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Möglicher Chemiewaffenangriff in SyrienVon Chan Scheichun nach Duma?

Das syrische Militär soll abermals chemische Kampfstoffe eingesetzt haben. Diesmal in Duma. Ersthelfer verbreiten erschütternde Bilder.

Duma, 7. April 2018 Foto: dpa

Beirut ap | Im syrischen Bürgerkrieg soll es wieder zu einem verheerenden Chemiewaffenangriff gekommen sein. Oppositionsnahe Aktivisten und Ersthelfer warfen den Regierungstruppen vor, bei ihrer Offensive auf Duma, die letze Rebellenhochburg außerhalb von Damaskus, am Samstagabend Dutzende Menschen mit Giftgas getötet zu haben.

Die Opferzahlen gingen auseinander, es war von 40 bis 80 und noch mehr Toten die Rede. Die syrischen Staatsmedien wiesen die Anschuldigungen als erfunden zurück. Eine unabhängige Prüfung der Berichte war nicht möglich.

Die Weißhelme erklärten, ganze Familien seien erstickt in ihren Häusern und Bunkern in Duma gefunden worden. Die Zahl der Toten steige stetig weiter. Auf ihrem Twitter-Konto veröffentlichte die Organisation Fotos und Videos von zahlreichen Leichen mit Schaum vor Nase und Mund, den Angaben zufolge die Erstickungsopfer aus Duma. Sie sprach zunächst von 40 Toten. Die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete 80 Tote, davon rund 40 durch Erstickung.

Die Sprecherin des US-Außenministeriums, Heather Nauert, sagte, Washington verfolge die Entwicklungen sehr genau. „Diese Berichte – sollten sie bestätigt werden – sind fürchterlich und erfordern eine sofortige Reaktion der internationalen Gemeinschaft.“

Offensive seit Freitag

Die syrischen Regierungstruppen hatten nach einer zehntägigen Feuerpause am Freitag ihre Offensive auf Duma wieder aufgenommen, nachdem eine Vereinbarung, Hunderten radikalislamischen Kämpfern der Gruppe Dschaisch al-Islam und deren Familien freies Geleit aus Duma zu geben, gescheitert war. Einige hundert hatten zu diesem Zeitpunkt das Gebiet fast verlassen und waren in Richtung Nordsyrien gezogen.

Mit einer Eroberung Dumas hätten die syrischen Regierungstruppen nach jahrelanger Belagerung wieder ganz Ost-Ghuta unter seiner Kontrolle, ein Gebiet in unmittelbarer Nähe zu Damaskus, dem Sitz der Regierung von Präsident Baschar al-Assad.

Die Regierungstruppen griffen Duma seit Freitag vom Boden und aus der Luft aus an. Dabei sei auch eine Fassbombe mit Chemikalien abgeworfen worden, erklärten die Weißhelme. Die syrischen Staatsmedien berichteten, diese erfundenen Berichte seien dem raschen Bodengewinn der Regierungstruppen geschuldet.

Erinnerung an Chan Scheichun

Der mutmaßliche Giftgasangriff ereignete sich fast genau ein Jahr nach einer ähnlichen Attacke auf den Ort Chan Scheichun im Norden Syriens, bei dem ebenfalls Dutzende Menschen ums Leben gekommen waren. Als Reaktion darauf ordnete US-Präsident Donald Trump einen Angriff auf einen syrischen Luftwaffenstützpunkt an. Die Regierung in Damaskus und auch ihr Verbündeter Russland dementierten damals jegliche Beteiligung an dem Giftgasangriff vom 4. April 2017.

2013 war es in Ost-Ghuta, wo auch Duma liegt, zudem schon zum wohl opferreichsten Giftgasangriff im syrischen Bürgerkrieg gekommen. Hunderte kamen damals ums Leben. Der damalige US-Präsident Barack Obama drohte daraufhin mit einem militärischen Angriff, einigte sich aber dann mit Russland darauf, das syrische Chemiewaffenarsenal zu zerstören. Allerdings gab es danach Zweifel daran, ob Syrien auch wirklich alle seine chemischen Kampfstoffe deklariert und übergeben hatte.

