Musiker Wolfgang Schrödl im Gespräch: „Das ist ein Privileg“
Wolfgang Schrödl hatte mit dem Song „Narcotic“ einen Welthit. Heute gibt ihm dieser Erfolg die Freiheit für seine Musikprojekte Senex und 7fields.
taz: Herr Schrödl, in „Gottschalks großer 90er-Show“ vor ein paar Wochen im ZDF wurde als Erkennungsmelodie der Hit ihrer damaligen Band Liquido gespielt, den Sie geschrieben haben. Gottschalk tanzte zu Beginn des Fernsehevents zu „Narcotic“. Ehrt Sie das?
Wolfgang Schrödl: Einerseits ist das natürlich schmeichelhaft, aber ich finde das andererseits auch nicht allzu überraschend. „Narcotic“ hat sich nun mal zu einem der Songs entwickelt, die für die späten Neunziger stehen. Aus Deutschland fallen mir daneben, in aller Bescheidenheit, gar nicht so viele weitere internationale Hits ein, die gewissermaßen auch repräsentativ für diese Zeitspanne und den damaligen Zeitgeist sind. „Mambo No 5“ von Lou Bega vielleicht noch und „Lemon Tree“ von Fools Garden.
Der Mensch Schon vor Auflösung von Liquido Ende der Nullerjahre zog Schrödl vor 17 Jahren nach einer Zwischenstation in Heidelberg nach Berlin, um hier zu studieren, aber auch weil ihm die süddeutsche Studentenstadt irgendwann zu kleingeistig war. Er ist 46 Jahre alt und lebt in Prenzlauer Berg.
Die Musik Wolfgang Schrödl produziert unter den Namen Senex und 7fields elektronische Musik. Zuletzt ist von ihm die 7fields-EP „Under my skin” erschienen. Bekannt wurde er als Sänger von Liquido aus Sinsheim, deren Debütsong „Narcotic”, der von Schrödl geschrieben wurde, 1999 ein überraschender Welthit wurde, der sich über acht Millionen Mal verkaufte. Er ist damit einer der erfolgreichsten Songs aus Deutschland aller Zeiten und ein Evergreen, dessen markante Keyboardmelodie jeden und jede immer noch sofort zum Mitsummen anregt. (aha)
Die Prinzen, Pur, Matthias Reim, solche Größen von damals waren alle mit dabei bei Gottschalks Nostalgie-Event. Hatten Sie keine Lust?
Ein Auftritt in solch einer Neunziger-Show würde bedeuten, noch mehr auf dieses eine Lied reduziert zu werden, und daran hab ich kein Interesse. Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, warum andere bei so etwas mitmachen, ohne Neues präsentieren zu können. Was hat man davon? Vielleicht ein paar mehr Streams für die alten Songs? Für die Zuschauer mag es vielleicht interessant sein zu erfahren: Was machen die von damals heute so und wie sehen sie aus?
Sie waren Anfang 20, als Ende der Neunziger „Narcotic“ weltweit zu einem Riesenhit wurde, der bis heute nicht totzukriegen ist. Warum, glauben Sie, ist das Lied vor allem bei denen, die der Generation X entwachsen sind, immer noch so populär?
Der Song hat etwas Leichtes, aber auch Ernsthaftigkeit und eine gewisse Melancholie, die aber nicht überbordet. Die man zur Kenntnis nimmt, aber beiseite schieben kann, weil man trotzdem zu leben hat und gerne leben will. In diesem Augenblick. Dafür steht dieses Stück. Und das Lied ist authentisch. Ich denke, das spürt man, generationsübergreifend. Diejenigen, die damals jung waren, erinnern sich vielleicht beim Hören des Songs: Ach, damals, Jahrtausendwende, das war eine gute Zeit, da war ich gerade mit der Schule fertig, hatte meine erste Liebe. Mir wird auch persönlich erzählt, man habe zu dem Lied seinen ersten Kuss gehabt oder auf der Tanzfläche den späteren Ehemann kennengelernt.
Ertragen Sie selbst den Song noch?
Auf jeden Fall. Es ist ein ehrliches Lied, ich habe es in einer emotionalen Situation geschrieben, die darin unverfälscht beschrieben wird. Es geht darin um die Trennung von meiner damaligen Freundin. Die Nummer ist Teil meines Lebens und wird es auch für immer bleiben.
Inzwischen wird die Nummer auf dem Ballermann oder bei Hochzeiten gespielt, wenn schon alle angetrunken sind. Tut das manchmal weh, wenn man bedenkt, dass sie eigentlich eine so melancholische Note hat?
Dazu fällt mir ein, was die Ärzte einmal sinngemäß über ihren Hit „Männer sind Schweine“ gesagt haben sollen: Er ist nicht mehr unser Song, er gehört jetzt der Öffentlichkeit, er hat ein Eigenleben. Und man könne das nur noch zur Kenntnis nehmen und müsse loslassen können. Auch „Narcotic“ hat so ein Eigenleben.
Liquido war eine Band von ein paar Schulfreunden. Sie kamen aus der Provinz, aus Sinsheim, und galten als vielversprechende Indieband. Dann kam der große Erfolg und die deutsche Indieszene wandte sich von Ihnen ab. Was war da los?
Zunächst: Wir waren nie Teil einer Szene. Vielleicht, weil Sinsheim und später Heidelberg dafür zu sehr ab vom Schuss waren. Aber vor dem Durchbruch waren wir eine ziemliche Kritikerband. Man konnte erst nicht glauben, dass eine Band, die so klingt wie wir, aus Deutschland kommt und man sah das wohlwollend. Das hat sich durch den kommerziellen Erfolg wie über Nacht geändert.
Warum das?
Kommerzieller Erfolg und Indiepop aus Deutschland, das schien ein allzu verdächtiger Widerspruch zu sein. Als es losging bei uns, dachte ich, wir könnten die Speerspitze sein und ein paar Türen für eine kleine, interessante Szene aufmachen, von der wir geglaubt hatten, sie freue sich mit uns über den Erfolg, gerne auch aus Eigeninteresse für das gesamte Genre „Indiepop aus Deutschland“. Es gab ja zu der Zeit recht viele kleine Bands aus allen deutschen Himmelsrichtungen, die leidenschaftlich ihr Ding machten und Songs schrieben, mit der Hoffnung, gehört zu werden. Und wir waren eben die aus Heidelberg und trotzdem – vielleicht zufällig – die erfolgreichste von allen. Aber entgegen meiner zugegebenermaßen etwas naiven Erwartung gab es hier kein Gemeinschaftsgefühl.
Wie war das für Sie?
Überraschend, aber in Ordnung. Haben wir eben zur Kenntnis genommen und gedacht: dann eben nicht. Wenn jeder lieber sein eigenes Süppchen kochen möchte, anstatt sich gegenseitig zu unterstützen, soll es eben so sein.
Liquido haben nur ein paar Jahre lang existiert, 2008 war Schluss. Zu dem Zeitpunkt lebten Sie bereits in Berlin. Was suchten Sie hier?
Ich bin 2004 hierher gezogen, um an der Universität der Künste Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation zu studieren. Ich wollte einfach etwas machen, was mich neben der Musik intellektuell füttert. Das soll jetzt nicht überheblich klingen: Aber das Musikerdasein hat mich ziemlich schnell gelangweilt. Wenn man nur mit Musikern und Leuten aus der Musikindustrie rumhängt, entwickelt man sich nicht so richtig weiter, jedenfalls habe ich das so empfunden. Dieses Gefühl hatte ich schon nach zwei Jahren in der Band.
Heute machen Sie als Senex und 7fields elektronische Musik, einmal richtigen Dance und mit dem anderen Projekt melancholischen Electro-Pop. Können Ihre Fans von damals Ihnen da folgen?
