piwik no script img

NS-Gedenkort in HamburgMehr Würde für Gestapo-Opfer

Das privatisierte Gedenken war gescheitert. Jetzt betreibt die Stadt den neu eröffneten Hamburger Geschichtsort Stadthaus in der Ex-Gestapo-Zentrale.

Senator Carsten Brosda (re.), Alyn Beßmann und Oliver von Wrochem (beide Gedenkstätten-Stiftung) Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg taz | Dieser Ort war schwer zu retten: „Als ich den Raum zum ersten Mal leer sah, wurde mir klar, wie klein er ist und wie wenig man dort verändern kann“. Cornelia Kerth, Bundesvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) wusste bis dato nicht, wie verbaut der Hamburger „Geschichtsort Stadthaus“ ist.

Dabei ist das neu gestaltete und jetzt wieder eröffnete Areal historisch brisant: In der NS-Zeit – bis Juli 1943 – residierte dort das Hamburger Polizeipräsidium samt Gestapo-Zentrale. Heute ist das Gebäudeensemble, in dem damals Gefangene, vor allem WiderstandskämpferInnen, verhört, gefoltert und ermordet wurden, mit Luxus-Hotel und Nobelläden bestückt.

Als Mitglied der Initiative Gedenkort Stadthaus hatte auch Kerth stets gefordert, dass die seit 2020 bestehende Ausstellung erweitert werde und neben der Täterschaft der Polizei stärker die Opfer fokussiere.

Dafür schien der Moment gekommen, als 2022 Umbau und Neugestaltung des Ortes anstanden, der als regionale Zentrale des NS-Terrors galt. Hier wurde die Verfolgung politischer GegnerInnen, von Jüdinnen und Juden, Sintize und Sinti, Romnja und Roma aus ganz Norddeutschland organisiert. Auch die Hamburger und Bremer „Polizeibataillons“, die an Massenerschießungen in Polen und der damaligen Sowjetunion beteiligt waren, rekrutierte man hier.

Spätes Gedenken

Das Gedenken begann spät: Obwohl seit Kriegsende Hamburger Behörden im Stadthaus residierten, brachte man erst 1981 eine Gedenktafel an – auf Initiative von MitarbeiterInnen der Baubehörde, die dort bis 2013 saß. Schon 2009 allerdings hatte die Stadt die attraktive Innenstadt-Immobilie an den Investor Quantum Immobilien AG verkauft.

Im selben Jahr wurde die „Stadthöfe KG“ gegründet, der die Immobilie inzwischen gehört. An ihr ist unter anderem die Ärzteversorgung Niedersachsen beteiligt. Sie sicherte der Stadt Hamburg 2009 zu, den Betrieb eines 750 Quadratmeter großen Geschichtsort „zu gewährleisten“. Eine unverbindliche Formulierung. Dann rechnete sie den Ort – von der Stadt unwidersprochen – auf 70 Quadratmeter in der Ecke eines „Dreiklangs“ aus Buchladen, Café und Ausstellung klein, wobei die Buchhändlerin den Gedenk-Ort betreiben sollte.

Tag der offenen Tür

Tag der offenen Tür: Di, 4.7. von 10–17 Uhr, Stadthausbrücke 6, Hamburg. Führungen 12–16 Uhr zur vollen Stunden. Danach regulär geöffent: Mo–Sa 10–17 Uhr. Eintritt frei

Die Kritik an diesem Konstrukt und der auf die TäterInnen fokussierten Ausstellung folgte sofort – und blieb: Seit vier Jahren schon hält die Initiative Gedenkort Stadthaus dort ihre Freitags-Mahnwachen ab. Als die Buchhandlung insolvent ging, setzte man 2022 die Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte, die auch die KZ-Gedenkstätte Neuengamme betreibt, ein. Der Auftrag: den Raum zu einem würdigen Geschichtsort umzugestalten und zu betreuen.

Anders als zuvor wurden nun Verfolgtenverbände einbezogen, und im Zuge jener Begehungen sah die VVN-BdA-Vorsitzende Cornelia Kerth, dass sich die Ausstellung in dieser Enge nicht erweitern ließ. „Wir begrüßen die Zusammenarbeit und die Neugestaltung des Orts“, sagt sie. Unabhängig davon fordere man weiterhin einen zentralen Gedenkort für die WiderstandskämpferInnen – etwa in einem Neubau gegenüber dem Görtzschen Palais, das auch zu den „Stadthöfen“ gehört. Denn der in Fuhlsbüttel geplante Gedenkort für den Widerstand sei zu abgelegen und werde erst in vielen Jahren fertig.

Kooperation mit Verfolgtenverbänden

Abgesehen davon habe man den – nun, da Buchladen und Café raus sind, 250 Quadratmeter großen – Raum gut genutzt, findet Cornelia Kerth. „Wir haben um jeden Quadratmeter gerungen“, bestätigt Alyn Beßmann von der Gedenkstätten-Stiftung, die den Geschichtsort Stadthaus leitet. Herausgekommen ist ein heller, großzügig wirkender Raum mit Empfangstresen, einer Veranstaltungsfläche, Büro und Seminarraum.

Eine weitere Veränderung betrifft die einstige Schaufenster-Installation mit dem halb eingesunken 1930er-Jahre-Schreibtisch und den Verfolgtenporträts, die schwer als solche erkennbar waren. Dieses Areal ist nun begehbar: Die Porträts werden künftig als Dreh-Elemente fungieren, auf deren Rückseite der Lebenslauf steht. Und an den Schreibtisch kann man herantreten und in einer Mappe mit „Schutzhaft-Befehlen“ lesen.

