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Mut zur DifferenzierungSind Sie auch verwirrt?

Krisenadaption, Wirtschaftstransformation, Nullemission wird nicht mit Entweder-oder gehen. Da hilft nur das Hinwenden zu Andersdenkenden.

Foto: MirageC/getty images

A ls Jahr, in dem die Verwirrung zugenommen hat, wird 2025 gelten. Das ist eine These von Daniel Cohn-Bendit, die auf mich schon mal zutrifft. Was einerseits ein Indiz für eine wachsende Verunsicherung darüber ist, wie die Welt und die eigene Geschichte weitergeht. Andererseits will ich es als gutes Zeichen werten, verwirrt zu sein; es zeigt, dass man sieht, dass es kein „Immer weiter so“ gibt, aber auch (noch) nicht in die illusionäre Sicherheit von populistischen Verkürzungen flüchtet.

Das altlinke „Hänschen klein“ hat ja schon immer mit autoritären Ansagen à la „Ich bin links, aber ihr seid alle rechts“ (wobei rechts meist Nazi meint) die Welt ordentlich aufgeteilt. Das rechtspopulistische „Hänschen klein“ macht es andersherum: Eine kleine Elite ist „linksgrün“ abgedriftet, Staat, Wissenschaft, Medien, Justiz, und unterdrückt die „Volk“ genannte fiktionale Mehrheit, die „normal“ ist. Beides sind Illusionen, aber sie geben ein unreflektiertes Gefühl von Sicherheit.

Der Druck steigt auch auf Links- und Rechtsliberale, der Komplexität der Lage durch Entweder-oder-Denken zu entfliehen. Ich nenne nur mal Israel/Palästina. Kritisierst du Israel, bist du Antisemit, benutzt du nicht das Wort „Genozid“ für die Militäraktionen der rechtsradikalen Regierung Netanjahu in Gaza, bist du Nazi. Oder: Erst flippt die CDU im Wahlkampf aus, weil der grüne Kanzlerkandidat Habeck die Schuldenbremse reformieren und Sondervermögen für die Bundeswehr will, dann folgt sie in der Regierung Habecks Politik.

Das finden die einen total richtig, solange nur Habeck es nicht macht, und andere einen Verrat an allem, was die Partei ausmacht. Aber was die Partei ausmacht, ist Macht, und insofern passt es im Grunde auch wieder. Nichtsdestotrotz lässt auch das Konservative vom Glauben abfallen und zwar vom Glauben an die liberale Demokratie, Staat, Politik und Regierung.

wochentaz

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Eine neue Politikkultur

Noch verwirrender wird es, wenn linksliberale Leute in gutgemeinter Tradition vor der CDU-Zentrale aufmarschieren, um gegen den Bundeskanzler zu demonstrieren. Der Verabsolutierung von „Problem im Stadtbild“ durch Friedrich Merz als Einwanderungsproblem setzten sie die Verabsolutierung als Rassismus entgegen. Und als Kollateralschaden betreiben auch sie damit womöglich das Geschäft der AfD. Merz wird ja strategisch von rechts außen angegriffen und soll weg, weil er für eine CDU als zentraler Teil der Mitte und der EU steht. Auch darauf muss man als Verfassungspatriot eine Antwort finden. Da reicht es nicht, zu schreien: Der Merz ist doch auch schlimm.

Am Ende, das ist eine Erkenntnis des Jahres, ist sehr viel und zu viel Futter für die rechtspopulistische Strategie des Erodierens von Vertrauen in unser Gemeinwesen. Wie der Soziologe Aladin El-Mafaalani beschreibt, werden zunehmend Leute dazu gebracht, nur noch denen zu vertrauen, die allem misstrauen. Also den Feinden unseres liberaldemokratischen Gemeinwesens.

Was es jetzt braucht, sind Leute, die in dieser verwirrenden Zeit multipler Krisen den Willen zu Differenzierung und strategischem Denken aufbringen und die Kraft, die allgegenwärtigen Widersprüche auszuhalten, um die Verwirrung individuell und mehrheitlich produktiv aufzulösen.

Ich verwende dafür den Begriff „Generation Habeck“, was keine Partei und keine Alterskohorte meint, sondern eine neue Politikkultur. Krisenadaption, Wirtschaftstransformation, Nullemission wird nicht mit Entweder-oder gehen, sondern nur mit dem Hinwenden zu Andersdenkenden, mit gesellschaftlichen und europäischen Kompromissen und dem Fokus darauf, was jetzt Priorität hat.

