Musikberieselung am Bahnsteig: Geigenalarm am U-Bahn-Gleis

Die Berliner Verkehrsbetriebe setzen neuerdings auf klassische Musik in vier Bahnhöfen. Das Warten soll so angenehmer sein. Ist das der einzige Zweck?

U-Bahnhof Museumsinsel: eine Frau sitzt im Bahnhof, während eine U-Bahn der Linie 5 durchfähr

Der schicke (und neue) U-Bahnhof Museumsinsel muss ohne klassische Musik auskommen Foto: Christophe Gateau/dpa

Im Vergleich zu anderen Metropolen wie Budapest oder Moskau wirken die U-Bahnhöfe unserer Hauptstadt größtenteils trist und verdreckt. Kein Wunder also, dass die meisten von uns eher ungern die paar Minuten im Bahnhof verbringen, bis die nächste Bahn eintrifft.

Einer jener Berliner trostlosen U-Bahnhöfe ist der Moritzplatz in Kreuzberg. Ganz anders als die schicke neu gebaute Touristation Museumsinsel ist der Moritzplatz noch eine U-Bahnstation mit Berliner Charme, getreu dem Wowereit-Motto „Arm, aber sexy“. Größtenteils nutzen ihn Einheimische, darunter gerne auch Wohnungslose und Drogenabhängige. Glassplitter von kaputten Flaschen sowie Spuckreste und Kippen zieren den Bahnsteig, die Berliner Verkehrsbetriebe stört das jedoch mehr als die An­woh­ner*in­nen.

Offiziell, um die Wartezeit so angenehm wie möglich zu gestalten, höchstwahrscheinlich aber auch, um das Image zu verbessern, wird seit Kurzem klassische Geigenmusik an den Gleisen abgespielt. Damit ist der Moritzplatz neben den Stationen Unter den Linden, Strausberger Platz und Südstern eine von vier Stationen, die die Berliner Verkehrsbetriebe für das neue Pilotprojekt „Klangvoll im Untergrund“ ausgewählt haben.

Die Geigenmusik kommt beim Publikum unterschiedlich an. Ein älterer Herr mit weißem schütterem Haar sitzt am Bahnsteig und wippt mit seinem Fuß. Er freut sich, Händels „Wassermusik“ zu vernehmen, und sagt, er finde es schön, dass der Jugend auf diesem Weg die klassische Musik etwas näher gebracht werde. Die Jugend scheint sich allerdings nur wenig für die abgespielte Musik zu interessieren, darauf deuten zumindest die aufgesetzten Kopfhörer hin.

Um Drogenabhängige zu vertreiben?

Zwei Männer mittleren Alters in verstaubter Arbeitskleidung sitzen auf einer Bank direkt unter einem der vielen Lautsprecher. Die Vorstellung, dass sich jemand zu Vivaldi einen Schuss setzt, finden sie sehr befremdlich. Generell geht ihnen das „schrille Gefiedel“ auf die Nerven, und sie hoffen, dass die nächste Bahn bald kommt.

Manche behaupten, die Musik werde abgespielt, um die Drogenabhängigen und Wohnungslosen zu vertreiben. Die Vermutung kommt nicht von ungefähr, die Verkehrsbetriebe haben das tatsächlich 2010 am Adenauerplatz versucht und 2018 am Hermannplatz, dort mit atonaler Musik.

Gegen diese Theorie spricht zum einen, dass die Verkehrsbetriebe die Genres wechseln wollen, und zum anderen die Lautstärke der Musik. Sie läuft leise im Hintergrund und wird unterbrochen, sobald ein Zug einfährt. Für den Musikpsychologen Matts Küsser von der Humboldt-Universität, der am Institut für Musik- und Medienwissenschaft die multimodale Wahrnehmung von Musik untersucht, ist die Sache damit klar. Sollte die Musik in dieser Lautstärke bleiben und nicht im Loop gespielt werden, glaubt er nicht, dass sie Wohnungslose und Drogenabhängige verscheucht.

Trotzdem könnte der Moritzplatz vielleicht eine Sanierung gebrauchen. Und ein „Drogenkonsumraum“ in der Nähe wäre auch nicht schlecht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.