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Mutter mit Kind beim JobcenterImmer fehlt was

Es ist besser, an einen Stromzaun zu pinkeln, als zum Jobcenter zu gehen, wenn man Hilfe braucht. Ein Beitrag zum Weltkindertag.

Mit einem quengelnden Kind an der Hand ist es eine Tortur Foto: imago/Jürgen Heinrich

2014. Erst ging es mir persönlich schlecht, dann beruflich. Ich konnte meinen Roman nicht zum Abgabetermin beenden. Kein Buch, kein Geld.

Ich war frisch alleinerziehend, musste mir Geld leihen.

Eine gute Idee ist es, gegen einen Stromzaun zu pullern. Keine gute Idee ist es, zum Jobcenter zu gehen, wenn man Hilfe braucht.

Vor mir in der Schlange stand eine Mutter. Ein Kind im Wagen, eins lief schon schwankend, aber schnell. Jocelyn. Die Mutter rief sie oft zurück. Das andere Kind spuckte den Schnuller aus. „Na, spielst du Arbeitsamt, Jasmin?“

Sie hob den Schnuller auf. Jasmin lachte, spuckte den Schnuller aus. Die Mutter begann zu drohen: „Ich kürz dir den Schnuller, dann heulste wieder!“ Die Kindsnamen waren auf ihre Fußknöchel tätowiert.

Schwangere Frauen dürfen übrigens an der Seite der Schlange vorbei. Frauen mit Kindern nicht.

Jasmin weinte, wollte keinen achten Keks. Jocelyn turnte hinter der Absperrung herum. Ich schwitzte solidarisch mit der Mutter mit. Wenn mein Kind krank geworden wäre, wäre ich auch Mutter mit Kind beim Amt gewesen.

Als sie endlich dran war, wurde am Empfangstresen ihr Rücken erst hart, dann rund. Zusammengeknüllt wie Müll ging sie, rief nach Jocelyn, als wär’s ein böser Hund. In ihren Unterlagen fehlte sicher etwas. Noch nie sah jemand mehr nach „Wieder kein Geld“ aus.

Erst da sah ich, wie jung sie war. Ich wollte ihr einen Keks geben, den Schnuller reinstecken, und wenn sie ihn ausspuckte, würde ich mit ihr Arbeitsamt spielen.

Bei der Sachbearbeiterin war das Fenster offen, die ganze Zeit bellten zwei Hunde im Hof.

Die Frau fragte und fragte. Ich hatte auch Fragen: ob jeden Tag Hunde unten bellten.

Sie seufzte.

Alle taten mir leid. Die Hunde, die Frau.

War ich froh, dass ich keine Vorurteile gegen Jobcenterangestellte hatte, sonst wären sie jetzt bestätigt worden

„Könnte man dort nicht Trinknäpfe hinstellen?“

Das würde sie mal vorschlagen, die armen Tiere.

Und könnte man nicht unten eine Spielecke für Kinder einrichten, fragte ich weiter. Ich erzählte von der jungen Mutter.

Da war es vorbei mit „die armen Tiere“. Schon bei „junge Mutter“ wusste sie alles. „Ich will ja nicht alle über eine Klinge springen lassen, aber …“

Die bringen die Kinder mit, weil sie hoffen, dass sie dann vorgelassen werden.

War ich froh, dass ich keine Vorurteile gegen Jobcenterangestellte hatte, sonst wären sie jetzt bestätigt worden.

Sie gab mir alle Anträge, Anlage A, Faltanleitung für einen Papiersarg. Bis ich das Geld bekommen habe, sind Monate vergangen. Immer fehlte etwas.

Ohne meine Mutter wäre ich verhungert.

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19 Kommentare

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  • Wurde dieser Text (bzw. eine längere Version davon) schon mal in Das Magazin veröffentlicht?

  • "„Ich will ja nicht alle über eine Klinge springen lassen, aber …“" WAS will die Frau? Jemanden über die Klinge springen lassen heißt ihn umbringen! Sind die beim Jobcenter schon so weit? Oder wollte sie vielleicht doch nur nicht alle *über einen Kamm scheren*? ;-)

    • @miri:

      Sind sie, und zwar schon lange und auf Anweisung ihrer Chefs. Sie haben Kennzahlen, bei deren Nichteinhaltung sie Rechenschaft ablegen müssen. Vor einiger Zeit kam heraus, dass in diversen JobCentern (das Wort ist der Marketingabteilung der SPD entsprungen, die es im Zuge der Hartz-"Reformen" erfunden hat) bestimmte Sanktionierungsquoten erreicht werden mussten. Wer im Gefängnis nicht kooperiert, kann (zu Recht!) nicht so existenziell bedroht werden wie ein Hartzie. Niemals vergessen: Rot/Grün war das. Bis heute keine Reue. Im Übrigen sitzen da nicht einfach nur Sadisten, sondern die MitarbeiterInnen werden mithilfe der üblichen Mechanismen und mithilfe der menschlichen Trägheit dazu gebracht, sich wie Sadisten zu verhalten. Sobald sie anfangen würden nachzudenken oder hinzufühlen, würden sie durchdrehen. Die Maschine ist eingerichtet und arbeitet perfekt.

  • Überraschend, dieser Einblick in deutsche Realität von unten. Überraschend, weil er unsre brasilianische Realität beschreibt. Immer und überall (ausser für die geldgebetteten Mafiapyramidenspitzen in Wirtschaft und Politik, klar). Im Spital oder Gesundheitsposten, in Schule, am Verkehrsamt, auf der Post, bei der Sozialversicherung..., überall. Bloss Geld bzw. erledigte Sachen, die gibts bei uns meist auch nach Monaten nicht. Da müssen wir schon weiter (ver)hungern, um die unersättlichen Pyramidenspitzen und ihre potemkinschen Pinocchio-Instanzen fett zu halten. Wie heisst es also richtig (Ihr in Deutschland Lebende)? Wehret den Anfängen.

