Nach Flugzeugabschuss über der Ukraine: Experten untersuchen Absturzstelle
Ausländische Experten beginnen mit der Untersuchung zum Absturz von MH17, werden jedoch teils behindert. Unterdessen kommt es in Donezk erneut zu Kämpfen.
GRABOWO/TORES ap/afp | Nach dem Abschuss der Malaysia-Airlines-Maschine geht das Chaos um die Bergung der Opfer weiter. Einsatzkräfte stapelten am Montag 21 weitere Leichen am Rande einer Straße in Grabowo in der Ostukraine auf, wo das Flugzeug abgestürzt war. Damit stieg die Zahl der gefundenen Passagiere auf 272 von insgesamt 298, wie Ministerpräsident Arseni Jazenjuk sagte.
Seine Regierung hat allerdings nur begrenzten Einblick in die Bergungsarbeiten. Auch die internationalen Beobachter vor Ort beklagten weiter Behinderungen beim Zugang zur Absturzstelle im Separatistengebiet.
Die Staats- und Regierungschefs der Länder, aus denen die Opfer stammten, machten Druck auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin, seinen Einfluss auf die Rebellen geltend zu machen und eine unabhängige Untersuchung zu ermöglichen. Putin selbst verteidigte sich gegen Kritik und warf anderen Staaten vor, den Absturz für ihre eigenen Ziele zu missbrauchen.
Am Bahnhof des Ortes Tores, 15 Kilometer entfernt von der Absturzstelle, wurden mehr als 200 der Leichen in Kühlwaggons aufbewahrt. Auch die am Montag geborgenen sollten dort hingebracht werden. In der Nacht sei aber aus unbekannten Gründen der Strom und damit die Kühlung ausgefallen, sagte ein Bahningenieur. Am Montag war der Leichengeruch am Bahnhof deutlich stärker als noch am Tag zuvor, das Kühlsystem funktionierte aber wieder.
Die 27 noch nicht geborgenen Opfer des Flugzeugabsturzes könnten zum Teil verbrannt sein, ohne Rückstände zu hinterlassen, sagte ein Sprecher der OSZE-Delegation vor Ort, Michael Bociurkiw. „Es scheint, als seien sie vaporisiert worden.“
Gefechte in Donezk
Ein weiteres Team internationaler Experten, darunter drei gerichtsmedizinische Ermittler aus den Niederlanden, sollte noch am Montag Tores und den Absturzort besuchen. Eine Delegation mit Vertretern von Malaysia Airlines war noch in Kiew, aus Sorge über die Sicherheitslage in der Ostukraine, wo die Separatisten seit Monaten gegen Regierungstruppen kämpfen.
Rings um den Bahnhof der von den ukrainischen Regierungstruppen umstellten Stadt Donezk schlugen am Montag indes mehrere Artilleriegeschosse ein. Aufständische sperrten Straßen in der Nähe des Bahnhofs ab. Ein Rebell namens Wolodja sagte, die Angreifer hätten sich dem Bahnhof bis auf zwei Kilometer genähert. Die städtischen Behörden teilten mit, ein Supermarkt in der Nähe des Bahnhofs sei in Flammen aufgegangen. Außerdem sei ein neunstöckiges Gebäude getroffen worden.
Verängstigte Zivilisten flüchteten zu Fuß und in Minibussen aus der Kampfzone. Die Behörden forderten die Bewohner des Bahnhofsviertels auf, ihre Häuser nicht zu verlassen. Sie berichteten, dass Regierungstruppen in Awsiiwka, einem nördlichen Vorort von Donezk, einmarschiert seien. Kiewer Truppen kontrollieren bereits seit längerem einen Teil des Donezker Flughafens.
Die Offensive der ukrainischen Streitkräfte gegen die Aufständischen im Osten des Landes begann vor drei Monaten. Die Großstädte Donezk und Lugansk gelten als Hochburgen der Rebellen, die die beiden strategisch bedeutsamen Ballungszentren zu „Volksrepubliken“ erklärt haben.
Putin warf der ukrainischen Regierung vor, durch die Fortsetzung ihrer Militäroffensive nach einer Waffenruhe mitverantwortlich für den Abschuss der Passagiermaschine zu sein. „Wir können sicher sagen, dass diese Tragödie nicht geschehen wäre, wenn die Kämpfe im Osten der Ukraine am 28. Juni nicht wiederaufgenommen worden wären.“ Putin betonte, dass er alles in seiner Macht Stehende tue, um eine ungehinderte internationale Untersuchung des Absturzortes zu gewährleisten.
Davon könne keine Rede sein, sagte hingegen der ukrainische Regierungschef Jazenjuk. „Was wir von Russland erwarten: die Lage zu deeskalieren, seine Agenten zurückzuziehen, die Grenze zu schließen, ihre Unterstützung für diese Bastarde zu stoppen und sich an das Völkerrecht zu halten und internationale Untersuchungen zuzulassen“, sagte er.
Rebellenführer dementiert
Die Ukraine geht davon aus, dass das Flugzeug mit einer Rakete aus einer in den Separatistengebieten stationierten russischen Abschussstation vom Himmel geholt wurde. Auch die USA wiesen darauf hin, dass Russland die Rebellen bewaffne.
Rebellenführer Alexander Borodaj dementierte, dass seine Kämpfer die Ermittlungen behinderten. Sie würden den malaysischen Experten die Leichen übergeben, sobald diese in Tores seien. Die Niederlande, aus denen 193 der 298 Opfer stammten, schickten ein Flugzeug in die Ukraine, um die Leichen anschließend so schnell wie möglich zu überführen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Experten warnen vor Trump-Zöllen
Höhere Inflation und abhängiger von den USA
Die Brennelementefabrik und Rosatom
Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?
Klimagipfel in Baku
Nachhaltige Tierhaltung ist eine Illusion