Mutmaßliche IS-Anhängerin vor Gericht: Ermittlungsführer belastet Angeklagte
Im Prozess um ein verdurstetes jesidisches Mädchen schweigt die mutmaßliche IS-Rückkehrerin. Trotzdem werden weitere Details bekannt.
So ist es Fassungslosigkeit, die bleibt angesichts dessen, was Jennifer W. vorgeworfen wird und was Richter Reinhold Baier eingangs noch mal aufzählen muss. Denn die Liste der möglichen Straftaten, wegen derer W. verurteilt werden könnte, hat sich gegenüber der Anklage des Generalbundesanwalts verlängert. So könnte die 28-Jährige nunmehr neben Mord durch Unterlassen und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung auch wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von Folter, Versklavung und Menschenhandel verurteilt werden.
Der Vorsitzende Richter führt noch mal aus, was der Angeklagten konkret zur Last gelegt wird: Die Frau aus Lohne, einem Städtchen zwischen Oldenburg und Osnabrück, soll über die Türkei zunächst nach Syrien gereist und sich dort dem IS angeschlossen haben. Später sei sie ins irakische Falludscha gezogen, wo sie gemeinsam mit ihrem Mann ein fünf Jahre altes Mädchen und deren Mutter als Sklavinnen gehalten haben soll. Als ihr Mann in einem Wutanfall das Kind mit Handschellen in der sengenden Sonne angekettet habe, habe sie ihn davon nicht abgehalten, sondern zugesehen, wie das Mädchen verdurstete.
Es sei nicht das erste Mal gewesen, dass der Mann körperliche Gewalt gegen das Kind und seine Mutter angewandt habe – nicht selten, nachdem sich Jennifer W. über die beiden beschwert habe. Auch diesmal soll sie zu ihnen gesagt haben. „Ihr bekommt jetzt eure Strafe.“ Zuvor hatte das Mädchen offenbar eingenässt. Als ihr Mann das Kind dann bei 45 Grad vor dem Haus angekettet habe, habe sie nichts unternommen, um es zu befreien oder ihm auch nur zu trinken zu geben.
Mutter des verdursteten Kindes als Nebenklägerin
Die Mutter des Kindes musste den qualvollen Tod mitansehen. Sie war erst nach der Anklageerhebung ausfindig gemacht worden und tritt nun als Nebenklägerin in dem Verfahren auf, vertreten unter anderem durch die prominente Menschenrechtsanwältin Amal Clooney.
Als die Angeklagte um kurz nach halb zehn den Sitzungssaal B 277 im Strafjustizzentrum München betritt, verbirgt sie ihr Gesicht zunächst hinter einer roten Aktenmappe. Sie ist klein, fast zierlich, trägt eine weiße Bluse und ein schwarzes Sakko. Als die Kameraleute und Fotografen den Saal verlassen haben, zeigt sich ein unscheinbares Gesicht, dominiert von einer schwarzen Kunststoffbrille.
Was eine damals 23-jährige Niedersächsin veranlasste, sich dem Islamischen Staat anzuschließen, als Mitglied der Hisba, der „Sittenpolizei“ des IS, mit einer Kalaschnikow in den Straßen Falludschas zu patrouillieren und Frauen zu maßregeln, die ihren Nikab nicht korrekt trugen, und sich Sklaven zu halten, bleibt aber an diesem Montag unklar.
Statt der Aussage der Angeklagten hört sich das Oberlandesgericht den Bericht eines 44-jährigen Polizeibeamten an, der die Ermittlungen leitete, die schließlich zur Festnahme der Frau führten. Diese war 2016 hochschwanger wieder zu ihrer Mutter nach Deutschland zurückgekehrt. Eine entscheidende Rolle hatten dabei Chatprotokolle gespielt, die das FBI den deutschen Behörden weitergegeben hatte.
In den Chats offenbarte sich die Frau einer Vertrauensperson der Ermittler, plante mit ihr eine erneute Ausreise in den Nahen Osten, besprach sogar die Möglichkeiten, ihren Ehemann, von dem sie Repressalien befürchtete, ermorden zu lassen. Am Tag der Abreise, dem 29. Juni 2018, schickte die Polizei den vermeintlichen Fahrer mit einem verwanzten Wagen. An einer Autobahnraststätte im schwäbischen Jettingen-Scheppach schlugen die Beamten schließlich zu und verhafteten Jennifer W.
Besondere Bedeutung kommt dem Prozess auch deshalb zu, weil es sich bei den Opfern um Angehörige der in Kurdistan beheimateten religiösen Minderheit der Jesiden handelt. Der jesidischen Organisation Yazda zufolge ist es das erste Mal, dass eine vom IS an Jesiden begangene Tat zur Anklage gekommen sei.
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