Morde in Tschetschenien: Auftragskiller belastet Präsident Kadyrow
Der Herrscher der Kaukasusrepublik soll Morde nicht nur angeordnet, sondern sich damit auch gebrüstet haben. Moskau traut sich nicht, gegen seinen einstigen Günstling vorzugehen.
MOSKAU taz | Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow ist bekannt für Brutalität und Gnadenlosigkeit. Unzählige Morde und Entführungen werden dem Statthalter des Kreml in Grosny zugeschrieben. Auch bei den Morden an der Journalistin Anna Politkowskaja 2006 und der Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa im letzten Jahr soll er die Finger im Spiel gehabt haben, vermuten unabhängige Ermittler.
Beweise fehlen und zu einer Anklage kam es nie. Nicht verwunderlich, denn in Tschetschenien verkörpert Ramsan die höchste Rechtsinstanz und Moskau wagt nicht, den Günstling zur Verantwortung zu ziehen.
In einem offenen Brief, den dass Massenblatt Moskowskij Komsomolez (MK) unlängst veröffentlichte, wird Kadyrow erstmals von einem Zeugen beschuldigt, Morde nicht nur in Auftrag gegeben, sondern sich dieser auch gerühmt zu haben. Bei dem Zeugen handelt es sich um einen erfolglosen Killer namens Chawasch Jussupow. Er wurde 2009 festgenommen, als er versuchte, den tschetschenischen Geschäftsmann Issa Jamadajew in Moskau zu töten. Jamadajew war es auch, der den offenen Brief mit Jussupows Aussagen aus dem Protokoll der Ermittlungsbehörde an die Zeitung gab.
Der MK stellte auch ein Video des Verhörs auf seine Website www.mk.ru. Darin behauptet der gescheiterte Attentäter, vom Präsidenten zum Mord genötigt worden zu sein. "Wenn du nicht bereit bist zu töten, bringen wir dich und deine Familie um", soll Kadyrow gedroht haben.
Der Killer war mit seinem Opfer vertraut. Jussupow war Issas Bodyguard und kannte auch Jamadajews Bruder Sulim, der im Frühjahr 2009 nach offizieller Version bei einem Attentat in Dubai umkam. Issa behauptet, der Bruder sei noch am Leben.
Kadyrow rühmte sich nicht nur des Mordes an Sulim, sondern auch an Issas Bruder Ruslan, der im September 2008 in Moskau auf offener Straße erschossen worden war. Sulim und Ruslan "sind auf meinen Befehl hin ermordet worden … ich werde auch noch ihre Familien umbringen", soll er gesagt haben. Der Mord an Ruslan ist bis heute nicht aufgeklärt worden.
Die Jamadajews sind ein einflussreicher Clan in Tschetschenien, der wegen seiner Brutalität berüchtigt ist und schon Ende der 90er-Jahre mit Menschenhandel und Entführungen in Verbindung gebracht wurde. Im Tschetschenienkrieg 1994 bis 1996 kämpften die Jamadajews wie auch die Kadyrows auf Seiten der separatistischen Rebellen.
Im zweiten Krieg wechselten beide Clans die Seiten. Die Jamadajews überließen den russischen Truppen die von ihnen beherrschte Stadt Gudermes kampflos. Moskau gestattete Ruslan Jamadajew, unter dem Dach des militärischen Geheimdienstes (GRU) ein unabhängiges Bataillon "Wostok" aufzustellen, und verlieh den Brüdern den Titel "Held Russlands".
Als Ruslan 2003 in die Duma gewählt wurde, übernahm sein Bruder Sulim das Bataillon. Unter Ramsan Kadyrows Vater Achmat waren die Beziehungen zwischen den Clans noch freundschaftlich. Zum Zerwürfnis kam es erst nach der Machtübernahme Ramsans, der neben sich keine Konkurrenten duldete. Anfangs hielt der Geheimdienst noch seine schützende Hand über die "Helden Russlands", ließ sie aber 2008 wohl auf Drängen Kadyrows fallen.
Chawasch Jussupow steht zurzeit in Moskau in einer nicht öffentlichen Verhandlung vor Gericht. Üblicherweise werden urteilsrelevante Fakten im Laufe eines Prozesses veröffentlicht. In diesem Verfahren geschieht dies nicht. Issa Jamadajew vermutet, dass Auftraggeber und wahre Hintergründe des Mordversuchs verschleiert werden sollen. Für ihn war das der Anlass, sich an die Öffentlichkeit zu wenden.
Der Casus Jussupow sei der erste Fall, in dem die Hilflosigkeit der russischen Machtstrukturen gegenüber Tschetschenien sich deutlich zeigte, meint der russische Kaukasusexperte Grigorij Schwedow. Ernsthafte Konsequenzen für Kadyrow sieht er nicht.
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