Der Friedhof der Frauen

Frauen geraten nach dem Tod leichter in Vergessenheit als Männer, beobachtete die Hamburger Historikerin Rita Bake. Deshalb hat sie auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg den „Garten der Frauen“ gegründet: In dem liegen über 120 Frauen, an die die Forscherin dauerhaft erinnern will

von Carola Ebeling

Wer kennt Emmy Beckmann, Annie Kalmar oder Yvonne Mewes? Alle drei haben in Hamburg gelebt, alle drei haben sie Besonderes getan: Emmy Beckmann war Hamburgs erste Oberschulrätin, Annie Kalmar eine der ersten Schauspielerinnen am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, und die Lehrerin Yvonne Mewes verweigerte sich den Anforderungen des NS-Regimes, was sie das Leben kostete.

Rita Bake, Historikerin und seit langem der Hamburger Frauengeschichte auf der Spur, kennt sie alle drei. Bei ihren Recherchen für ihr Buch „Stadt der toten Frauen“ ist sie ihnen und vielen anderen begegnet: Auf dem Ohlsdorfer Friedhof befinden sich die Gräber von über 120 Frauen, deren Leben und Wirken die Forscherin für erinnerungswürdig hält. Aber: „Die Leistungen von Frauen werden schon zu Lebzeiten weniger wahrgenommen als die von Männern – und nach dem Tode zählen sie erst recht nicht“, so Rita Bake. „Wenn die Grabstellen von niemandem mehr verlängert werden, dann werden die Grabsteine zerschreddert.“

Weil das bei den meisten Frauen der Fall ist, musste sie handeln: „Yvonne Mewes war der Auslöser. Sie hat individuellen Widerstand gegen die Nazis geleistet, ist im KZ gestorben. Ihr Grabstein war schon ganz wackelig, hätte jeden Tag abgeholt werden können.“ Rita Bake gründete mit zwei Freundinnen den Verein „Garten der Frauen“. Die Idee: Die Grabsteine der Frauen zu retten und damit die Erinnerung an sie zu wahren. Dafür bedurfte es eines Areals auf dem Friedhof, das die Vereinsgründerinnen gemeinsam mit der Friedhofsleitung aussuchten.

Das war vor fünf Jahren. Wer heute den „Garten der Frauen“ besucht, betritt einen lichten, freundlichen Ort, der dem Auge freien Raum lässt. Klassische Friedhofsbepflanzung ist tabu: Viele Rosen und unzählige bunte Sommerblumen wachsen hier. In der Mitte ein Brunnen, eine Rundbank unter einem großen Baum: Dies ist ein Ort für die Lebenden. Und so war es auch gedacht: „Wir wollen eine heitere – keine lustige! – Atmosphäre schaffen. Neben der frauenpolitischen Komponente geht es uns auch darum, die Themen Tod und Sterben ins Leben zu holen. Sich also auseinander zu setzen, statt zu verdrängen“, sagt Rita Bake.

Inzwischen wird im Garten an 54 historische Frauen erinnert – entweder durch deren Grabsteine, die der Verein hierher verlegt hat. Oder aber durch die Steine in der „Erinnerungsspirale“. Hier werden Frauen gewürdigt, deren Grabsteine nicht mehr existieren. Im Falle von Erna Hoffmann, deren Sohn sich an den Verein wandte, hat es nie ein Grab in Ohlsdorf gegeben, ihr Schicksal aber war den Vereinsfrauen wichtig: Sie wurde ein Opfer der Euthanasie. Ihr Stein steht zugleich für 40 weitere Frauen, sie alle wurden in einer „Heil- und Pflegeanstalt“ systematisch ausgehungert. In Form einer Spirale sind die schönen, individuell gestalteten Gedenksteine angeordnet – sie soll das ewige Leben symbolisieren. Das kann man religiös verstehen, für Rita Bake bedeutet es aber auch, dass die Betreffende „irgendwie weiter existiert“. Über das Leben jeder Frau, derer hier gedacht wird, berichten Metalltafeln.

Ferner gibt es noch eine dritte Art von Steinen: Wie eine Welle sind sie geformt, flach in den Boden eingelassen. Ein Blick auf die Daten verrät, dass hier Frauen der Gegenwart bestattet sind. „Das ist wirklich einzigartig in Europa: Dass wir diesen musealen Teil haben – aber auch die Möglichkeit für Frauen besteht, sich hier bestatten zu lassen“, sagt Rita Bake. Vereinsmitglieder können ein Urnengrab in einer der Gemeinschaftsgrabstätten kaufen. Für 1.280 Euro erwirbt man die Liegezeit für 25 Jahre, die Bepflanzung des Grabes und dessen Pflege über diesen Zeitraum. Zu Lebzeiten ist man Mäzenin des Vereins indem man ihn durch den Jahresbeitrag fördert.

Was sich so prosaisch anhört, ist für viele Frauen eine echte Alternative – für die Witwe oder das Frauenpaar zum Beispiel. Für Frauen, die aus Rücksicht auf die Verwandtschaft oder weil niemand mehr da ist, der sich kümmern könnte, sonst die anonyme Bestattung gewählt hätten. „Wir haben hier auch einige jüngere Frauen, die an Krebs gestorben sind. Sie wussten von der Krankheit, als sie ihre Grabstelle hier kauften. Und sie waren sehr beruhigt, den Ort vorher gesehen zu haben, sich hier nicht einsam zu fühlen. Man denkt ja wohl doch immer: Da lebe ich irgendwie weiter. Sonst könnte es einem ja egal sein.“