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Musikalischer Protest aus TunesienSie spucken auf das korrupte System

Tunesien kämpft zehn Jahre nach der Revolution mit hoher Armut und Polizeiterror. Underground-Bands wie Znous protestieren mit lauter, wütender Musik.

Demonstration gegen Polizeigewalt in Tunis am 12. Juni Foto: Chedly Ben Ibrahim/NurPhoto/imago

Der Frust sitzt tief, er ist auf den Straßen von Tunis und ganz Tunesien zu spüren. Die Erwartungen nach der Revolution von 2011, die den Sturz des Diktators Ben Ali zur Folge hatte und in der ganzen Region die sogenannte Arabellion auslöste, versprach die demokratische Wende, eine tiefgreifende Liberalisierung und Umwälzung der politischen Verhältnisse.

In diesem Klima von Desillusionierung und steigendem sozialen Druck formierte sich im Land eine junge Generation wütender Musiker. Mit Punk, Metal und Rap begehren sie – teils anonym – gegen den schleichenden Verfall der tunesischen Gesellschaft auf. Zu den bekanntesten Künst­le­r:in­nen zählt die Band Znous: Dieses Kollektiv verschmilzt in seinem Sound aggressiven Hardcore-Punk und Metal mit Elementen der tunesischen Folkstile Malouf und Salhi, dazu gibt es wütende, sozialkritische Songtexte.

Die Jasmin-Revolution verhieß einen liberalen, offenen und demokratischen Musterstaat. Aber derzeit läuft er Gefahr, seine Errungenschaften aufgrund einer instabilen Politik, schleichender Armut, behördlicher Korruption und einer unbeaufsichtigten Polizei zu verlieren. Besonders der tunesische Sicherheitsapparat setzt der Bevölkerung zu. Folter, Misshandlungen und willkürliche Verhaftungen gehören laut Amnesty International zum Alltag.

Misshandlungen durch die Polizei

Zuletzt erhielt die tunesische Polizei Unterstützung durch deutsche Behörden. Laut einem Bericht von 2017 erhielten sechs tunesische Polizeiausbilder Einblick in die Ausbildung oberpfälzischer Po­li­zis­t:in­nen und wurden hinsichtlich Vorgehen bei Personenkontrollen und Durchsuchungsmaßnahmen beraten. Tiefpunkt war die von einer Kamera aufgezeichnete Misshandlung eines 15-Jährigen im Juni am helllichten Tag in Tunis.

Das Opfer, von tunesischen Medien als „Fadi“ identifiziert, wurde im Viertel Séjoumi von drei Po­li­zis­t:in­nen in Zivil geschlagen, komplett ausgezogen und anschließend in einen Lieferwagen gezerrt. Er soll an Protesten nach dem Tod des 30-jährigen Ahmed Ben Ammar in Polizeigewahrsam beteiligt gewesen sein.

Eine massive Inflation lähmt die Gesellschaft und hat die zunehmende Perspektivlosigkeit der tunesischen Jugend noch verstärkt. Seit der Revolution 2011 hat Tunesien bereits zehn Regierungen gebildet, die Armutsrate liegt aktuell bei 40 Prozent, die der Jugendarbeitslosigkeit bei 30 Prozent. Zudem ist das Standbein des Tourismus durch die Coronapandemie geschwächt.

Metal und HipHop bei der Jugend beliebt

Die politische Klasse entfremdet sich von der Bevölkerung, während Polizei und Inlandsgeheimdienst zunehmend als Staat im Staate agieren, ausgestattet mit weitreichenden Kompetenzen, vornehmlich unter der Flagge des Antiterrorkampfes. Das 2015 erlassene, umstrittene Anti­terrorgesetz erlaubt es den Behörden, selbst soziale Protestbewegungen wie terroristische Gruppierungen zu behandeln und im Zweifel sogar die Todesstrafe zu verhängen.

Das bedeutet aber nicht, dass Tunesien ein durch und durch autoritärer Staat wäre, dessen kultureller Entfaltung ein enges Korsett übergezogen ist. Im ganzen Land gibt es zum einen international bekannte Musikfestivals, zum anderen eine lebendige Untergrundszene. Besonders Metal und HipHop sind als Genres bei der Jugend beliebt.

Dass ausgerechnet diese beiden Stile so populär sind, liegt an ihrer Repräsentationsfunktion für zwei verschiedene Lebenswelten. HipHop entwickelte sich, wie sein US-Vorbild und die Rap­pe­r:in­nen in Frankreich, zur Sprache der ärmeren, peripheren Viertel der Großstädte, während Metal vor allem die Jugend der urbanen Mittelschicht repräsentiert.

Der Unterschied manifestiert sich im Zugang zu Equipment, Übungsräumen und Clubs und zu bildungsbürgerlichen Strukturen. Während für HipHop im akuten Fall ein Mikrofon und ein Laptop ausreichen, bedarf Metal eines Instrumentenarsenals und PA-Technik.