Über die Nutzung des zweiten Schaufensters wird noch gestritten. Die pädagogische Mitarbeiterin Christiane Hesz sagt, dort sollten sich im Wechsel Verfolgtenverbände präsentieren. Die VVN-BdA-Vorsitzende Cornelia Kerth fordert, dass dort dauerhaft an den Kampf um diesen Gedenk-Ort erinnert wird. „Eine solche Ergänzung halte ich für eine gute Idee“, sagt Alyn Beßmann, Leiterin des Geschichtsorts. „Über Ort und Umsetzung werden wir noch sprechen.“

Sogar wechselnde Ausstellungen soll es trotz der Enge geben – die erste gleich zur Wiedereröffnung. Sie ist dem 1942 in Berlin-Plötzensee hingerichteten 17-jährigen Hamburger Widerstandskämpfer Helmuth Hübener gewidmet.

Umbau teurer als geplant

Finanziert hat den Umbau großteils die Stadt Hamburg mit 100.000 Euro. Die wurden – die genaue Summe ist noch nicht errechnet – „deutlich überzogen“, sagt Oliver von Wrochem, Leiter der Gedenkstätten-Stiftung. Aber die Kulturbehörde habe Unterstützungsbereitschaft signalisiert.

Die Stadthöfe-KG (Jahresumsatz: 200 Millionen Euro) hat sich mit 25.000 Euro am Umbau beteiligt. Und auch wenn die Stadt den Raum mietfrei nutzen kann, muss sie – neben einer Nebenkosten-Pauschale von 20.000 Euro – die verbrauchsabhängigen Kosten für Strom, Wasser, Heizung tragen. Außerdem muss jener externe Dienstleister bezahlt werden, der während der Öffnungszeiten am Tresen steht und bei Bedarf den „Seufzergang“ öffnet, durch den damals Gefangene zu den Verhören gebracht wurden. Er gehört, wie die Leuchtstelen zur Baugeschichte der „Stadthöfe“ im Arkadengang, mit zum Geschichtsort.

Dass die Betriebskosten aufgrund der Inflation die von der Stadt zugesagten 139.000 Euro jährlich übersteigen werden, zeichnet sich laut Beßmann bereits ab. Auf die Frage nach der Erhöhung der Zuschüsse sagte Kultursenator Carsten Brosda (SPD) anlässlich der Wiedereröffnung, mit Preissteigerungen hätten alle städtischen Stiftungen zu kämpfen. Man werde das besprechen und einvernehmlich lösen.

Die Finanzierung der beiden 50-Prozent-Stellen der pädagogischen Mitarbeiterinnen ist aber laut Behördensprecher Enno Isermann dauerhaft gesichert. Auch die Aufstockung der beiden Stellen auf je 75 Prozent ist laut Stiftung zugesagt.

Nutzung für 20 Jahre

Ungewöhnlich bleibt, dass der Nutzungsvertrag der Stadt mit der Stadthöfe KG nur über 20 Jahre läuft – mit unbefristeter Option auf Verlängerung um je zehn Jahre. Für einen in Zeiten des erstarkenden Rechtspopulismus so relevanten Geschichtsort ein wenig plausibles Konstrukt.

Die Stadt hätte wohl gern eine unbefristete Nutzung vereinbart, wie Brosda durchblicken lässt. Aber die Ärzteversorgung Niedersachsen habe komplizierte Debatten mit den anderen Mit-Eignern gefürchtet – den Ärzteversorgungen Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. „Da haben wir das dann gar nicht mehr verhandelt“, sagt Brosda.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • ex-polizeichef HHs:



    "Das Argument, es gebe keinen Platz, lässt Kopitzsch - Hamburgs ehemaliger Polizeipräsident - nicht gelten. "Im Führungsbunker unter dem Petersplatz gibt es große Räume. Sie müssen nur erschlossen werden", findet er und bedauert, dass es in Hamburgs Innenstadt keinen angemessenen Ort der Erinnerung gibt. Andere Städte, wie München etwa, seien da viel weiter."



    www.ndr.de/nachric...,stadthaus164.html

  • In der Summe bleibt: Die Stadt Hamburg und Ärztekammern haben im Gegensatz zur Stadt Köln, wo an zentraler vergleichbarer Stelle eine große NS-Dokumentationsstelle mit Aussstellungsräumen und vielen Mitarbeitern errichtet wurde, einen winzigen NS-Gedenkort geschaffen und finanziell mit Peanuts aufgefrischt.

    Im Erdgeschoss Gedenken an Nazi-Gefolterte im Keller und darüber Freuden im Luxushotel, an dem damit verbundenen Zynismus haben Nazis sicher ihre Freude.







    Die Alibi-Gedenkstätte sollte boykottiert werden, bis die Stadt Hamburg im Zentrum von Hamburg eine große NS-Gedenkstätte für die Opfer der Verbrechen der Gestapo wie in Köln schafft.

    Zum Hamburger NS-Gedenken im Peanuts-Format passt, dass Familenunternehmen aus der martimen Wirtschaft, die massiven NS-Verstrickungen ihrer Firmen und Familien bis heute nicht von unabhängigen Historikern aufarbeiten und stattdessen die NS-Geschichte ihrer Firmen und Familien mit einigen wenigen wolkigen Sätzen in der Firmengeschichte umschreiben.