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6 Kommentare

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  • 8G
    81622 (Profil gelöscht)

    Putin lässt das UN-Mandat für den Joint Investigative Mechanism (JIM) im Nov. 2017 auslaufen und nennt nun den Giftgaseinsatz "Fake News" und die Bilder der erstickten Kinder "fabriziert". Putin, ohne den sich nicht ein Blatt in Syrien regt und für den Assad nur eine Marionette ist, hat mit dem Giftgaseinsatz dreierlei erreicht: 1) die Aufgabe der letzten Rebellen in Ost-Ghouta, 2) der Bevölkerung die Warnung in die Köpfe brennen, dass ein Aufstand gegen den Diktator sinnlos ist und im Gas erstickt wird, 3) den Westen in seiner Uneinigkeit und Unentschlossenheit gegenüber den "roten Linien" vorzuführen.

    Kriegsverbrechen mit psychologischer Kriegsführung , ist die Expertiese des Geheimdienstlers Putin. Das sind Gründe genug für Putin, seine Grossmachtstellung gegenüber dem Westen aufzubauen.

  • "Auch die der Opposition nahe stehende Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte teilte mit, sie könne einen Giftgaseinsatz nicht bestätigen. Die in Großbritannien ansässige Organisation, die sich auf ein Aktivistennetzwerk in Syrien stützt, erklärte, sie habe Informationen über elf Tote in Duma. Diese Menschen seien in dichtem Rauch nach einem Angriff mit einer konventionellen Waffe erstickt." ORF.at

  • „…Oppositionsnahe Aktivisten und Ersthelfer…“

     

    „Eine unabhängige Prüfung der Berichte war nicht möglich.“

     

    „ Dabei sei auch eine Fassbombe mit Chemikalien abgeworfen worden, erklärten die Weißhelme.“

     

    Noch Fragen?

  • " soll es wieder zu einem verheerenden Chemiewaffenangriff gekommen sein. "

    Bringt gesicherte Nachrichten und lasst die Spekulationen sein. Es wird immer widerwärtiger.

  • Schon am 13.3. ging die Meldung über den Ticker, dass russische Militärs vor einem inszenierten Giftgas-Angriff warnen. https://www.heise.de/tp/features/Syrien-Russischer-Generalstabschef-warnt-vor-inszeniertem-Giftgas-Angriff-3993139.html?seite=2

     

    „Vor kurzem, habe man in Ost-Goutha in dem Gebiet, aus dem sich die Islamisten zurückgezogen hatten, eine Werkstatt zur Herstellung von Chemiewaffen gefunden. Erst am Freitag sagte das russische Verteidigungsministerium, die Freie Syrische Armee, also die Verbündeten der Türkei (!) und Jaysh al-Islam würden in den noch gehaltenen Gebieten in Ost-Ghouta Chemiewaffenangriffe mit Chlorgas planen. Die Absicht sei, die Folgen des Einsatzes von chemischen Waffen zu fotografieren und zu filmen, um die Regierungstruppen zu beschuldigen.“ https://www.heise.de/tp/features/Das-laesst-aufhorchen-Angeblicher-Chemiewaffenangriff-in-Ost-Ghouta-4012789.html

     

    Und: Warum sollte das syrische Militär Giftgas einsetzen? Militärisch macht es keinen Sinn. Die islamistischen Truppen sind so gut wie vertrieben. Und wie alle Welt weiß, wird der Einsatz von Giftgas international geächtet wie kaum etwas anderes und möglicherweise mit militärischer Intervention bestraft. Absurd, anzunehmen, Assad würde so ein Risiko eingehen wollen.

     

    Wo bleibt der kritische TAZ-Geist?

  • So ein Zufall! Da berichtet die syrische Armee gerade noch, dass Douma fast unter Kontrolle wäre und - bumms!- 'greifen die Syrer 100.000 Bürger mit Giftgas an!" Wer's glaubt! Dass die Rebellen vor Jahren Giftgas aus syrischen Lagern entwendet haben, wird mit keinem Wort erwähnt. Als ob nur Syrien bzw. Russland Giftgas hätten! Die Kriegsberichterstattung wird langsam lächerlich - wo ist Scholl-Latour!