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Mythos WaldVon gierigen Prinzchen verscherbelt

Die Angst vorm Wald steckt uns in den Knochen. Deshalb musste er gezähmt und kulturell sublimiert werden. Der Mensch bevorzugt andere Landschaften.

Ort der Angst und der Sehnsucht zugleich: Der Wald Foto: Imagebroker/Imago

Mit dem Wald als archetypische Landschaft haben sich verschiedene wissenschaftliche Disziplinen beschäftigt. Hier eine unvollständige Liste einiger Erkenntnisse:

Sagt jedenfalls Christophe Girot, Professor für Landschaftsarchitektur an der ETH Zürich, der ein Standardwerk über die Kulturgeschichte der Landschaftsarchitektur geschrieben hat. Darin vermerkt er eine „fast schon unheimliche Ähnlichkeit im Konzept von Wald und Gartenachse“ zwischen dem berühmten italienischen Renaissance-Garten der Villa Lante von 1568 und einigen von ihm inspirierten, in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in England angelegten Gärten.

In allen Anlagen – mehr Parks als Gärten – befinden sich die obligatorischen künstlichen Wäldchen links der Hauptachse, „wie faszinierende Flecken aus Dunkelheit“, schreibt Girot. Er führt dies auf den Aberglauben zurück, dass links „die unheilvolle Seite der Dinge“ sei. Im Lateinischen bezeichnet „sinistrum“ sowohl „links“ als auch „böse“.

2. Der „böse Wald“ ist ein evolutionäres Erbe

In ihrem im Mai in der taz erschienenen Artikel über das Verhältnis von Mensch und Landschaft zeichnet Ulrike Fokken Erkenntnisse aus der Psychologie nach. Danach bevorzugten alle von den US-amerikanischen Wis­sen­schaft­le­r:in­nen Rachel und Stephen Kaplan befragten Menschen in den USA, Argentinien und Australien „Landschaften, die 'man als parkähnlich oder als Steppe oder Savanne bezeichnen kann‘“. Abgelehnt hätten „die meisten dicht bewachsenes Unterholz im Vordergrund der gezeigten Bilder“, schreibt Fokken.

Dahinter stecke, zitiert sie das Forscherpaar, „dass die bevorzugten Landschaften einen Teil der evolutionären Entwicklung des Menschen erklären können“. Ganz platt ausgedrückt: Als aus dem Affen ein Mensch wurde, verließ er den Wald und suchte sich Gegenden, in denen ihm sein aufrechter Gang von Vorteil war und er mehr sehen konnte als den Wald vor lauter Bäumen – drohende Gefahren zum Beispiel.

3. Der Wald muss gezähmt werden

Das Christentum habe den Wald – in seiner ursprünglichen wilden Form nicht vergleichbar mit den aufgeräumten Wäldern unserer Zeit – mit heidnischen, unzivilisierten Kulturen gleichgesetzt, schreibt der Landschaftsarchitekt Girot. Im Mittelalter sei der Wald als Negativ-Folie der Dörfer und Städte genutzt worden. Dorthin seien die Aussätzigen verbannt worden. Gleichzeitig sei eben dieses heidnische Moment eingemeindet worden, sagt Girot.

Er begründet seine These einerseits damit, dass Baumkulte übernommen worden seien. Manchmal hätten Einsiedlermönche heilige Linden bewohnt, um von dort zu missionieren, vor allem dort, wo zuvor solche Kulte entdeckt worden waren. Andererseits seien etwa gotische Kathedralen mit ihren spezifischen Formen gebaut worden, um „barbarischen Glaubensvorstellungen Rechnung zu tragen und sie zu transformieren“.

Tatsächlich erinnern gotische Kathedralen in ihren Innenräumen mit den hohen schlanken Säulen an Ansammlungen von in den Himmel ragenden Bäumen. Die echten Bäume hingegen seien gerodet worden, nachdem „der exorzierte Wald entsakrisalisiert war“ – in Gottes Namen.

4. Erst der verschwundene Wald ist interessant

Landschaften würden für den Menschen immer erst dann interessant, wenn es sie eigentlich nicht mehr gibt oder sie ­gerade im Verschwinden begriffen sind, argumentiert der ­britische Historiker Simon Schama in seinem Buch ­„Landscape and ­Memory“ und macht das am Beispiel der Deutschen Ro­man­ti­ke­r:in­nen mit ihrer Verehrung der Natur und insbesondere des Waldes deutlich. Die idyllischen Eichen- und Buchenwälder, die von Dich­te­r:in­nen besungen und von Malern wie Caspar ­David Friedrich auf Leinwand verewigt wurden, habe es zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr gegeben, schreibt Schama.

„Das bisschen, was an Laubwäldern nach dem 30-jährigen Krieg und den nordischen Kriegen am Ende des 17. Jahrhundert übrig geblieben war, war von gierigen und verschwenderischen Prinzchen verwüstet worden, die sich am Verkauf von Marineholz an mehrere Staaten bereicherten“ (Übersetzung: die Verf.). Erstaunlich sei dieses Preisen dessen, was bereits verloren ist, nicht, sagt Schama, da unsere Vorstellung von Landschaft geprägt sei durch unser kulturelles Erbe. Im Moment ihrer Wahrnehmung sehen und imaginieren wir sie.

5. Im Wald sind keine Römer

Schama vollzieht auch nach, wie der Deutsche Wald immer wieder – besonders eifrig von den Nationalsozialisten – zur Nationenbildung genutzt wurde, parallel zu den Bemühungen anderer Nationen, bestimmte Landschaften als typisch zu besetzen.

Der Wald biete sich in Deutschland an, sagt Schama. Zum einen, weil es hier tatsächlich sehr lange noch ausgedehnte Urwälder gab, was daran liege, dass die Vorläufer des deutschen Reichs so rückständig gewesen seien, wie er nicht ohne Gehässigkeit anmerkt. Zum anderen, weil eben diese Wälder letztlich das Bollwerk gegen die Römer gewesen seien, die im Jahr 9 nach Christus in der Varusschlacht im Teutoburger Wald die entscheidende Niederlage erlitten. Aus dem Wald stürzende Cherusker hatten die römischen Soldaten getötet.

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