Und übrigens: Wenn wir weniger AfD-Wähler wollen, müssen wir so mit ihnen sprechen können, dass sie wieder eine liberaldemokratische Partei wählen. Mit Verachtung und Nazi-Beschimpfungen wird das nicht gehen.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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9 Kommentare

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  • Die Verwirrtheit des Autors ist reine Rhetorik, denn eigentlich weiß er ja ganz genau, was richtig und was falsch ist oder zumindest, was er dafür hält, und er wird nicht müde, es uns seit es diese Kolumne gibt, immer wieder auf's Neue und in stets nur minimal abgewandelter Form zu erklären. Was mich daran so stört? Dass er außer dem Dauer-Lob der Kompromissfähigkeit eines Robert Habeck (leider krachend gescheitert) und der maximalen Flexibilität eines Winfried Kretschmann, dem das Hemd (Baden-Württembergs Autoindustrie) allemal näher ist als die Hose (das Klima) - nichts anzubieten hat. Der Kaiser ist nackt.

  • Danke. Ein sehr angenehmer Artikel!

    Die Schwierigkeit einzusehen, dass „wer nicht für uns“ ist nicht automatisch „gegen uns“ ist - sondern vllt. nur anderer Ansicht und wir uns leider weder Millionen von Nazis noch Konservative von dieser Welt weg wünschen können, ist leider so sehr vergessen worden.

  • Ein Kompromiss bedeutet doch eigentlich, dass beide Seiten ein wenig aufeinander zugehen. An der Mitte würde es nicht scheitern - die geht schon längst immer wieder auf den rechten Rand zu und macht ein Zugeständnis nach dem anderen. Mit dem Erfolg, dass der rechte Rand in seinen Positionen bestätigt und legitimiert wird und noch etwas radikaler werden kann, um die vermeintliche Mitte noch weiter zu verschieben.

    Frei nach Karl Popper: Toleranz ist als Friedensvertrag zu verstehen und nicht als Kapitulation. Wenn eine Gruppe den Vertrag bricht, darf sie sich bei Konsequenzen nicht auf ebendiesen berufen. Intoleranz gegenüber dem Fremden und Andersartigen ist nicht dasselbe wie Intoleranz gegenüber Intoleranten.

    • @RonjaFox:

      Danke! Sehr schön auf den Punkt gebracht.

  • Und übrigens die Sache mit der Schuldenbremse ist falsch. Genau mit Ende der alten Koalition und Beginn des Wahlkampfes hat die CDU die Lockerung der Schuldenbremse für den Fall der Regierungsübernahme angekündigt.

    Dem Autor sei zugestanden, dass das in seiner Verwirrtheit unter gegangen sein mag, nur führt das dann halt auch zu einem Kreislauf des Grauens, wenn dies als Begründung für die Verwirrtheit angeführt wird.

  • Wird anstrengend.

  • Nazis sind Nazis sind Nazis. Und keine irre geleiteten Schäfchen, von denen hatten wir schon nach 45 genug.

    • @Alberta Cuon:

      Dass Nazis nun mal Nazis sind, ist schon richtig. Aber waren alle >35% der NSDAP-Wähler in der Weimarer Republik absolut unbelehrbar? Auch nicht. Leider haben sie eine bittere Lektion benötigt und ich hoffe, die wird nicht wieder nötig sein - aber irgendwie hatte man es in der BRD ja dann doch twischen 1970-2000 ganz gut hinbekommen, diese Leute nicht all zu übergriffig werden zu lassen. Das muss doch wieder gelingen!

  • Ich schließe mich grundsätzlich an, ich bin auch immer öfters verwirrt.

    Nur anders als der Autor vermag ich darin kein gutes Zeichen zu erkennen.

    Und anders als Herr Cohn-Bendit würde ich das Jahr auch nicht als das "Jahr der zunehmenden Verwirrung" sondern als das "Jahr der zunehmenden Verrücktheiten" bezeichnen. Diese zunehmende Verrücktheit zeigt sich im Großen (Weltpolitik), im Mittleren (Politik der Berliner Bezirke) und im Kleinen (die Mitfahrenden im ÖPNV). Es zeigt sich im übertragenen Sinne (zunehmende Radikalsisierung der Politik an beiden Seiten) wie auch im unmittelbaren Sinne (Anzahl offensichtlichen Psychosen und posttraumatischen Belastungsstörungen).

    Das einzige was mir persönlich bleibt ist ein Fokus auf die eigene Familie und ein ständiger Abwehrkampf damit jegliche Transformation ohne Schäden an meiner Familie und mir vorbei geht.

    Und was den frommen Wunsch des Autoren nach differenzierenden Leuten angeht, bin ich persönlich sehr pessimistisch. Das halte ich dann für genau so erfolgreich wie das Warten auf den Erlöser (ganz gleich welche Religion oder Sekte). Glückwunsch an den Autor, dass er noch gute Zeichen erkennen kann.