Mutmaßlicher Rushdie-Attentäter: Radikalisiert im Libanon
Der Rushdie-Attentäter hat sich laut seiner Mutter während einer Libanon-Reise radikalisiert. Dass er den Schriftsteller töten wollte, streitet er ab.
„Ich hatte erwartet, dass er motiviert zurückkehrt, die Schule zu Ende zu machen, seinen Abschluss und einen Job zu bekommen“, sagte die Mutter mit Blick auf Matars Libanon-Reise 2018. Stattdessen habe er „sich im Keller eingesperrt“. Ihr Sohn habe sich isoliert und auch mit dem Rest der Familie monatelang kaum noch gesprochen. „Er schläft tagsüber und steht nachts auf und isst“, beschrieb Fardos ihren heute 24 Jahre alten Sohn.
Der in den USA geborene Matar hatte am Freitag bei einer Literatur-Veranstaltung im Bundesstaat New York mit einem Messer immer wieder auf Rushdie eingestochen. Der britisch-indische Schriftsteller wurde schwer verletzt und musste notoperiert werden. Matar ließ in einer ersten Gerichtsanhörung zum Vorwurf des versuchten Mordes erklären, er sei nicht schuldig. Zu seinen Motiven äußerte er sich nicht.
Das Internet-Portal Vice News berichtete am Sonntag unter Berufung auf Geheimdienstquellen aus Europa und dem Nahen Osten, Matar habe in sozialen Medien Kontakt zu den iranischen Revolutionsgarden gehabt. Es gebe aber keine Hinweise darauf, dass der Iran an der Organisation oder Durchführung des Angriffs beteiligt gewesen sei.
Mutter „weder religiös noch politisch“
Fardos, die als Hilfslehrerin und Übersetzerin arbeitet, sagte in dem Interview mit der Daily Mail, sie sei von Geburt an Muslimin, aber weder religiös noch politisch. Von Rushdie und dessen von vielen Muslimen verdammtem Buch „Die Satanischen Verse“ habe sie bis zu dem Anschlag noch nie gehört.
Der britischen Zeitung sagte sie, ihr Sohn habe es ihr zum Vorwurf gemacht, dass sie ihn zu einer Ausbildung ermutigt habe, statt seine Religion in den Vordergrund zu stellen. Er sei „wütend gewesen, dass ich ihn nicht in jungen Jahren in den Islam eingeführt habe“. Ansonsten sei ihr Sohn „sehr ruhig“ und „introvertiert“ gewesen, „jeder hat ihn geliebt“. Matars Eltern hatten sich 2004 scheiden lassen, sein Vater ist danach in den Libanon zurückgekehrt.
US-Außenminister Antony Blinken hat die Reaktionen aus dem Iran auf den Angriff auf Schriftsteller Salman Rushdie scharf kritisiert. Zwar vermied er es, Teheran in seiner Erklärung am Montag direkt für die Attacke verantwortlich zu machen, attestierte aber, staatliche Institutionen des Iran hätten seit langer Zeit zu Gewalt gegen Rushdie angestiftet und Medien des Landes hätten sich über den Anschlag auf sein Leben gefreut. „Das ist abscheulich.“
In der Tat hatten iranische Zeitungen den Angriff bejubelt, zudem die „mutige und pflichtbewusste Person, die den abtrünnigen und bösen Salman Rushdie in New York angegriffen hat“, gelobt. Jegliche Verstrickungen in die Tat wies Teheran jedoch zurück. „Es gibt keine Verbindung zwischen dem Iran und dem Täter“, sagte Außenamtssprecher Nasser Kanaani am Montag, wie die iranische Nachrichtenagentur Isna berichtete. Rushdie habe mit seinem Werk nicht nur den Iran, sondern Muslime weltweit beleidigt, sagte Kanaani. „Rushdie selbst ist für den Anschlag verantwortlich.“
Fatwa wurde nie zurückgenommen
Der Schriftsteller erhält seit mehr als 30 Jahren Todesdrohungen wegen seines Romans „Die satanischen Verse“. Der 1989 verstorbene Oberste Führer des Irans, Ajatollah Chomeini, hatte eine Fatwa herausgegeben, mit der Rushdies Tod gefordert wurde. Zuvor hatte es Unruhen in der muslimischen Welt gegeben, weil der Roman nach Auffassung Einiger blasphemische Andeutungen über den islamischen Propheten Mohammed enthielt. Der aktuelle Oberste Führer des Irans, Ajatollah Ali Chamanei, hat die Fatwa Chomeinis nie aufgehoben. Noch 2017 gab er an, sie sei in ihrer damaligen Fassung gültig.
Rushdie ist laut Angaben aus seinem Umfeld auf dem Weg der Besserung. „Trotz seiner schwerwiegenden und lebensverändernden Verletzungen bleibt sein üblicher kämpferischer und aufsässiger Sinn für Humor intakt“, schrieb sein Sohn Zafar Rushdie am Sonntag in einer Erklärung auf Twitter. Der 75-Jährige sei nicht mehr an ein Beatmungsgerät und eine zusätzliche Sauerstoffversorgung angeschlossen. Zudem habe er einige Worte sprechen können. Bei dem Angriff wurden in seinem Arm Nervenstränge durchtrennt, die Leber beschädigt und er könnte ein Auge verlieren.
Prominente und Politiker weltweit hatten den Angriff mit deutlichen Worten verurteilt und Rushdie eine schnelle Genesung gewünscht. US-Präsident Joe Biden lobte, Rushdie habe sich nicht einschüchtern lassen und stehe für „wesentliche, universelle Werte“ wie Wahrheit, Mut und Widerstandsfähigkeit.
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte mitgeteilt: „Wer diesen Mordanschlag nun auch noch rechtfertigt, verbreitet nichts anderes als Hass und Extremismus. Wer an ein friedliches Zusammenleben glaubt, muss sich dem klar und konsequent entgegenstellen.“ Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte die Tat bei Twitter als „abscheulich“ bezeichnet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“