„Oriental Metal“ versus „europäisch“ klingende Bands

Besonders HipHop ist in den letzten Jahren in Tunesien explodiert und hat Superstars wie Balti und Samara hervorgebracht. Im Metal zeichnet sich vor allem die Band Myrath als Flaggschiff der lokalen Szene aus, obwohl sie für ihr orientalistisches und exotistisches Auftreten auch scharf kritisiert wird. Das Subgenre „Oriental Metal“ erfreut sich dennoch großer Beliebtheit und wird von Bands wie Carthagods, Saracens und Fusam ausgiebig bedient.

Im Umkehrschluss bedeutet das für „europäisch“ klingende Bands, dass der fehlende orientalistische Rahmen bereits ein politisches Statement darstellt: Die Abkehr von der orientalischen Wahrnehmung und der Wunsch nach international anerkanntem Sound stellen einen bewussten Bruch mit den Spielregeln des offen auftretenden Teils der Musikszene dar.

Der nicht öffentlich auftretende Teil der Szene hat dafür gute Gründe. Offene Kritik an polizeilicher Willkür, Korruption und politischem Missmanagement gilt als gefährlich für die physische und psychische Integrität der Künst­le­r:in­nen und ihrer Angehörigen. Anonymität in der Öffentlichkeit ist der entscheidende Marker für die Brisanz der Botschaft. Bands wie Znous, die unumwunden die Missstände in Tunesien anprangern, sehen sich dadurch zu einem indirekten Auftrittsverbot und einem künstlerischen Leben in Konspiration gezwungen.

Je anonymer ein Künstler, desto radikaler

Sein Gesicht zu zeigen oder nicht, macht den Unterschied deutlich zwischen radikal und ungefährlich. Je anonymer ein Künstler oder eine Band, desto radikaler und kritischer ist die Botschaft und dementsprechend gefährlicher für die Behörden.

„Schau auf die Straße, wenn du noch sehen kannst / Sieh mit deinem eigenen Auge, wie dein Land gefickt wird / Sie schieben die Schuld auf uns / Ein Land, in dem die Cops Schläger sind, würde dich für einen einfachen Blick entführen“ heißt es im Song „Tfuuh/Spit!“ von Znous. Ihr Sound erinnert an die extremeren metallischen Crossover-Stars wie Sepultura (Brasilien) und Slipknot (USA).

Aber es gibt auch Zwischentöne, pointierte Texte, die den Eindruck von Kritik erwecken könnten und damit eine gewisse Freiheit in der Kritik erlauben. Zumindest so lang, bis diese revolutionär erscheint. Exemplarisch dafür ist der Song „7orreia“ (Freiheit) von Joe Lociano, der kritisiert, ohne den Gegenstand genau zu benennen. Allein die stete Wiederholung des Wortes “„Freiheit“ erscheint in der tunesischen Gegenwart als trotzig-revolutionärer Akt, ohne eine solche Revolution einzufordern.

Kritische Stimmen unterdrücken zum Machterhalt

Musik war schon bei den Umwälzungen 2011 treibende Kraft und kann es jederzeit wieder sein. Kritische Stimmen zu unterdrücken ist damit auch im demokratischen Tunesien ein autoritäres Instrument des Machterhalts: „Wir spucken auf das korrupte Justizsystem, das die Straffreiheit von Politikern und Polizisten fördert. Wir prangern korrupte Geschäftsleute, Medien und auch die Gesellschaft selbst in ihrer hässlichen, unsicheren und rückschrittlichen Seite an. Es sieht also nicht so aus, als würden wir uns hier Freunde machen in einem Land, das einen Polizeistaat im Staat selbst hat und in dem die Mehrheitspartei Ennahda mit starken Verbindungen zum Terrorismus und mit finanzieller Hilfe aus dem Ausland regiert“, sagt Adnan von Znous.

Für viele Künst­le­r:in­nen ist aus dem Schlüsselmoment der Jasmin-Revolution und der Post-Ben-Ali-Ära nur eine weitere historische Fußnote geworden, die nichts an der Perspektive geändert hat. Steter Demokratieabbau und autoritäre Tendenzen mobilisieren die Massen regelmäßig zu Protesten, die dafür sorgen, dass die Luft für autokratische und islamistische Kräfte dünner wird.

Die Enttäuschung der Jugend wird in den Songs hörbar, gibt aber selten eine konstruktive Perspektive: „Wir verstehen, dass Tunesien im Westen als ein demokratisches Erfolgsland in der Region vermarktet wurde. Dieses oberflächliche Narrativ hat nichts mit unserer Realität zu tun, die derzeit einen totalen Verfall erlebt“, schätzt Adnan die Situation ein.

Auch aus europäischer Warte sieht es nicht so aus, als würden sich in absehbarer Zeit die Hoffnungen auf eine umfassende Demokratisierung Tunesiens erfüllen. Dennoch arbeiten die Bands weiter und erreichen dank sozialer Medien auch ein internationales Publikum. Dies verleiht ihrem Zorn Gehör.

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