NPD-Schülerzeitung: Perfide Parolen
Die NPD-Jugendorganisation JN betreibt Schulhof-Agitation - mit einer Gratis-Schülerzeitung für Sachsen. Die Staatsanwaltschaft prüft eine Indizierung des Blattes.
Von einer ernsthaften Konkurrenz für die jüngst in Millionenauflage alldeutsch expandierte Schülerzeitung Spiesser ist das Heftlein weit entfernt. Am Zeitungsstand würde perplex im A5-Format wohl mit einem Rätsel- oder Comicblättchen verwechselt werden. Erst auf den zweiten Blick fällt der Untertitel "jung frech deutsch" auf. Zwei sich einander entgegenreckende Hände wecken Assoziationen entweder zum SED-Emblem oder zu Michelangelos "Erschaffung des Adam" in der Sixtinischen Kapelle. Die zugehörige Inschrift "Wir bleiben hier!", eine Anleihe bei den 89ern, vergrößert die Konfusion. Erst angerissene Inhaltsüberschriften wie "Gegen die deutsche Kollektivschuldlüge" oder "Unsere Lieder für Deutschland" lassen ahnen, worum es sich handelt: ein Propagandablättchen der Jungen Nationaldemokraten (JN) in Sachsen.
Gegen angebliche Spießer richten sich die 16 Seiten allerdings. Der Begriff steht synonym für "Pauker", die Schülern nur ihren "linksextremen 68er-Schwachsinn eintrichtern wollen". "Diese Schülerzeitung ist der Schrecken aller linken Spießer, die Dich unterrichten", heißt es im Editorial. Das Blättchen soll also latentes pubertäres Rebellionspotenzial kanalisieren, und zwar in rechts-nationalistische Bahnen. "Mach Deinen Schulhof zur national befreiten Zone!", fordert es ganz ungetarnt. Anders und unbequem sein, so wird suggeriert, heißt nationalistisch sein. Der Slogan "Lieber ungezogen als umerzogen" zielt in die gleiche Richtung.
Die Probeauflage von 30.000 Exemplaren bleibt vorerst auf Sachsen beschränkt und wird von JN-Aktivisten bevorzugt vor Schulen, Bushaltestellen und Jugendklubs verteilt. Im November soll eine zweite Ausgabe folgen. Hinter der Aktion steht der sächsische Landtagsabgeordnete und NPD-Chefpropagandist im Riesaer "Deutsche Stimme Verlag" Jürgen Gansel. Für ihn knüpft die Schülerzeitungsoffensive an die Strategie forcierter direkter Agitation in diesem Jahr an. Eine Million Themenflugblätter und eine halbe Million Gratisexemplare des Infoblatts "Sachsen-Stimme" der NPD zielten schon speziell auf vernachlässigte ländliche Räume. Auch perplex wirbt mit Eigenanzeigen für weitere Medien der Rechtsextremen. Allein beim jüngsten "Tag der Sachsen" im vogtländischen Reichenbach gingen 1.500 Schulhof-CD an Schüler, Pfadfindergruppen, Jugendkapellen und Feuerwehrleute. "So unterlaufen wir spielend die Schweigemauer, die die Systemmedien um die Landtagsfraktion gebaut haben, indem sie über die Sacharbeit der NPD gar nichts berichten", triumphiert Gansel. Die konstant hohen Umfragewerte der NPD, die etwa dem Landtagswahlergebnis von 9,2 Prozent des Jahres 2004 entsprechen, schreibt er auch dieser "zielgenauen Öffentlichkeitsarbeit" zu.
Karikaturen, Parolen und Inhalte von perplex tragen eindeutig ausländerfeindlichen und geschichtsrevisionistischen Charakter. Wenn im Vaterland nicht mehr Kinder gezeugt und dann auch noch die Grenzen geöffnet werden, drohe dem Volk die Überfremdung. Eine angebliche Weltverschwörung gegen die Deutschen soll die "Lüge" deutscher Schuld am Zweiten Weltkrieg entlarven. Und der Slogan "Das System hat keine Fehler, das System ist der Fehler" spielte bereits im vergeblichen Verbotsverfahren gegen die NPD als Beweis ihrer Verfassungsfeindlichkeit eine Rolle. Was der unbefangene Leser nicht kennen kann, sind die "ehrlichen Texte" der in einem Bericht über den JN-Sachsentag erwähnten rechten Szenebands. Bei "Frontalkraft" etwa heißt es: "Schwarz ist die Nacht, in der wir euch kriegen, weiß sind die Männer, die für Deutschland siegen, rot ist das Blut auf dem Asphalt."
Das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz hält sich mit einer eindeutigen Einstufung des Blattes bislang zurück. Sofort und eindeutig reagierte hingegen der Leiter der Staatsschutzabteilung, Oberstaatsanwalt Jürgen Schär, in Dresden. Zum Auftakt der Verteilungsaktion gestern vor einer Dresdner Berufsschule beschlagnahmten Beamte des Landeskriminalamts etwa 140 Exemplare. Schär sah speziell im aggressiven Artikel über die angebliche Kriegsschuldlüge "Gefahr im Verzug" und einen Verstoß gegen das Jugendschutzgesetz. Das Amtsgericht muss diesen Beschluss noch überprüfen. Das sächsische Kultusministerium riet Schülern und Lehrern, sich im Unterricht offensiv mit dem Machwerk auseinanderzusetzen. Taucht das Blatt an Schulen auf, muss es als verbotene politische Werbung ohnehin aus formalen Gründen eingezogen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!