NGO Finanzwende zu Coronahilfen: „Erst Staatshilfen zurückzahlen“
In der Coronakrise den Aktionär:innen Gewinne mithilfe von Steuermitteln ausschütten? Das geht nicht, sagt Lena Blanken von der NGO Finanzwende.
taz: Am Mittwoch hat der Autokonzern Daimler seine Hauptversammlung und will einen Gewinn an seine Aktionär:innen ausschütten. Denen gehört das Unternehmen – ein normaler Vorgang. Warum beschweren Sie sich darüber?
Lena Blanken: Daimler und weitere Konzerne haben im Coronajahr 2020 großzügige Hilfen des Staates entgegengenommen. Nun will der Autohersteller 1,4 Milliarden Euro Dividende an die Aktionär:innen überweisen – rund die Hälfte mehr als vergangenes Jahr. Bevor das Unternehmen das tut, sollte es die Staatshilfen zurückzahlen.
Ihr Hauptargument ist, dass Corona-Hilfen aus Steuergeld in Dividenden umgeleitet werden?
Viele Bürger:innen müssen den Gürtel enger schnallen. Wenn gleichzeitig Aktionär:innen aus öffentlichen Kassen zusätzliche Gewinne erhalten, betrachten wir das als moralisch verwerflich.
Subventionen für Firmen aus allgemeinen Steuermitteln sind an der Tagesordnung – obwohl viele Menschen von Sozialhilfe leben.
Wir finden, dass Steuergeld besser genutzt werden sollte als für eine Ausschüttung an die Aktionär:innen. Und jetzt haben wir eine besondere Lage. Die Pandemie setzt Millionen Bürger:innen unter extremen Stress, auch materiell.
Die Volkswirtin organisiert Kampagnen bei der NGO Finanzwende. Gerade läuft die Unterschriftenaktion „Lockdown für Dividenden“.
Beschäftigte von Daimler haben Kurzarbeitergeld von der Bundesagentur für Arbeit erhalten. Dieses finanzierten die Firma und ihre Arbeitnehmer:innen durch ihre eigenen Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Es handelt sich um eine klassische Versicherungsleistung. Warum sollte Daimler die zurückzahlen?
Weil es keine reine Versicherungsleistung mehr ist. Die Bundesagentur hat 2020 alle Reserven aufgebracht und benötigte außerdem einen Zuschuss aus dem Bundeshaushalt von bisher etwa 10 Milliarden Euro.
Für vergangenes Jahr machte der Bundeszuschuss an die Agentur etwa ein Drittel des Kurzarbeitergeldes aus. Bezogen auf die etwa 700 Millionen Euro Kurzarbeitergeld für Daimler trifft Ihr Argument dann auch nur auf ein Drittel zu – etwa 230 Millionen Euro.
So kann man das nicht rechnen. 2020 sind die Ausgaben der Bundesagentur für das Kurzarbeitergeld regelrecht explodiert. 2019 waren es nur 157 Millionen Euro, vergangenes Jahr dann über 22 Milliarden – zum erheblichen Teil finanziert aus Steuern.
Und die Krise ist noch nicht vorbei. Außerdem hatten die Beschäftigten trotz Kurzarbeitergeld weniger Geld auf ihren Konten. Der Staat und die Arbeitnehmer haben also bei Daimler ein Minus. Warum sollten die Aktionär:innen dann mehr verdienen?
Was hat der Autokonzern noch an Corona-Unterstützung erhalten?
Der Staat fördert den Absatz von E-Autos mit höheren Kaufprämien. Und seit Kurzem gibt es eine neue Abwrackprämie für Lkws.
Wie verbreitet ist das Phänomen?
BMW und VW planen in ähnlicher Lage ebenfalls Dividenden. Aber auch Adidas und weitere Unternehmen wollen trotz Staatshilfen ausschütten.
Ließe sich das verhindern?
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sollten die Staatshilfen an Bedingungen knüpfen und bei Verstoß die Erstattung durchsetzen.
Das dürfte juristisch schwierig werden.
Die Niederlande haben das in ähnlicher Form geschafft. Und grundsätzlich erscheint das möglich. Firmen, die beispielsweise Coronakredite der öffentlichen KfW-Bankengruppe erhielten, dürfen keine Boni an Manager:innen zahlen, Aktien zurückkaufen oder Dividenden ausschütten.
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