Musiker Doldinger über Jazz und Unterhaltung: "Für mich eröffnete sich eine neue Welt"
Von ihm stammt nicht nur die "Tatort"-Melodie: Klaus Doldinger wird heute 75 Jahre alt. Ein Gespräch mit dem Musiker und Komponisten über Jazz als Klang der Befreier.
taz: Herr Doldinger, Sie sind seit 1960 Ehrenbürger der Stadt New Orleans. Wann waren Sie zum letzten Mal dort?
Klaus Doldinger: Das war 2005, glaube ich, anlässlich einer USA-Tour mit der Band Old Friends.
Wie haben Sie die Flutkatastrophe damals verfolgt?
In meinem Bewusstsein bin ich nicht so eng mit der Stadt verbunden, wie man das annehmen könnte. Ich war auch nicht so oft in New Orleans. Es ist eher eine sinnbildliche Verbindung zur Geburtsstätte des Jazz, mit dem ich natürlich eine starke emotionale Bindung habe.
Sie haben zunächst mit Dixieland angefangen, nachdem Sie eine klassische musikalische Ausbildung gemacht hatten. Was war Ihre erste Berührung mit Jazz?
wurde 1936 in Berlin geboren. Der klassisch ausgebildete Pianist und Klarinettist spielt seit den fünfziger Jahren Jazz. Mit seiner vor 40 Jahren gegründeten Fusion-Band Passport, bei der anfangs Udo Lindenberg als Schlagzeuger mitspielte, wurde er auch in den USA erfolgreich. In dieser Zeit begann Doldinger verstärkt Filmmusik zu komponieren. Neben der Titelmelodie für die Serie "Tatort" schrieb er unter anderem die Soundtracks zu den Spielfilmen "Das Boot" und "Die unendliche Geschichte". Doldinger lebt seit 1968 im bayrischen Icking. Aktuell sind von ihm die Alben "Inner Blue" und "Symphonic Project" erschienen (beide Warner).
Die gab es sehr früh zu Kriegsende. Ich war damals auf der Flucht aus Wien in Oberbayern gelandet, in Schrobenhausen, und hatte das Glück, dass bei der Truppe, die dort einzog, ein paar fähige Musiker unter den GIs waren, die eine Band hatten. Die probten dann im Gasthof, ich hörte sie dort und für mich eröffnete sich eine neue Welt. Ich hatte so eine Art von Musik noch nie gehört. Ich war gerade neun Jahre alt geworden, und das war natürlich ein unglaublicher Einschnitt für ein Kind, das praktisch nur das zu jener Zeit übliche deutsche Schlagergut kannte bzw. Volksmusik oder klassische Musik. Das hat mich für das spätere Leben als Initialzündung geprägt.
Für viele Kinder der Kriegsjahre war diese Musik so etwas wie der Klang der Befreier. Hatte Dixieland für Sie auch so eine politische Dimension?
Ja, sicherlich. Man war sich natürlich in den ganz frühen Jahren gar nicht so bewusst, was wir hinter uns hatten. Ich hatte ja das große Glück, in Wien zu leben während der Kriegsjahre, bin auch dort zur Schule gegangen. Und der Krieg zog eigentlich an einem vorbei, ohne dass man realisiert hatte, was tatsächlich vorgefallen ist. Ganz zu schweigen von den NS-Gräueln, das hat man auch so nicht realisiert. Ganz im Gegenteil, ich habe als Kind nur Glanz und Gloria gesehen. Bei uns in der Gegend von Wien, in der wir lebten, wohnten einige hochrangige Nazi-Bonzen wie der Baldur von Schirach.
Kannten Sie den persönlich?
Nein, aber ich habe das gesehen, wenn der Hermann Göring zu Besuch war und es großen Auflauf gab und die Herrschaften mit ihren großen Limousinen vorfuhren. Aber was dahinter lag, das hat man zu keinem Zeitpunkt wahrnehmen können. Das Ungute des ganzen Systems war einem überhaupt nicht klar.
Ihr internationaler Durchbruch als Jazzmusiker war 1963, ein Jahr später begann Ihre Karriere als Filmkomponist.
Mit der Filmkomponistentätigkeit ging es eigentlich erst im Jahr 1969 richtig los, mit meinem ersten Kinofilm für Klaus Lemke, "Negresco". Davor hatte ich zwar schon mal im Studio an ein paar Projekten mitgewirkt, hab auch ein paar Dokumentationen und Werbefilme vertont. Es war zu dem Zeitpunkt eher außergewöhnlich, dass jemand aus dem Bereich des Jazz engagiert wurde, um Filmmusik zu komponieren und zu arrangieren. Mir hat das von vornherein großen Spaß gemacht, zumal die Menschen, mit denen ich zu tun hatte, auf derselben Wellenlänge lagen wie ich. Diese frühen Kontakte zu einem Klaus Lemke, Volker Schlöndorff, Hans W. Geißendörfer, Reinhard Hauff, Margarethe von Trotta - das waren alles Menschen, die mir sehr lagen.
Einer Ihrer größten Filmmusik-Hits, die "Tatort"-Melodie, war eine sehr frühe Filmkomposition. Das Stück haben Sie sich noch einmal in Ihrem aktuellen "Symphonic Project" vorgenommen. Können Sie das eigentlich noch hören?
Ja, natürlich. Mich hindert nichts daran, gelegentlich auch den "Tatort" mal wieder anzuschauen und zu sehen, was heute daraus gemacht wird, und ich bin sehr glücklich über dieses Spontanprojekt, das ich damals praktisch zwischen Tür und Angel als Auftrag wahrnahm. Das war ja eine ganz harmlos klingende, zehnteilige Krimifolge. Da brauchte ich auch keine Alternativen anzubieten. Ich habe dieses eine Ding komponiert, und das wars halt. Das war damals sehr einfach und für mich ganz normale Arbeit. Ich hatte schon eine Reihe so kurzer Musiken produziert, zum Beispiel auch die Erkennungsmusik zur Einführung des Farbfernsehens Mitte der sechziger Jahre, die lief vor jeder Farbfernsehsendung. Dass der "Tatort" dann so erfolgreich wurde, hat mich sehr erfreut.
Die "Tatort"-Melodie wurde einer Ihrer Fusion-Klassiker.
Ja, wir spielen das Stück mit meiner Band ja auch auf der Bühne, und es lässt sich wunderbar spielen.
Als Sie Ende der Sechziger begannen, sich für Jazzrock und Fusion zu interessieren, hatte die experimentelle Free-Jazz-Szene in Deutschland gerade ihren Durchbruch. Wäre das für Sie auch ein Weg gewesen?
Nicht grundsätzlich. Das Prinzip des Free Jazz war mir keineswegs fremd, ich hatte ja gelegentliche musikalische Ausbrüche, wo ich sehr frei gespielt habe. Aber mir schwebte immer ein greifbares Konzept mit erkennbaren Themen und einer erkennbaren Solostruktur vor. Doch ich habe mich darüber gefreut, dass einige der bekanntesten Musiker des Free Jazz wie Peter Brötzmann oder Alexander von Schlippenbach oder mein Freund Manfred Schoof mit ihrer Musik à la longue auch große Anerkennung gefunden haben.
Passport wurde eine der erfolgreichsten deutschen Jazzformationen. Theoretisch hätten Sie sich voll und ganz auf dieses Projekt konzentrieren und auf ihre Filmmusikkarriere verzichten können. Was hat Sie dazu gebracht, beides zu machen?
Ich habe das nie bewusst angesteuert oder gefördert, es gab auch keinen Agenten, der mich in irgendeine Richtung gepusht hat. Mich hat immer die Vielschichtigkeit der Tätigkeit interessiert, und die Arbeit für Film und Fernsehen hat mir den Blick für andere Themenbereiche geöffnet. Wenn man nur Instrumentalmusik für die eigene Band komponiert, besteht die Gefahr, dass man sich zu sehr im eigenen Zirkel wiederholt. Aber der Film fordert ja so derart heraus, auf emotionale Dinge einzugehen, auf gesellschaftliche Spannungen, Liebesgeschichten. Die Gefühle und Emotionen, die im Film entstehen können, mit Tönen zu verstärken, das ist für den Komponisten eine große Aufgabe. Leider wird es viel zu selten gemacht, dass die Komponisten von Filmmusiken ihre Musik dann auf der Bühne präsentieren.
Sie fördern auch den Jazz in Deutschland.
So gut ich kann.
Wie erklären Sie sich den schweren Stand, den Jazz in Deutschland gehabt hat?
Wir müssen uns doch klarmachen: Es geht letztlich auch um Unterhaltung. Der Jazz animiert aber dazu, nicht fürs Publikum zu spielen, sondern eher intellektuellen Inhalten zu folgen. Und es ist nicht jedem vom Naturell her gegeben, Menschen unterhalten zu wollen. Ich habe das innere Bedürfnis, wenn schon Menschen da unten sitzen, die Eintritt gezahlt haben, denen etwas zu geben, das sie mit einem guten Gefühl nach Hause gehen lässt. Ich beklage immer, dass bei den vielen Jazzseminaren, die es in Deutschland gibt, das Thema Bühnenpräsenz so gut wie gar nicht vorkommt. Man könnte den jungen Leuten in den Seminaren mal ein bisschen vermitteln, dass sie eine Verpflichtung haben, ihrem Publikum etwas zu geben, mit vollem Körpereinsatz und allem drum und dran.
Haben Sie es damals eigentlich bedauert, als Ihr ehemaliger Passport-Mitstreiter Udo Lindenberg seine Laufbahn als Schlagzeuger bei Ihnen beendet hat?
Nein, ganz im Gegenteil. Im Zweifel habe ich das immer unterstützt, wenn einer meinte, er muss jetzt sein eigenes Ding probieren. Nur war es damals ganz schön schwierig, einen passenden Ersatz zu finden.