Nach Anschlag in London: Schriller Wahlkampf mit Terror
Nach der Messerattacke vom Freitag zeigt der britische Premier auf Labour. Dabei hat seine Partei massiv im Sicherheitsapparat gestrichen.
Weiter sagte er, dass „unsere Rechte zum Beispiel durch das Recht auf Privatleben begrenzt sind, das die Überwachung von Terroristen beschränkt und in jüngsten Gerichtsurteilen unseren Nachrichtendienste mit unakzeptablen Grenzen konfrontiert“. Er forderte, dass gewalttätige Straftäter*Innen ihr gesamtes Strafmaß aussitzen müssten.
Am Freitag hatte der aus dem Gefängnis auf Bewährung automatisch frühzeitig entlassene Straftäter, der Islamist Usman Khan (28) aus Stoke on Trent im Norden Englands, die Einladung zu einer kriminologischen Expertenveranstaltung der Universität Cambridge nahe der London Bridge genutzt, um statt wie geplant über seine Erfahrungen zu reden mit zwei Messern auf Umstehende einzustechen. Er floh auf die Brücke, wo er von Verfolgern zu Boden geworfen wurde.
Obwohl es einem Zivilbeamten gelang, Khan ein Messer zu entwenden, und er von einem anderen Mann auf den Boden gedrückt wurde, erschoss ein Kommando der Police den Attentäter. Grund dafür könnte Khans Sprengstoffwesten-Attrappe gewesen sein.
Täter wurde vorzeitig entlassen
Obwohl die Legalität der Tötung in Großbritannien stets von einer unabhängigen Kommission geprüft werden muss, rechtfertigte Premierminister Johnson die Tötung schon öffentlich. Er behauptete, die britische Öffentlichkeit würde das auch so sehen.
Khan war 2012 für die Planung eines Terrorangriffs auf die Londoner Börse und den Aufbau eines Terrortrainingslagers in Pakistan zu einer unbefristeten Gefängnisstrafe (IPP) verurteilt worden, von der er von Bewährungshelfer*Innen hätte befreit werden können.
Nach einer Berufung wurde sein Strafmaß auf 16 Jahre herabgesetzt. Nach der Hälfte der Zeit wurde Khan automatisch unter Bewährungsauflagen entlassen – ein in Großbritannien übliches Verfahren. Es geht auf die letzte Labour-Regierung zurück und sollte der Überfüllung der Gefängnisse entgegenwirken.
Ob es richtig ist, gewalttätige gefährliche Straftäter vorzeitig zu entlassen, steht nun im Zentrum vieler Debatten. Die Konservativen, die seit zehn Jahren regieren, hatten die bisherige Regelung nicht abgeschafft, sondern nur die automatische Entlassung unter Bewährungsauflagen auf zwei Drittel des Strafmaßes erhöht und IPPs abgeschafft.
Eineinhalb Wochen bis zur Wahl
Eineinhalb Wochen vor der Parlamentswahl versucht Johnson nun die Attacke schamlos auszunutzen, indem er die Schuld der oppositionellen Labour Party und damit seinem Herausforderer, Jeremy Corbyn, in die Schuhe schiebt.
In der BBC konfrontierte der bekannte Moderator Andrew Marr ihn am Sonntag mit konservativen Regierungsentscheidungen und -ergebnissen seit 2010. Anders als behauptet steht in Johnsons Parteiprogramm nichts zu Änderungen des Strafsystems. Johnson hatte bisher nur versprochen, 20.000 zusätzliche Polizisten einzustellen, was den Kürzungen von bis zu einem Drittel seiner konservativen Vorgänger folgt.
Dabei hätten sich Suizide in Strafanstalten, Kämpfe zwischen Gefangenen und Selbstverletzungen mehr als verdoppelt und die Attacken auf das Gefängnispersonal verdreifacht. Nach weiteren Versuchen, Labour zum Sündenbock zu machen, gestand Johnson, dass er gegenüber seinen konservativen Vorgängern eine neue Haltung einnehme.
Oppositionsführer Corbyn hingegen argumentierte, dass Straftäter*Innen nicht unbedingt ihr volles Strafmaß absitzen müssten. Es hänge davon ab, was sie innerhalb der Strafanstalten taten. Auch Londons Bürgermeister Sadiq Khan (Labour) sagte, es sei nicht möglich, Terrorismus und Sicherheitsprobleme von den bisherigen Kürzungen bei Polizei und Justiz zu trennen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn