Moscheen in Hamburg: Beten im Industriegebiet
In Hamburg sind die Moscheen nicht da, wo die Menschen leben, sondern in Hinterhöfen oder Industriegebieten. Zur Stadtgesellschaft passt das nicht.
D er Vater eines Freundes ist im Winter in Syrien gestorben. Bei uns syrischen Muslim*innen ist es üblich, dass wir die Familie der Verstorbenen besuchen, uns versammeln, für die Angehörigen da sind und die Trauer mittragen.
Der Vater meines Freundes wurde in Syrien begraben, aber da sein Sohn hier in Hamburg lebt, gab es auch hier eine Einladung, in einer Moschee den aleaza-Besuch zu machen. „Aleaza’“ ist ein Trostbesuch, der in einer Moschee oder bei der Familie zu Hause stattfindet. In meinem Heimatort muss die Familie der verstorbenen Person nicht ausdrücklich dazu einladen, sondern alle, die es mitbekommen haben, gehen die Familie besuchen, um sie nicht alleine zu lassen.
Mein Bruder und ich sind mit Hilfe von Google Maps in Richtung Wedel gefahren, wo die Moschee ist, in der aleaza stattfinden sollte. Wir fuhren mit der S1 nach Blankenese. In den letzten sieben Jahren war ich nicht oft in Blankenese, ich weiß nicht genau warum. Vielleicht, weil es kein typischer Ort für neue Hamburger*innen wie mich ist, oder vielleicht weil St. Pauli mir keine Gründe gibt, andere Stadtteile aufzusuchen.
Egal, als ich das erste Mal in Blankenese war, habe ich endlich verstanden, was viele über die Blankeneser*innen sagen: dass dort sehr wohlhabende Menschen leben. Meine erste Frage war: Warum sieht hier alles so ordentlich aus? Dabei sagt mir mein Vorurteil über Hamburger*innen mit viel Geld, dass sie nicht so oft den öffentlichen Nahverkehr nutzen, sondern lieber mit dem Auto fahren. Warum also ist diese Station so ein ruhiges, sauberes S-Bahn-Paradies – und die Stationen anderswo, die von viel mehr Menschen gebraucht werden, traurig, vernachlässigt und schmutzig?
Der Bus brachte meinen Bruder und mich dann durch grün gesäumte Straßen in Richtung Wedel. Wir fuhren in die Industriestraße. Streng genommen liegt das ja nicht mehr in Hamburg, was ich aber zu der Zeit nicht bemerkte. Auch der Straßenname wurde mir erst bewusst, als wir aus dem Bus ausstiegen. Google sagte uns, dass wir da sind, aber mein Bruder und ich guckten einander an und fragten uns: „Shu hada? Was ist das? Wie kann hier eine Moschee sein?“
Wie kann eine Moschee in einem Industriegebiet stehen, so weit entfernt von den Menschen? Die Moscheen, die ich kenne, in meinem Heimatort, in Damaskus oder in Istanbul, befinden sich in den Herzen der Wohnviertel. Sie sind gut erreichbar, besonders freitags und am Wochenende. Sie sind nicht immer groß oder mit viel Geld gebaut, aber sie sind dort, wo die Menschen sind.
In Hamburg und Umgebung, das habe ich schnell bemerkt, ist das anders. Es gibt die Konzentration von Moscheen in St. Georg und dann die schiitische Blaue Moschee an der Alster oder die aufwendig zur Al-Nour-Moschee umgebaute ehemalige Kirche in Horn.
Aber man findet längst nicht in jedem Stadtteil einen Gebetsraum, nur weil dort Muslim*innen leben. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Man muss schon ganz genau in die Hinterhöfe schauen. Vielleicht wegen der Geschichte der muslimischen Migrant*innen, die lange nur als “Gastarbeiter“ gesehen wurden. Und für Gastarbeiter ist es doch passend, in einem Industriegebiet oder in ihren Arbeitsstätten zu beten. Ist das deutscher Pragmatismus, oder beabsichtigte Distanz vom deutschen öffentlichen Raum?
Aber wir sind doch jetzt im Jahr 2023, die Gastarbeiter*innen sind schon lange keine Gäste mehr, sondern deutsche Staatsbürger*innen und ihre Kinder und Enkelkinder arbeiten nicht nur in Fabriken, sondern auch als Unternehmer*innen, als Selbstständige, an der Uni oder als Journalist*innen.
Ich frage mich: Wie wäre es, wenn die Mehrheit der Hamburger*innen in ehemaligen Garagen oder auf einem Industriegelände von ihren Toten Abschied nehmen müsste?
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