Musikalische Materialsammlung: Neue Deutsche Welle neu aufgelegt

Auf einer Compilation wurden deutsche Songs zwischen Punk und Schlager zusammengestellt. Sie zeichnet eine völlig verfehlte Konzeption aus.

Nena, Falko und bunte Luftballons

Die Zeit war bunt, die Auftritte schrill. Foto: dpa

In den letzten 15 Jahren wurden die Subkulturen der achtziger Jahre in der Bundesrepublik Deutschland scheinbar endlos verklärt, verkultet und revivalt. Aktuelle Beispiele wären Oskar Roehlers Filmschmonzette „Tod den Hippies – Es lebe der Punk!“, oder die Ausstellung „Geniale Dillettanten“ im Münchner Haus der Kunst. Jeder, der mal im Ratinger Hof in Düsseldorf mit seiner Kunstpunkband für 20 Minuten auf der Bühne stand, konnte in einem der vielen weiteren Bücher zum Thema persönlich ausführlich schildern, wie das damals so war.

Damals, als in Deutschland aus Punk und New Wave die Neue Deutsche Welle (NDW) wurde und die Basisarbeit für etwas geleistet wurde, was man später Techno nennen sollte. Man erinnerte sich an eine Zeit, in der, nachdem Punk in England und den USA einen neuen Nullpunkt markierte, auch hierzulande alles möglich schien, Bildende Kunst und Musik zueinander fanden, unabhängige Labels gegründet wurden und scheinbar der totale Aufbruch herrschte.

Postpunk in Deutschland, das schien der homoerotisch aufgeladene Synthie-Dance von DAF gewesen zu sein, das Lärmen der Einstürzenden Neubauten und der Bildende Künstler Martin Kippenberger, der sich als Booker des Berliner SO 36 für kurze Zeit Ende der Siebziger als Punk ausprobieren hatte. Was muss das damals doch für eine irre aufregende Zeit gewesen sein!

So suggeriert es auch die monumentale neue Compilation-Reihe „NDW – Aus grauer Städte Mauern – Die Neue Deutsche Welle 1977–85“, deren zweiter Teil kürzlich erschienen ist. Aber wie sie schon im Titel den Zeitrahmen falsch setzt, wirkt sie fast wie ein Affront gegen diese Lobpreisungen der goldenen Achtziger. Hört man den eben erschienenen ersten Teil dieser opulenten, auf insgesamt acht CD-Boxen konzipierten Mammutrückschau an, ist man froh, im Jahr 2015 zu sein.

Verschiedene Künstler: „NDW – Aus grauer Städte Mauern – Die Neue Deutsche Welle 1977–85“ (Bear Family Records)

Ultimativer NDW-Rundumschlag

Allerdings wird dieser Eindruck vor allem dadurch erweckt, dass die Konzeption dieses NDW-total-Samplers einigermaßen grotesk ist. Überraschend genug, dass das ehrwürdige Pophistorisierungs-Label Bear Family Records, das sich normalerweise akribisch um Aufarbeitungen von Blues, Rock’n’ Roll und Country kümmert, also um handgemachte Wertarbeit für Leute, die Hank Williams und andere Country-Stars lieben, sich plötzlich um Synthietrash, Plastikpop, Marke Nena und Kabarettrock Marke Erste Allgemeine Verunsicherung kümmert.

Zum Problem dabei wird, dass der historisch-kritische Ansatz, für den Bear Family weltweit geschätzt wird, nun auf eine Ära angewandt wird, in der letztlich mehr Müll als substanzielles Material erschienen ist. Falls es dem Label jedoch vor allem darum gegangen sein sollte, dies letztgültig zu unterstreichen, ist Bear Family immerhin mit seinem ultimativen NDW-Rundumschlag gelungen.

Die meisten Labels, die sich heute um die Rekapitulierung bestimmter Popepochen kümmern, gehen beim Kuratieren ihrer Compilations nach einem Kriterium vor, das HörerInnen gern „Durchhörbarkeit“ nennen. Man präsentiert etwa nigerianischen Afrobeat Anfang der Siebziger und achtet dabei darauf, dass sich der Anspruch an historisch-korrekte Aufarbeitung und musikalische Qualität in etwa die Waage halten.

Skip-Taste empfehlenswert

Am Ende glaubt man dann womöglich, dass es in Nigeria nur Fela Kutis gab und keine schlechten Afrobeatbands. Und, man nimmt diese Geschichtsklitterung allzu gern hin, solange genügend gute Musik geboten wird. Im NDW-Seminar von Bear Family bekommt man im Begleittext des – wie üblich – ausführlichen 150-seitigen Booklets gesagt, dass die Neue Deutsche Welle Anfangs experimentierfreudige Schlagerdekonstruktion und genialer Dillettantismus war, irgendwann aber ein von der Musikindustrie gesteuertes Monster. Das dient dann als Rechtfertigung dafür, Perlen des deutschen Postpunk direkt neben absoluten Belanglosigkeiten zu stellen. Oh je!

Man hört also beispielsweise das tolle „Rote Lichter“ von Palais Schaumburg und kurz darauf das Peinsame „Weil i di mog“ von Relax. Wer Probleme mit der Skip-Taste seines CD-Players hat, könnte von dieser Kopplung ernsthafte psychische Schäden davontragen. Kurios ist auch, dass Bear Family bei der NDW seinen eigenen Ansprüchen bezüglich der Aufarbeitung bestimmter Musikphänomene nicht genügt. Normalerweise zeigt das Label historische Entwicklungen zumindest ansatzweise chronologisch auf. Nicht so jedoch bei „Aus grauer Städte Mauern“, wo gleich im ersten Teil ein Bogen von den späten Siebzigern bis Mitte der Achtziger gespannt wird. Wahrscheinlich hat man sich dazu aus marktstrategischen Gründen entschieden, in der Annahme, dass sich kaum jemand ausschließlich für die Schrecknisse der Jahre 1984 und 1985 hätte erwärmen können.

Als reine Materialsammlung erfüllt „Aus grauer Städte Mauern“ ihren Zweck, zwischen Spider Murphy Gang und Trio wird wirklich kaum etwas ausgelassen. Trotzdem bleibt der Schlagerpunk der Band Neue Heimat nichts anderes als die Antithese zum Popdadaismus von Der Plan. Das zusammenzudenken, genau dagegen haben sich die Bands der ersten Stunde des deutschen Postpunk immer gewehrt. Sie wollten nicht in einen Topf geworfen werden mit dem kommerziellen Schund, der sich aus ihren Ideen destillierte.

Dass dies ausgerechnet einem derart geschichtsbewussten Label wie Bear Family einfach egal ist, erscheint noch am erstaunlichstem an dieser Compilation.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.