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Mühlrose vor der WahlStirb langsam

Die Kohle hat den Mühlrosern viel genommen – Straßen, Wälder und Jugend. Nun hoffen die letzten Gebliebenen, dass alles bald der Kohle weicht.

Bloß weg! Die Mühlroser wünschen sich eine neuen Heimatort – ohne Kohle Foto: dpa

Mühlrose taz | Wie ist das, wenn ein Dorf verschwindet? Die Mühlroser wissen es. Ihr Dorf, über 470 Jahre alt, stirbt gerade, langsam und todsicher. Mühlrose, nur noch 240 Einwohner klein, liegt in der Lausitz. Die polnische Grenze ist nah, noch näher liegt der Tagebau. Wuchtige Baggerschaufeln graben dort tonnenweise einen Rohstoff aus, der als dreckigster aller Energieträger gilt. Für die Braunkohle sind Wälder gestorben, Seen, Wohnsiedlungen, letztlich ganze Landstriche.

Das Lausitzer Revier prägen Förderanlagen und Kraftwerke. Für Umweltverbände und grüne Aktivisten ist es ein Hort des Bösen. Nochten, Reichwalde, Welzow-Süd, Jänschwalde, Schwarze Pumpe, Boxberg. Aushängeschilder der Großindustrie, ein Raubbau sondergleichen. So liest man das immer, als Außenstehender.

In Mühlrose, offiziell ein Ortsteil von Trebendorf, ist Ernst-Gerd Paufler der Chef. Nicht faktisch natürlich, rein praktisch aber schon. Paufler, 63, weißer Rauschebart, freundlicher Gesichtsausdruck, sitzt dem Kultur- und Sportverein Mühlrose e. V. vor. Der Verein hat 36 Mitglieder, besteht vornehmlich aus alten Frauen und Männern, und er orchestriert das Dorfleben. Wenn in Mühlrose was geht, dann nur über den Kultur- und Sportverein. Kegelrunden, Billardturniere, Kartenabende, Paufler und seine ehrenamtliche Crew organisieren das, bringen das Dorf zusammen, Teile jedenfalls.

Ein verlorener Ort

An einem farbenfrohen Donnerstag Mitte September tun sie das wieder. Im Innenhof des Vereinsgeländes, das vor allem aus einem etwas größeren Haus besteht, werkeln sechs Männer herum, sie spannen weiße Planen, ziehen Kabelbinder fest. „Für Samstag“, sagt Paufler, „da ist Helferfest, da wird ein Festzelt gebraucht“. In der Nachbarschaft bellt währenddessen ein Schäferhund, fünf Ziegen meckern. Ein Pony, festgebunden an einem Pfahl, trottet im Kreis. Und sonst? Gibt es ein Feuerwehrhaus, einen Spielplatz, sogar ein kleines Freibad. Gepflegt sieht alles aus, manches, die Straßen etwa, erst frisch saniert.

Trotzdem muss alles der Kohle weichen. „Und das ist richtig so“, sagt Paufler. Wer nach Mühlrose fährt, der ahnt schon: Der Ort ist verloren. „50 Jahre war Kohle unser Leben, wir haben Freunde, Wälder, Straßen hergegeben. Haltet endlich euer Wort, lasst uns zum neuen Heimatort!“ So steht es auf einem Banner am Ortseingang. Der Umzug, den pro Haushalt ein paar tausend Euro garnieren, als letzte Kohlekompensation; man sieht das hier pragmatisch.

Paufler nimmt an einem einfachen Holztisch im Vereinsheim Platz. Neonlicht, hellgelbe Tapete, der Kegelraum wirkt steril. An der Pinnwand hängt eine Tabelle der Kegler, Paufler steht auf Rang 9. Im Nachbarzimmer steht ein Billardtisch, silberne Pokale zieren die Regale. Es ist ein Blick auf das wegbrechende Vereinswesen. „Es gibt keine Solidarität mit Aktivisten von Ende Gelände oder Greenpeace“, sagt Paufler unaufgeregt. „Wir brauchen keine Leute von außerhalb, die uns erklären wollen, was abgeht. Die sollen ihr Zeug machen, aber nicht alles blockieren.“

Bloß weg!

Er meint den Braunkohleabbau, der bald Mühlrose aufgefressen hat. „Die Umstände geben es nicht her hierzubleiben. Die Alten wollen lieber schon heute als morgen fort“, sagt Paufler. Je nachdem, wie der Wind weht, lege sich Kohlestaub über Mühlrose, die Lärmbelästigung sei ohnehin permanent da. Paufler streckt die Arme auseinander: „So hoch lag der Staub schon auf unserem Dachboden.“ Das war zu Zeiten, in denen die Kohle noch direkt im Ort verladen wurde. 1994 war damit Schluss. 2004, erinnert er sich, habe es eine Umfrage gegeben. 87 Prozent seien für eine sofortige Umsiedlung gewesen.

Im April dieses Jahres fiel dann die endgültige Entscheidung: Der Tagebau schreitet voran. Bloß weg! Von Kohle – Die Mühlroser wünschen sich die UmsiedlungMillionenbeträge im einstelligen Bereich, für die Privaten und die Kommune, sollen als Entschädigung fließen. So informiert Waldemar Locke, der CDU-Gemeinderat. Locke ist Mühlroser und Bürgermeisterkandidat Trebendorfs, er steht also auch in Mühlrose zur Wahl.

Locke fragt sich, wie es wohl generell in der Region weitergeht, wenn die Kohle geht. „Man muss abwarten, was in Berlin passiert. Letztlich hängen 8.000 bis 10.000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt an der Kohle.“ Jetzt gelte es, den Umsiedlungsprozess – wohl nach Trebendorf oder ins infrastrukturell besser aufgestellte Schleife – „maximal zu begleiten“. Es muss noch weiter gebaggert werden, damit Mühlrose auch tatsächlich stirbt. Und die Bewohner einen würdigen Lebensabend verbringen können.

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