    • @Ardaga:

      Wehret den Anfängen!

      Dafür ist es längst zu spät!!

  • Mich wundert, dass der Antragsteller nicht einen verbindlichen Laufzettel bekommt, wo schwarz auf weiß steht, was noch beizuschaffen ist. Wird darüber hinaus gefordert, ist eine vorläufige Bewilligung sofort zu veranlassen. Es kann nicht sein, dass sich ein Bedürftiger ob mit oder ohne Kind beim Kampf durch den Papierdschungel so verirrt, dass er sich um Essen und Wohnung Sorgen machen muss.

    Im JC welches ich kenne, gibt es Spielzeug, Malsachen und kindgerechte Tische und Stühle. Warum kann das nicht bundesweit zur Norm erhoben werden ?

    • @lions:

      Dann würde ja die willkommene Masche wegfallen, dieselben Unterlagen wieder und wieder anzufordern, damit einem nicht Untätigkeit vorgeworfen wird. Wird gerne gemacht, wenn der zuständige Mitarbeiter Urlaub hat oder krank ist...

      • @Frida Gold:

        Ja, es ist erschreckend, was hinter den Kulissen alles möglich ist, aber es muss doch ein einheitlich verbindliches Verfahren geben, wenn es um derart existenzielle Bedrohung geht.

        Die Freiräume sind da zu groß und diese Fehlgesetzgebung treibt einem die Wut auf die Stirn.

        • 6G
          628 (Profil gelöscht)
          @lions:

          Bedürftige sind in unserer Gesellschaft zunehmend nicht mehr einfach nur Menschen in Not, die Hilfe brauchen, sondern überflüssiger Abschaum, der froh und dankbar zu sein hat, wenn er überhaupt etwas bekommt, Willkür hin oder her. Entsprechend wird sich auch nicht die Mühe gemacht, ein einheitliches Verfahren zu veranlassen.

    • @lions:

      Naja da ist halt vor allem die Übergabe an die Kommunen recht mies verlaufen. Hatte die Ehre mein halbes Jahr genau im Übergang zu verbringen.

       

      Bund geführt:

      Laufzettel, freundliche Mitarbeiter, kompetente Hinweise, keine Probleme.

       

      Kommune:

      Verschwundene Anträge, pampiger Mitarbeiter, Ahnungslosigkeit , Anschuldigungen... aber gut was erwartet man auch, wenn jemand Ihnen selbst zur Begrüssung sagt das er keinen bock auf den Job hat da er vor 2 Wochen noch im Bauamt war.

    • @lions:

      Vielleicht liegt es zuweilen auch an der mangelnden Selbstverantwortung mancher Antragsteller, um es noch milde auszudrücken..

      Man muss sich auch selbst einbringen. Ist für viele schwer, weiß ich.

      Übrigens: es sind Steuergelder, da erwarte ich schon eine genaueste Prüfung. Auch bei Alleinerziehenden - oder haben die einenSonderstatus?

      • @Hans-Georg Breuer:

        Ich erwarte auch eine genaueste Prüfung bei Steuergeldern, da wird von den Finanzämtern soweit ich das verstehe ja nur stichprobenartig mal alles durchleuchtet.

         

        Oder haben die Glücklichen, die einträgliche Arbeit haben in dieser Gesellschaft, etwa einen Sonderstatus?

      • @Hans-Georg Breuer:

        Sorry, Steuern zahlen sogar sog. Hartz-IV-Empfänger*innen und in Relation nicht wenig: Mehrwertsteuer, denn alles an Einkommen wird sofort verbraucht und das Geld somit wieder in Umlauf gebracht.

         

        Die Menschen, die "nur" Mehrwertsteuer zahlen müssen, werden auch nicht gefragt, was mit den Steuergeldern z.B. für Straßen, Autos und Flugzeuge oder (Hoch-)Kultur finanziert wird. Von fast allem haben sie nichts, wenn man das so betrachtet.

         

        Hinter dem Sozialrecht stehen wenigstens beschlossene Gesetze, wenn auch sehr diskutable.

      • @Hans-Georg Breuer:

        Um diesen Typ Antragsteller geht´s hier aber nicht.

      • @Hans-Georg Breuer:

        Ihr Steuergeld ist bestimmt sauer verdient, dann erst recht ganz genauestens prüfen.

  • Ich bezog mal ein halbes Jahr Edelharz. Verglichen mit meinen harzer Freunden musste ich wenig erdulden. Allerdings musste ich regelmäßig meine "Erfolge" vorweisen und bekam Stellen vorgeschlagen bei denen man merkte dass die Angestellten nicht gecheckt haben was ich studiert habe. Man kann sich ausmalen mit welchem Elan man sich auf solche Stellen bewirbt. Am Ende war es Zeitverschwendung, einen neuen Job habe ich dann selber gefunden.

    • @FriedrichH:

      ne Freundin hatte sich nach Studienabschluss arbeiutslos gemeldet, nach Germanistikstudium.

      Sie bekam ein Stellenagebot bei der Uni als Lektorin in der Anglistik.

      NAchfrage beim Institut: nein natürlich können wir sie nicht brauchen.

      Darauf Hinweis an en "Kundenbetreuer".

      Der dann: Ich hab das an alle mit "-istik" gechickt

      • @Friderike Graebert:

        Immerhin steckt eine Logik dahinter :()

  • Super Artikel ! ! !

    Alle Achtung,dass Sie da noch Humor bewaren können!