NS-belastetes Hamburg: Wie umgehen mit den Mitläufern?
Was? Unsere Heidi Kabel? Die Kommission zum Umgang mit NS-belasteten Straßennamen rührt an einer lokalen Heiligen – aber nur irgendwie.
Für Angehörige der entsprechenden (westdeutschen) Altersgruppe war die 2010 verstorbene „Volksschauspielerin“ Stimme und Gesicht, ja: ganzer Phänotyp der Menschen da im Norden; bei etwas anderer Interessenlage hätte auch HSV-Ikone Uwe Seeler diese Rolle eingenommen, aber so war es nun mal im Fall des Autors nicht.
Und diese Verkörperung verschmitzter hafenstädtischer Bodenständigkeit war Nazi? Nein, zumindest nicht streng genommen. Dass sich aber Hamburgs noch recht frische Kommission zum Umgang mit NS-belasteten Straßennamen auch mit dem „Heidi-Kabel-Platz“ gleich neben dem Hauptbahnhof befasse, meldete am Donnerstag der NDR.
Bloß: Richtig neu war daran eigentlich nichts – was an Kabels Vita problematisch ist, war lange bekannt, stand etwa 2010 auch schon in der taz: „Wenn Bremen eine Brücke nach SA-Mann Karl Carstens benennt und Oldenburg eine Straße nach dem Landesleiter der Reichsschrifttumskammer August ‚Blut und Boden‘ Hinrichs, dann ehrt Hamburg mit Heidi Kabel ja fast schon den Widerstand. Schließlich war die ja bloß Mitglied der NS-Frauenschaft und hat ihren Mann zum Beitritt in die NSDAP überredet, aus Karriere-Erwägungen.“
Nazinah aus Karrieregründen
Selbst nie NSDAP-Mitglied, drängte die beliebte Schauspielerin – auch laut den eigenen Lebenserinnerungen – ihren Mann Hans Mahler 1937 dazu, eines zu werden. „Hintergrund dieses Parteibeitritts war Mahlers Bewerbung um eine Intendantenstelle in Lüneburg“, so formulierte es 2017 der Historiker David Templin in seiner Studie „Wissenschaftliche Untersuchung zur NS-Belastung von Straßennamen“, erstellt im Auftrag des Hamburgischen Staatsarchivs.
58 Hamburger Straßen- und Platznamen waren darin Thema – auch solche, deren Namensgeber*innen „Aktivismus jenseits der formalen Mitgliedschaft (...) nicht nachweisbar“ sind; so lautet etwa das Fazit im Falle Kabels.
Wer Mitglied in der NSDAP war, nach dem wird in Hamburg keine Straße mehr benannt, das ist so weit durchgesetzt. Nun aber sollen die komplizierteren Fälle in den Blick genommen werden, die nicht ganz so eindeutigen. Oder wie es Kultursenator Carsten Brosda (SPD) vor Längerem äußerte: Es gehe „zunehmend um die Frage, ob jemand weggeschaut oder sich nicht ausreichend engagiert hat“.
Das betrifft etwa auch den Großschauspieler Gustaf Gründgens oder den erklärt „unpolitischen“, indes von Benito Mussolini faszinierten Literaturnobelpreisträger Gerhart Hauptmann, den seinerseits die Nationalsozialisten als „Leibdichter des Marxismus“ anfeindeten. Aber auch weniger Prominente wurden 2017 ausgeleuchtet, darunter der völkische Theologe Christian Boeck (1875–1964), dem noch 1992 eine Straße gewidmet wurde.
Es sollen keine „Unschärfen“ bleiben
Aufbauen auf die Studie von 2017 soll nun also die Kommission. Schon im Januar ins Leben gerufen, trat sie coronabedingt erst am 30. September auch tatsächlich zusammen.
Zu den Gründungsmitgliedern zählen Historiker*innen – darunter Rita Bake (ehemalige Vizechefin der Landeszentrale für politische Bildung), Miriam Rürup (Institut für die Geschichte der deutschen Juden), Detlef Garbe (Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte) und Rainer Nicolaysen (Verein für Hamburgische Geschichte); aber etwa auch Ex-Schulsenatorin Christa Goetsch und Hans-Peter Strenge, ehemals Bezirksamtsleiter in Altona.
Beauftragt seien sie mit der Entwicklung von Kriterien dafür, wie bestimmte Personalien zu bewerten seien, so die Kulturbehörde. Damit könne der Senat dann „vernünftige“ Entscheidungen treffen. Das muss nicht in jedem Fall heißen, dass eine Straße umbenannt wird, sondern kann etwa auch eine Kommentierung bedeuten. „Aber es geht darum, sichtbar und transparent zu machen, wofür die Namen stehen“, so der Kultursenator jetzt gegenüber dem NDR. Es sollen erklärtermaßen keine „Unschärfen“ bleiben.
Zunächst hat das Gremium ein Jahr Zeit für seine Aufgabe. Sollte die zu erledigen länger brauchen, sei das eben so, erklärte die Kulturbehörde am Freitag auf taz-Anfrage. Schließlich sollen die Ergebnisse – also Kriterien für den Umgang – ja Bestand haben.
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