NSU-Untersuchungsausschuss: Schily will's nicht ganz gewesen sein
Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) übernimmt einen Teil der Verantwortung für das Versagen beim NSU-Terror. Die echten Fehler sieht er aber woanders.
BERLIN taz | Die bisherigen Auftritte von Otto Schily vor Untersuchungsausschüssen waren legendär: Schneidig, arrogant, manchmal aber auch brillant trat der SPD-Mann auf. Unvergessen seine Aussage als Bundesinnenminister in Sachen „Visa-Affäre“, die über fünfzehn Stunden dauerte.
Doch der Otto Schily, der an diesem Freitag vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags erschien, war ein anderer. Erkältet und mit heiserer Stimme, sagte der inzwischen 80-Jährige aus. Mit seinem Eingangsstatement war er nach nur zehn Minuten durch und gab dabei auch den Ton vor, den er an diesem Tag anstimmen sollte: Dass die rechtsextreme Terrorzelle NSU jahrelang nicht entdeckt wurde, sei eine „schwere Niederlage des Rechtsstaats“, die ihn sehr belaste.
Er trage auch einen Teil der politischen Verantwortung. Die Hauptschuld sah er gleichzeitig aber nicht bei sich, sondern bei den durch das deutsche Föderalwirrwarr falsch aufgestellten Sicherheitsbehörden. Seine Antwort: mehr Macht für den Zentralstaat.
Schily war von 1998 bis 2005 Bundesinnenminister. In dieser Zeit verübte der NSU sieben Morde auf Migranten und zwei Bombenanschläge. Mit der deutschlandweiten Mordserie, so viel wurde am Freitag klar, beschäftigte sich Schily aber als Minister überhaupt nicht. Oder zumindest konnte er sich daran nicht mehr erinnern. Zuständig seien die Ermittler in Bayern gewesen, so Schily. Dort wurde ein Großteil der Morde verübt.
„Ein kriminelles Milieu“
Mit dem Nagelbombenanschlag des NSU in der von vielen Deutschtürken bewohnten Keupstraße in Köln-Mülheim am 9. Juni 2004, bei dem 22 Menschen verletzt wurden, hatte Schily dagegen als Minister sehr wohl zu tun. Nur einen Tag nach dem Anschlag verkündete er: „Die Erkenntnisse, die unsere Sicherheitsbehörden bisher gewonnen haben, deuten nicht auf einen terroristischen Hintergrund, sondern auf ein kriminelles Milieu.“ In einem Lagebericht seines Ministeriums vom selben Tag hieß es sogar, ein terroristischer Hintergrund werde „derzeit ausgeschlossen“.
Genau darauf zog sich Schily am Freitag vor dem Ausschuss zurück: Er habe damals lediglich das wiedergegeben, was ihm sein Apparat aufgeschrieben oder gesagt habe. Einen negativen Einfluss auf die weiteren Ermittlungen habe das aber nicht gehabt, behauptete Schily. Kritik an seinem Satz könne er trotzdem „in aller Demut hinnehmen“.
Über die Frage, wie fatal Schilys Äußerungen damals waren, kabbelten sich am Freitag auch die Abgeordneten untereinander, für diesen Ausschuss eine Seltenheit. Aus Akten, die der taz vorliegen, ergibt sich, dass es anders als von Schily behauptet durchaus Auswirkungen auf die Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Nagelbombenanschlag gab. So prüfte die Bundesanwaltschaft, ob sie diese übernehmen sollte, lehnte am Ende aber ab – unter explizitem Hinweis auf Schilys Einschätzung.
Erstaunlich ist auch, dass das dem Innenministerium unterstellte Bundesamt für Verfassungsschutz damals mögliche Parallelen zu rassistischen Anschlägen in Großbritannien überprüfte – die Polizei aber die Spur nach rechts nur halbherzig verfolgte. Sie vermutete die Hintergründe lange im kriminellen Ausländermilieu, der Türsteherszene oder bei türkischen oder kurdischen Extremisten.
Wie sich das auswirkte, zeigte ein Brief einer Betroffenen aus der Kölner Keupstraße an den Untersuchungsausschuss, den Petra Pau von der Linken verlas. Darin beklagte sich die Frau über die Folgen der jahrelangen Falschverdächtigungen gegen die Menschen im Viertel. Da wurde sogar der harte Hund Otto Schily weich. „Der Brief ist sehr eindrucksvoll“, sagte er ganz leise. „Bitter.“
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