professor für Verwaltungsrecht an der Universität Graz. Er sieht durchaus Reformbedarf. Besonders kritisch bewertet er die Bestimmungen für sogenannte Kategorie-C-Waffen – Flinten und Büchsen, die bereits ab 18 Jahren mit bloßer Registrierung, aber ohne spezielle Prüfung erworben werden können. „Das ist auffallend niederschwellig“, so der Jurist.
Gutachten sei leicht zu manipulieren
Anders verhält es sich bei Kategorie-B-Waffen wie Pistolen und Revolver: Hier müssen zwar Käufer mindestens 21 Jahre alt sein, wenn sie erstmals Waffen erwerben, ein psychologisches Gutachten vorlegen, einen Rechtfertigungsgrund angeben und grundlegende Kenntnisse im Waffenumgang nachweisen. „Die entscheidende Frage ist aber, wie diese Verlässlichkeitsprüfung konkret vollzogen wird und wie man eine Verlässlichkeit überhaupt feststellen kann“, sagt Storr.
Das nötige waffenpsychologische Gutachten kostet etwa 300 Euro. Das Verfahren besteht aus einem Gespräch über Drogenkonsum, Depression, Medikamenteneinnahme und Stressbewältigung sowie einem computergestützten Test. Kritiker bemängeln jedoch, dass dieser auf Selbstangaben beruht und daher leicht manipulierbar sei. Gefordert werden mehrstufige Verfahren mit multiprofessionellen Teams statt Einzelentscheidungen von Psychologen.
Besonders brisant: Wie nun bekannt wurde, wurde der Täter von Graz als „psychisch untauglich“ für den Wehrdienst beim Bundesheer ausgemustert. Dennoch konnte er später problemlos die Waffen erwerben. Einen Datenaustausch gab es bisher nicht, wegen datenschutzrechtlicher Bedenken. Eine Reform wird nun geprüft, die beiden betroffenen Ministerien – Inneres und Verteidigung – zeigen sich aufgeschlossen.
Von einem generellen Waffenverbot, wie es aktuell von verschiedenen Seiten gefordert wird, hält Storr wenig. Der Verwaltungsrechtler verweist auf legitime Interessen von Sportschützen, Jägern und Personen mit besonderen Sicherheitsbedürfnissen. Zudem befänden sich bereits rund 1,5 Millionen Schusswaffen in Österreich, viele davon illegal – insbesondere Waffen aus den Jugoslawien-Kriegen.
Nicht zu eilig verschärfen
Bevor es zu Verschärfungen kommt, braucht es laut Storr eine grundsätzliche Debatte im Nationalrat über die Frage, welche Maßnahmen wirklich erforderlich und sinnvoll sind. Darin müsse es außerdem um die Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung und Prävention speziell bei jungen Menschen gehen.
Auch in Deutschland kam es zu mehreren Amokläufen. Nach den besonders schweren Fällen von Erfurt (2002) und Winnenden (2009) wurden sowohl das Waffenrecht verschärft als auch Präventionsmaßnahmen an Schulen und bei der Polizei verbessert. Die letzte große Reform der Waffengesetze kam 2020 als Reaktion auf rechtsextreme Gewalttaten. Seitdem gibt es etwa bei Zuverlässigkeitsprüfungen eine Regelabfrage beim Verfassungsschutz, auch müssen Besitzwechsel konsequenter gemeldet werden. Dennoch bleibt die Kontrolle eine Herausforderung.
Diese Debatten werden Österreich nicht erspart bleiben. Die Toten von Graz lassen sich nicht mehr zurückholen. Aber vielleicht lassen sich künftige Tote vermeiden.
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