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NS-Verstrickungen biodynamischer HöfeDas Braune im Grünen

In der biodynamische Bewegung engagierten sich auch Nazis. Das Dorfprojekt Allmende Wulfsdorf beim Gut Wulfsdorf möchte die Aufarbeitung voranbringen.

Dereinst im Nationalsozialismus protegiert: die Verwertungsgesellschaft Demeter und die Idee des biologisch-dynamischen Anbaus Foto: dpa | David Ebener

D as Braune im Grünen: In der alternativen Szene wird selten über rechtsextreme Tendenzen diskutiert. Auch die anthroposophische Gemeinschaft und die biodynamische Landwirtschaft haben ihre Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus lange Zeit kaum thematisiert. Der Ruf des weithin als menschfreundlich wahrgenommenen Anthroposophie-Begründers Rudolf Steiner lenkt von den problematischen Aspekten seiner Lehre, fragwürdigen Verbindungen und zweifelhaften Aktivitäten seiner An­hän­­ge­r*in­nen ab.

Das Dorfprojekt Allmende Wulfsdorf bei Ahrensburg möchte dies ändern und die Diskussion über die biodynamische Bewegung und Demeter im Nationalsozialismus vorantreiben. „Wir sind ja selbst betroffen“, sagt Claus Kristen vom Dorfprojekt und erklärt, dass dort anthroposophisch Bewegte mitwirken. „Über unsere Straße rüber liegt auch gleich das Gut Wulfsdorf, das biologisch-dynamisch bewirtschaftet wird.“

Der Bio-Hof ist in Hamburg bekannt. Auf vielen Wochenmärkten bietet das Gut Wulfsdorf seine Bio-Produkte an. Von den rund 80 Mitarbeitenden wohnen einige auch im Dorfprojekt, sagt Kristen. Den Anstoß für eine Veranstaltung zum Thema gab eine Studie zur Geschichte der biodynamischen Bewegung während der NS-Zeit, sagt er. Kristen forscht und publiziert selbst zu den Themen Männlichkeit, Kolonialismus und Militarismus.

Die im vergangenen Jahr veröffentlichte 480-seitige Studie von Jens Ebert, Susanne zur Nieden und Meggi Pieschel beleuchtet die Geschichte der biodynamischen Bewegung während der NS-Zeit. Sie zeigt, dass biodynamische Verbände bereits ab 1933 eine Eingliederung in den NS-Staat anstrebten. Erhard Bartsch, ein prominenter Anthroposoph, gründete den „Reichsverband für biologisch-dynamische Wirtschaftsweise in Landwirtschaft und Gartenbau“, der das „Führerprinzip“ einführte und jüdische Menschen ausschloss.

Die Studie und die Diskussion

Jens Ebert, Meggi Pieschel, Susanne zur Nieden: Die biodynamische Bewegung und Demeter in der NS-Zeit. Akteure, Verbindungen, Haltungen, Metropol, 477 S., 34 Euro

Diskussionmit Jens Ebert und Meggi Pieschel: Fr, 14. 2., 19 Uhr, Gemeinschaftshaus Allmende Wulfsdorf, Bornkampsweg 36, Ahrensburg

Bartsch, der auf der Marienhöhe oberhalb von Bad Saarow in Brandenburg 1928 einen bis heute bestehenden Demeterhof gründete, verehrte Hitler. In einer Rede sagte er, „dass der Führer selbst mit wachsender Aufmerksamkeit auf unsere Arbeit hinschaut“. Und weiter: „Deutscher Geist und deutsches Schwert werden dem kulturschaffenden Bauern die Zukunft sichern. Heil dem Führer.“

In der anthroposophischen Gemeinde war Bartsch nicht der einzige, der dem Nationalsozialismus etwas abgewinnen konnte. Um das Verhältnis zur NS-Führung positiv zu gestalten, wurde Hannes Rascher, NSDAP-Mitglied und Anthroposoph, zum „Mittelsmann“.

Die Studie deutet darauf hin, dass die biodynamische Bewegung größere Sorge vor dem Einfluss des sogenannten „Stickstoff-Syndikats“ hatte als vor der Macht der Nationalsozialisten. Elf Prozent der Verbandsmitglieder waren nachweislich in der NSDAP. Einige Anthroposophen der Bewegung übernahmen leitende Positionen in Konzentrationslagern wie Dachau, Ravensbrück und Mauthausen, wo sie an der Organisation von „Kräutergärten“ oder „Plantagen“ beteiligt waren. In der besetzten Ukraine, nahe Schytomyr, gab es ein biodynamisches Versuchsgut.

Unterstützung erhielt die Bewegung auch von hochrangigen NS-Funktionären wie Rudolf Heß, Heinrich Himmler und Walther Darré. Nach Heß’ Flug nach England 1941 wurde der Verband zwar verboten, doch Himmler förderte weiterhin bestehende Projekte. Bartsch behauptete sogar, er habe den Befehl erhalten, den landwirtschaftlichen Betrieb in Auschwitz biodynamisch umzustellen.

Am 14. Februar haben Interessierte im Gemeinschaftshaus Allmende die Möglichkeit, mit den Au­to­r*in­nen Ebert und Pieschel über ihre Forschungsergebnisse zu diskutieren.

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Andreas Speit
Autor
Rechtsextremismusexperte, Jahrgang 1966. In der taz-Nord schreibt er seit 2005 die Kolumne „Der Rechte Rand“. Regelmäßig hält er Vorträge bei NGOs und staatlichen Trägern. Für die Veröffentlichungen wurde er 2007 Lokaljournalist des Jahres und erhielt den Preis des Medium Magazin, 2008 Mitpreisträger des "Grimme Online Award 2008" für das Zeit-Online-Portal "Störungsmelder" und 2012 Journalisten-Sonderpreis "TON ANGEBEN. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" des Deutschen Journalistenverbandes und des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt. Letzte Bücher: herausgegeben: Das Netzwerk der Identitären - Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten (2018), Die Entkultivierung des Bürgertum (2019), mit Andrea Röpke: Völkische Landnahme -Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos (2019) mit Jena-Philipp Baeck herausgegeben: Rechte EgoShooter - Von der virtuellen Hetzte zum Livestream-Attentat (2020), Verqueres Denken - Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus (2021).
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