Muss Bio billiger werden? (1): Qualität braucht Gerechtigkeit
Bio für alle bedeutet, sich den Mechanismen des Marktes und den Handlsweisen der Discounter zu ergeben.
HARALD SCHOLL ist im Vorstand von Slowfood Deutschland, einem Verein
für Lebensart und Genuss.
Ein Aufschrei der Empörung ging durchs Land. Milchprodukte sollen um bis zu 50 Prozent teurer werden! Das will man nicht hinnehmen, dafür geht man auf die Barrikaden. Verkehrte Welt. In keinem Land Europas sind Lebensmittel vergleichbar billig wie in Deutschland. Kein Volk gibt so leidenschaftlich 12 Euro für einen Liter Motoröl aus und bekommt bei 2,50 Euro für einen Liter Olivenöl solche Wutausbrüche. Aber liebe Leute: Was regt ihr euch auf? Wer Bio für alle will, muss damit leben, dass sich große Discounter demnächst eigene Bioläden zulegen. Und der muss auch damit leben, dass ihm vergammeltes Fleisch auf den Teller gelegt wird.
Wir sind immer noch geizgeil. Wir wollen alles, und wir wollen es billig. Das gilt vor allem für Lebensmittel. Und Biolebensmittel machen da keine Ausnahme. Schließlich soll jeder das gute Gefühl haben, der Umwelt zu helfen, wenn er sein asiatisches Bio-Pfannengemüse aus der Mikrowelle löffelt. Dabei waren Bioprodukte nicht nur durch ihre Produktionsweise wertiger als andere Lebensmittel. Sie hatten nicht zuletzt deshalb einen höheren Preis, weil sie gerecht waren. Gerecht für den Produzenten, der einen ehrlichen Preis für sein Produkt bekam. Gerecht für den Händler, der von der Gewinnspanne leben konnte. Und gerecht für den Konsumenten, der einen nicht subventionierten Preis zahlte.
Bio für alle bedeutet nichts anderes, als sich den Mechanismen des Marktes, den Handelsweisen der Discounter zu ergeben. Ein Lebensmittel, das dem Landwirt, der es produziert, kein ausreichendes Einkommen sichert, hat keine wirkliche Qualität. Egal ob Bio draufsteht oder nicht. Wir Verbraucher sind - im Verständnis von Slowfood - Koproduzenten. Partner des Bauern.
Wenn wir dem Discounter um die Ecke wegen Biojoghurt für 29 Cent die Bude einrennen, treten wir unserem Partner - dem Bauern - sprichwörtlich in den Hintern. Und der Kassiererin gleich mit. Und dem Lkw-Fahrer, der den Discounter beliefert.
Unsere Bio-für-alle-Lebensmittel finanzieren die genannten drei Berufsgruppen. Durch untertarifliche Bezahlung, unentgeltliche Überstunden, ruinierte Gesundheit. Bio vom Discounter - das ist doch ein Widerspruch in sich. Discount heißt billig um jeden Preis, heißt Produzenten knebeln, heißt Verbraucher mit geschmacksverletzender Werbung für Billigware ködern. Und das soll mit biologisch produzierten Lebensmittel auch gemacht werden? Meine Tochter sagt zu so was: "Wie krank ist das denn?"
Ich frage mich nur, wann das erste Biogammelfleisch entdeckt wird. Slowfood Deutschland ist der Meinung, dass "gut - nachhaltig - gerecht" die Elemente sind, auf die ein überzeugendes und tragfähiges Konzept von Lebensmittelqualität aufgebaut werden muss. Das gilt für biologische wie konventionell produzierte Lebensmittel.
Das Label Bio für alle ist so hilfreich und qualitätssichernd wie der QS-Aufkleber der CMA auf einer Packung Gammelfleisch. Qualität braucht Gerechtigkeit. Und die kostet Geld. Es braucht ein neues Qualitäts- und damit verbunden neues Selbstverständnis des Handels. Denn solange der Handel seine Rolle als Mittler zwischen Produzent und Verbraucher vor allem darin sieht, den Produzenten immer weniger (Geld) für immer mehr (Produkt) zu zahlen, um dem Verbraucher immer beliebigere Produkte in immer größere Mengen zu verkaufen, ist Qualität nicht möglich. Dass eine solche Entwicklung keine dauerhafte Zukunft haben kann, hat der Handel natürlich erkannt. Und versucht mit der Aufnahme von regionalen Produkten ins Sortiment (Edeka) oder dem Kauf etablierter Namen (Lidl, Basic) dem Kundenwunsch nach Qualität zu entsprechen.
Es dürfte aber nur eine Frage der Zeit sein, dass auch in diesen Fällen die Schraubzwinge des Preisdrucks angesetzt wird. Die ersten Bioproduzenten bekommen das schon zu spüren. Geradezu zynisch, in diesem Kontext davon zu sprechen, dass Bauern und Verbraucher Partner sind. Bestenfalls Partner im Ausgeliefertsein gegenüber dem Handel. Bio als Billig- und Ramschware? Nein danke! Qualität und Gerechtigkeit für alle? Aber immer!
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