Muslimbruder über die eigene Führung: „Mohammed Mursi hat versagt“
Die „Muslimbrüder ohne Gewalt“ organisieren Widerstand gegen die Parteiführung. Sie haben Angst, dass die Organisation in den Abgrund schlittert.
taz: Herr Yayha, waren Sie erleichtert, als die Armee Anfang Juli nach Massenprotesten den ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi entmachtete?
Ahmed Yahya: Ich hatte es erwartet. Wenn Mohammed Mursi auf die Forderung der Demonstranten gehört und Neuwahlen angekündigt hätte, wäre das Militär nicht eingeschritten. Dann wäre er jetzt noch Präsident des Landes, und uns wäre ein blutiger Konflikt erspart geblieben.
Hat er aber nicht.
Nein, und die Armee hat das ausgenutzt und ihn abgesetzt.
Seitdem verüben Bewaffnete fast täglich Anschläge auf Sicherheitskräfte, vor allem auf der Sinai-Halbinsel. Als Mitglied der Muslimbruderschaft haben Sie die Initiative „Muslimbrüder ohne Gewalt“ ins Leben gerufen. Befürwortet die Muslimbruderschaft Gewalt?
Nein, seit ihrer Gründung 1928 lehnt die Muslimbruderschaft Gewalt ab. Doch die derzeitige Führungsriege stachelt zu Gewalt an. Zum Beispiel Mohammed al-Beltagi, der erklärt hat, weiter auf dem Sinai zuzuschlagen, wenn Mohammed Mursi nicht freigelassen werden sollte. Wie kommt er denn auf diese Idee? Solche Äußerungen schaden der gesamten Muslimbruderschaft. Die Gewalt geht nicht von den Muslimbrüdern, also den normalen Leuten, aus, sondern ausschließlich von der Führung.
30, trat der Muslimbruderschaft 2005 während seines Studiums bei. Er ist Koordinator der jüngst gegründeten Bewegung „Muslimbrüder ohne Gewalt“. Ahmed Yahya ist Rechtsanwalt und lebt in Kairo.
Auch in Kairo kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Mursi-Anhängern und dem Militär. Vor dem Sitz der Republikanischen Garde, wo Mursi festgehalten werden soll, eröffneten Soldaten vor zwei Wochen das Feuer auf Demonstranten. Was ist Ihrer Meinung nach dort passiert?
Ich war sehr überrascht, als die Muslimbrüder-Führer dazu aufriefen, die Republikanische Garde zu belagern. Es ist nicht gestattet, sich ihr zu nähern, da sie zum Militär gehört. Auf der Bühne (im Protestcamp der Mursi-Anhänger, d. Red.) gab es einen Aufruf, sich in Richtung des Gebäudes in Bewegung zu setzten. Dort kam es dann zu Scharmützeln, bei denen drei Menschen getötet wurden. Drei Tage später starben 53 Menschen.
Wie bewerten Sie die einjährige Amtszeit Mursis?
Mohammed Mursi und die Muslimbruderschaft haben versagt. Wir haben im vergangenen Jahr viele Krisen durchlebt: Stromausfälle, mangelhafte Wasserversorgung, den Preisanstieg und das anhaltende Sicherheitsvakuum. Mohammed Mursi hat keines dieser Probleme gelöst. Sein vorrangiges Ziel war die sogenannte Akhwana, die Muslimbruderisierung. Muslimbrüder sollten in allen Ministerien und staatlichen Institutionen präsent sein.
Wer ist für das Versagen der Mursi-Regierung verantwortlich?
An erster Stelle Mohammed Mursi selbst. Er war unfähig, Reformen einzuleiten. Zweitens die Führung der Muslimbruderschaft, denn Mursi war in seinen Entscheidungen nicht frei. Er bekam Anweisungen vom Führungsbüro der Gemeinschaft. Die Reden, die er hielt, schrieb zum Beispiel Mohammed Badia, der Führer der Muslimbruderschaft. Mohammed Mursi musste sie nur noch vortragen.
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Mitglieder der Bruderschaft schwören ihrem Führer absoluten Gehorsam. Sie haben nun angedroht, Mohammed Badia das Vertrauen zu entziehen. Was hat das zu bedeuten?
Die Muslimbruderschaft gehört nicht Mohammed Badia. Wir lassen nicht zu, dass er zu Gewalt aufruft und den Islam und die Gemeinschaft der Muslimbrüder schlecht macht. Wir befürchten, dass die Bruderschaft wegen der Anschläge auf dem Sinai als Terrorgruppe betrachtet wird. Deshalb wollen wir Mohammed Badia und dem Führungsbüro das Vertrauen entziehen und fordern Wahlen innerhalb der Bruderschaft.
Wie viele Muslimbrüder unterstützen die Initiative?
1.400 Mitglieder der Bruderschaft haben bereits unterschrieben.
Wird die jüngere Generation innerhalb der Organisation gehört?
Nein, im Führungsbüro hat die jüngere Generation keine Stimme. Wir haben immer gefordert, dass sie gerecht repräsentiert wird. Aber sie wird an den Rand gedrängt.
Die Armee hat nach der Entmachtung Mursis viele führende Muslimbrüder weggesperrt. Andere verstecken sich, weil Haftbefehle gegen sie vorliegen. Ist das eine Chance für die jüngere Generation?
Wir haben die Bewegung „Muslimbrüder ohne Gewalt“ nicht gegründet, um die Macht zu übernehmen. Wir wollen das Bild des Islams schützen und die Prinzipien Hassan al-Bannas (des Gründers der Muslimbruderschaft, d. Red.) verteidigen. Der Islam ist eine Religion der Mäßigung.
Warum treten Sie aus der Bruderschaft nicht einfach aus?
Was würden Sie tun, wenn Sie eine Verletzung beispielsweise am Arm hätten? Würden Sie den Arm heilen oder ihn einfach abschneiden? Mohammed Mursi kann die Bruderschaft nicht für seine Zwecke missbrauchen. Ich habe gegen unsere Führung und Mohammed Mursi demonstriert, weil sie die Bruderschaft in den Abgrund führen. Der Islam ist eine Religion des rechten Glaubens, die Mäßigung, Nächstenliebe und Toleranz verlangt.
Wie soll es in Ägypten weitergehen? Die Anhänger Mursis weichen nicht von ihrer Forderung ab, ihn freizulassen und erneut als Präsidenten einzusetzen. Das wird das Militär nicht tun. Sehen Sie einen Ausweg aus der Krise?
Wir fordern einen nationalen Dialog und die Freilassung aller verhafteten Führungsmitglieder, die keine Verbrechen begangen haben. Die Leitlinien für die Übergangsperiode müssen offengelegt und die islamische Identität der Gesellschaft garantiert werden. Noch vor neuen Parlamentswahlen müssen Präsidentschaftswahlen abgehalten werden. Das Volk wird dann entscheiden, ob es Mohammed Mursi oder einen Wechsel will. Schließlich fordern wir die Wiederzulassung aller abgeschalteten religiösen Fernsehsender. Sie wurden nicht auf der Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung geschlossen. Wir fordern Meinungsfreiheit.
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