Liquido war eine Rockband. Dass jemand, der uns für den Rock geliebt hat, mit meinen Dance-Sachen nichts anfangen kann, ist mir vollkommen klar. Wer aber die Ironie von Liquido geliebt hat, unsere Idee, Grenzen auszuloten, das Kratzen am Trash, aber auch die Tiefe zwischen den Zeilen, der versteht vielleicht auch, was ich heute mit Senex mache. Und was 7fields angeht: Hier steht ein bestimmtes melancholisches Klangbild im Fokus. Wer sich mit einigen meiner ruhigen, pianolastigen Stücke aus Liquido-Zeiten auseinandergesetzt hat, wird auch hier nicht allzu überrascht sein, warum ich solch ein Solo-Projekt ins Leben gerufen habe.
Wie ist das, nach dem großen Erfolg vergleichsweise unter dem Radar weiterzumachen?
Es fühlt sich an, wie wieder bei null anzufangen. 7fields ist ein richtiges Indieprojekt. Ich arbeite autark und hole mir für die Dinge, die ich selbst nicht so gut kann, Leute hinzu. Ich finde das hoch befriedigend, mich hier kreativ ohne Kompromisse ausleben zu können.
Wie schwer ist es, eventuell auf ewig als One-Hit-Wonder zu gelten?
Dazu müsste man erst einmal definieren, was ein One-Hit-Wonder ist. Mir wurde zugetragen, dass sich RadioEins kürzlich wohl geweigert hat, Liquido in deren One-Hit-Wonder-Liste aufzunehmen, weil sie recherchiert und festgestellt hatten: Die sind ja gar keines, da gab es ja noch mehr internationale Erfolge. Fand ich gut, sich erst mal die Faktenlage anzuschauen. Andererseits ist mir auch bewusst, dass der breiten Öffentlichkeit, dass es Tante Erna völlig egal ist, was für andere kleinere Hits wir in welchen Ländern auch immer noch hatten. Dass sie uns auf „Narcotic“ reduziert, ist mir klar, da bin ich realistisch genug. Mich daran zu gewöhnen, dazu hatte ich nun auch lange genug Zeit. Denn wir wurden schon One-Hit-Wonder genannt, als die Nummer herauskam und in den Charts noch kletterte.
Gab es eigentlich mal Anfragen für das Dschungelcamp oder so, als vergessener Popstar von gestern?
Für das Dschungelcamp nicht. Aber eine Produktionsfirma hat sich mal gemeldet. Sie planten ein Reality-TV-Format, wo irgendeine C-Prominenz zeigt, dass sie noch am Leben ist. Die große Comebackshow oder so ähnlich sollte das heißen und das Ganze hätte auf irgendeiner Insel stattfinden sollen. Aber so etwas ist natürlich völlig indiskutabel.
Sie haben dank Ihres Welthits finanziell ausgesorgt, oder?
Ich würde sagen, ich kann sehr gut von meiner Musik leben. Und es ist ein gutes Ruhekissen, zu wissen, dass „Narcotic“ ein Evergreen ist, der immer noch geschätzt, gespielt, gecovert wird. Ihre Frage nach dem Geld, und früher oder später fragen alle danach, kommt wohl auch daher, dass oft davon ausgegangen wird, dass Künstler im Prekariat leben. Was zu einem großen Teil ja auch so ist. Aber wenn man selbst von echten Ausreißern nicht leben könnte, wann dann? Bei einem dauernd gespielten Welthit muss sich die Frage erübrigen, ob davon beim Urheber genug hängen bleibt.
Sie wirkten damals, und wenn ich das sagen darf, auch heute noch wie der Normalo von nebenan. Man würde fast vermuten, dass Sie nach Ihrem gigantischen Erfolg wahrscheinlich erst einmal einen Bausparvertrag abgeschlossen haben. Sie sind nicht so der Popstar-Typ mit einem Porsche in der Garage, oder?
