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Monolog über CoronaTrump, Spargel, Querfronten

Was wäre, wenn man mit dem früheren Ich über Corona reden würde? Das wäre gar nicht so überrascht von den vielen irrsinnigen Nachrichten.

Protest und Desinfektionsmittel in den USA Foto: Gerry Broome/ap

I ch habe mir immer schon gerne vorgestellt, wie es wäre, wenn ich in der Zeit zurückreisen und einem früheren Ich von der Gegenwart berichten könnte. Wo ich inzwischen lebe, in wen ich mich verliebt habe (und wer sich in mich), was ich alles gelernt habe und was sich als vollkommen überflüssig erweisen wird (ein Abschluss in Politikwissenschaft).

In letzter Zeit spiele ich dieses Spiel immer öfter und mit zunehmender Ernsthaftigkeit. Nicht nur, weil ich plötzlich sehr viel Zeit zum Nachdenken habe. Ich bilde mir zumindest ein, dass die Gegenwart leichter zu verstehen ist, wenn man sie sich vorstellt, als gäbe es sie noch gar nicht.

Also erzähle ich dem früheren Ich: „Stell dir mal vor, auf den Straßen wären plötzlich viel weniger Menschen unterwegs als sonst. Und die, die unterwegs wären, trügen alle Masken vorm Mund wie auf diesen Fotos aus der U-Bahn in Tokio. Als wäre es ein hervorragend inszenierter Flashmob, nur dass er nicht inszeniert ist, weil eine ansteckende Viruserkrankung sich auf der ganzen Welt verbreitet, gegen die es noch keinen Impfstoff und keine Medizin gibt. Stell dir vor, alle Restaurants wären geschlossen, und Berlin wäre ab acht Uhr abends stiller als das niedersächsische Kaff, in dem du aufgewachsen bist.

Stell dir mal vor, in Frankreich dürften die Menschen nur mit Passierschein raus, und in Spanien wären alle Kinder wochenlang zu Hause eingesperrt. Stell dir mal vor, in New York würden sie Leichensäcke in Kühllastern stapeln, weil die Menschen einfach zu schnell und zu zahlreich sterben, und in Michigan würde ein Sicherheitsmann erschossen, weil er eine Kundin auf die Maskenpflicht im Supermarkt aufmerksam gemacht hatte.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Stell dir mal vor, der amtierende US-Präsident würde dazu anregen, Desinfektionsmittel zu trinken und schwerbewaffnete Protestierende, die in den Amtssitz einer Gouverneurin eindringen, noch anfeuern. Stell dir mal vor, binnen acht Wochen wären über 36 Millionen Menschen in den USA arbeitslos geworden, und anstatt ewigen Wachstums hätten wir plötzlich hier wie dort ein schrumpfendes Bruttoinlandsprodukt. Eine Weltwirtschaftskrise, vermutlich noch heftiger als die vor einem Jahrhundert, was wiederum alle politischen Zukunftsängste, die man angesichts von Rechtspopulisten im Parlament so haben könnte, eher noch befeuern dürfte.

Stell dir vor, die Deutschen würden derweil darüber diskutieren, wer ihnen jetzt den Spargel erntet, den sie pünktlich zum Frühsommer auf ihrem Teller erwarten: Osteuropäische Erntehelfer*innen, von denen dann halt mal einer stirbt? Studierende, die plötzlich keinen Job mehr haben, dafür aber gern einen zinsfreien KfW-Kredit aufnehmen dürfen? Stell dir vor, der Bundesarbeitsminister wollte bei den prekären Arbeitsbedingungen von Schlachthofbeschäftigten so richtig,aufräumen', denn es könne nicht sein,,dass da Menschen ausgebeutet werden aus Mittel- und Osteuropa', stell dir aber auch vor, dass ihn das in diesem Ausmaß erst umtreiben würde, wenn eine Coesfelder Fleischfabrik schließen müsste, in der sich 260 Arbeiter*innen mit dem Virus infiziert hätten.

Schöngeredeter Ich-will-aber-Egozentrismus

Stell dir mal vor, die Gesellschaft teilte sich jäh in Vernünftige und Verdrängende, in solidarisches Vorausdenken und als Demokratiekritik schöngeredeten,Ich will aber'-Egozentrismus, aus dem heraus sich eine Querfront bildet, in der vom Neonazi bis zum Ökolinksalternativen alles dabei ist. Stell dir mal vor, deren geistige Anführer wären ein veganer Kochbuchautor mit Impulskontrollproblem, ein als Schmusesänger missverstandener Antisemit und ein selbst gekrönter Prophet der Kapitalismuskritik, der endlich jene Volks-Bühne gefunden hat, die ihm in seiner Welt gebührt.

Stell dir vor, in Griechenland säßen noch immer Familien in völlig überfüllten, durchnässten und verschmutzten Lagern fest, und in Jemen wären Millionen Menschen nicht mehr nur von Hunger bedroht, sondern auch von einer potenziell tödlichen Krankheit. Stell dir mal vor, in Afghanistan würden die Taliban Mütter und Neugeborene auf einer Entbindungsstation erschießen und in Syrien offenbar russische Truppen gezielt auf Krankenhäuser und Schulen feuern.“

Ich schließe völlig überfordert, denn leichter zu verstehen erscheint mir gerade überhaupt nichts. „Hm“, macht das frühere Ich, dessen Gegenwart nur unwesentlich länger zurückliegt als die des aktuellen Ich. „Was hast du denn erwartet? Das mit dem Virus ist tatsächlich ziemlich verrückt, – auch wenn man sich hätte denken können, dass so was irgendwann mal passiert. Aber überrascht es dich jetzt wirklich, dass das dann alles so gekommen ist?“

Darauf weiß ich leider auch keine Antwort. Aber ich nehme mir fest vor, bei der nächsten Begegnung eine zu haben.

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Johanna Roth
taz-Autorin
ist freie Korrespondentin in den USA und war bis Anfang 2020 taz-Redakteurin im Ressort Meinung+Diskussion. Davor: Deutsche Journalistenschule, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag, Literatur- und Politikstudium in Bamberg, Paris und Berlin, längerer Aufenthalt in Istanbul.
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1 Kommentar

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  • "Schöngeredeter Ich-will-aber-Egozentrismus"

    Danke für diesen einen. Darf ich den klauen und einrahmen?