Den Bausparvertrag hatte ich vorher schon, den haben meine Eltern für mich angelegt, in Zeiten, in denen sich das noch gelohnt hat. Und ich habe mir auch nie einen Porsche gekauft. Dass die Frage nach meinem Auto kommt, ist übrigens interessant. Sie wurde mir schon so oft gestellt. Aber: Nur in Deutschland. In keinem anderen Land bin ich gefragt worden, was für ein Auto ich denn fahre oder mir nun leisten könne. Die Deutschen erhoffen sich offensichtlich bestimmte Informationen aus der Beantwortung dieser Frage. Ich kann nur sagen, für mich hat ein Auto keine Bedeutung. Das, das ich jetzt fahre, ist über 20 Jahre alt und ich habe es irgendwann mal von meiner Mutter übernommen.
Trotzdem bleibt die Frage: Was macht das mit einem, wenn man quasi über Nacht nie wieder Geldsorgen hat?
Die Frage ist, was ist Deine Motivation, um im Leben glücklich zu sein? Das Monetäre hat mich nie angetrieben. Ich bin nicht Musiker geworden, um reich zu werden. Daran hatte ich auch gar nicht gedacht, ich wäre nie darauf gekommen, mit der Musik Geld verdienen zu müssen.
Was treibt Sie denn an?
Mein Antreiber ist eher Freiheit. Aber ich weiß natürlich, diese Freiheit wird einem nicht geschenkt und man muss sie sich auch erst einmal leisten können. Und dafür braucht man dann doch wieder ein gewisses Maß an Erfolg. Ich habe den ganz großen Hit, von dem so viele träumen, geschafft. Und das erlaubt mir große Freiheiten. Das ist ein Privileg, ich bin mir dessen bewusst. Gerade jetzt, wo viele mit Existenzängsten zu kämpfen haben, empfinde ich das als extremen Luxus. Und ein weiterer Umstand, über den ich froh und dankbar bin, ist, dass niemand mich behandeln kann, als stünde er hierarchisch über mir. Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen Chef gehabt. Außer als Zivi vielleicht.
Aber wie ist das, als Musiker zu wissen, dass einem so etwas gigantisch Erfolgreiches wie damals wohl nicht noch einmal vergönnt sein wird?
Damit kam ich von Anfang an klar. Das werde ich nie mehr toppen, sicherlich. „Narcotic“ war und ist ein Zeitgeistphänomen. Klar kann man auch heute noch große Hits haben mit Streamings. Aber Verkaufszahlen wie wir sie hatten, physisch, das gibt es eigentlich gar nicht mehr. Insofern ist der damalige erste Erfolg jedenfalls nicht die Messlatte für meine Motivation, weiter Musik zu machen. Noch nie gewesen.
Einen bestimmten Nerv zu treffen wie damals mit einem Rocksong, können Sie das nicht mit Ihren heutigen musikalischen Mitteln noch einmal wiederholen? Gibt es da keinen Kniff, den Sie bloß noch einmal anwenden müssten?
Gezielt einen Song schreiben zu wollen, der die Massen begeistert und ganz und gar nicht so klingt wie etwas, das es schon tausend Mal davor gegeben hat, und der gleich zu einem Zeitgeistphänomen wird, wer will das schon planen? Ich glaube, man sollte lieber Musik machen, die einem etwas bedeutet, die man fühlt und die authentisch ist, und hoffen, dass es Menschen gibt, die diese bewegt.
Sie hatten bereits den ganz großen Erfolg als Musiker. Ist es Ihnen nun ein wenig egal, ob Sie solo nochmals so richtig durchstarten oder eben nicht?
Ich habe mir selbst bereits bewiesen, dass ich Musik machen kann, die vielen Leuten etwas bedeutet, das stimmt und das ist tatsächlich eher beruhigend. Ich kann mir vorstellen, dass man leichter verkrampft, wenn man im Alter von 40 Jahren feststellt, dass man Songs schreibt, aber noch nie jemanden mit diesen erreicht hat. Doch als Musiker will man natürlich gehört werden. So wie jeder, der ein Buch schreibt, auch will, dass es gelesen wird. Wenn Sie einen Artikel schreiben, möchten Sie ja auch, dass der nicht in einer Schublade landet. Und meine Schublade ist voll mit Songs, die noch nicht einmal veröffentlicht wurden.
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