Mode im Slum von Kenia: Die Designer von Kibera
Kibera Fashion Week in Nairobi: Die Kollektionen schwankten zwischen traditionell und westlich, zwischen „Mad Max“ und „Black Is Beautiful“.
Schon am Straßenrand entlang, der den Eingang zu Kibera markiert, reihen sich Hunderte von Metern weit Marktstände voller Kleidung: T-Shirts, Hosen, Crocs in allen Farben, BHs hängen von Stangen. Hinter den Ständen erkennt man eine riesige freie erdige Fläche, zwischen den Müllbergen spielen Kinder Fußball. Dahinter beginnt die rund 2,5 Quadratkilometer große Siedlung im Südwesten Nairobis, einer der größten Slums Afrikas: Kibera oder Kibra – das nubische Wort für Dschungel, Wald.
Es ist ein Dschungel aus Verkaufsständen, Hütten, die als Internet-Café, Hotel, Werkstatt fungieren. Auf der Straße wird an Motorrädern geschraubt, in einer Hütte schleifen sie Knochen zu Schmuck. Boda-Bodas, Motorradtaxis, kurven an den vielen Menschen vorbei auf der mit Schlaglöchern gespickten Straße. Es riecht nach Fisch, nach Müll, nach frisch zubereitetem Essen. Laut UN-Schätzungen lebten im Jahr 2010 über eine halbe Million Menschen hier.
David Ochieng aka Avido, Ende zwanzig, ist keine drei Meter mit dem Auto in Kibera eingefahren, da wird er schon erkannt. Gut gelaunt grüßt er zurück. „Mein Leben hat sich innerhalb von vier Jahren komplett geändert“, sagt er. Er ist berühmt geworden mit seiner Modemarke Lookslike Avido, nicht nur hier, sondern weltweit.
Kinderarmut bekämpfen
Kibera ist der Ort, an dem er aufgewachsen sei, erzählt er. Wo er von der Schule abgegangen sei, um für die Familie Geld zu verdienen, wo er als Tänzer angefangen habe, für seine Gruppe die Outfits zu designen. Wo heute der Sitz seiner Stiftung ist, der Avido Foundation, die Menschen aus dem Ort unterstützt, Nähen beibringt, Kinderarmut bekämpft. Im Hauptsitz der Foundation, einem Haus in einem eingezäunten Bereich Kiberas, hängen Avidos Designerstücke in kräftigen Farben, hochwertigem Waxstoff oder Samt. Hier, mitten im Slum, werden sie auch hergestellt.
Diese Woche sollen sie aber keine Rolle spielen. Es soll um die Kibera Fashion Week gehen. Um die Newcomer, die elf Designer und zwanzig Models vor Ort, die am Samstag ihre Kollektionen auf einem Laufsteg mitten im Kibera vorstellen werden. Über 350 Modemacher und Models hatten sich dafür beworben.
Die Idee, die Mode aus der Community durch ein Festival sichtbar zu machen, kommt von Avido selbst. Die Fashion Week findet zum zweiten Mal statt: „Im vergangenen Jahr haben wir das in zwei Wochen hochgezogen, diesmal wollten wir es größer machen. Ein ganzes Jahr lang haben wir Workshops organisiert, geplant, den Designern Zeit für die Kollektionen gegeben.“ Unterstützung bekommt er unter anderem vom Goethe-Institut in Nairobi. Das Geld, etwa 55.000 Euro, kommt von European Spaces of Culture.
Die große Modenschau, der Höhepunkt der Kibera Fashion Week, soll auf dem staubigen – noch vermüllten – Platz in der Nähe der Stiftung stattfinden, der eigentlich als Busstation dient. Der Eintritt ist frei. Das Motto: Sustainability and inclusivity – Nachhaltigkeit und Inklusivität.
Folgen der Globalisierung
Während der documenta fifteen in Kassel machte das Nest Collective aus Nairobi mit der Installation aus gebündelten Altkleidern „Return to Sender“ auf die Folgen der Globalisierung bezüglich der Modeindustrie in Kenia aufmerksam.
In Nairobi sind diese Folgen direkt sichtbar: All die Kleidung, die am Straßenrand von Kibera günstig verkauft wird, kommt aus dem Globalen Norden. Der Secondhand-Konsum dort führe dazu, dass weniger verwertbare Produkte ankommen, erzählen Organisatoren und Designer in Kibera immer wieder. Für einen eigenen Kleidungsmarkt reiche es jedoch kaum, da es schwierig sei, mit dem günstigen Angebot mitzuhalten. Da muss man es schon auf den internationalen Markt schaffen.
„Nachhaltigkeit beschreibt verschiedene Aspekte“, meint Adrian Jankowiak, Gründer der Nairobi Design Week, der vor mehr als einem Jahrzehnt nach Kenia kam, um Entwicklungsarbeit zu unterstützen. Mittlerweile arbeitet er in der Opportunity Factory in Karen, einem wohlhabenden Viertel Nairobis, in der in kleinen Werkstätten Kunsthandwerk gefördert wird. Die Factory unterstützt auch Designer aus Kibera mit Workshops.
Für Avido hat Nachhaltigkeit vor allem eine kulturell-identitätsstiftende Komponente: „Wenn wir es schaffen, unsere eigenen Produkte zu produzieren, ohne irgendwie beeinflusst zu werden, hilft uns das, unsere Kultur zurückzugewinnen, unsere Würde und die Art, wie wir leben wollen.“ Dann fügt er noch hinzu: „Das hier gilt als einer der verschmutztesten Orte Ostafrikas. Wenn die Leute zu mir sagen, wir müssen nachhaltig sein, dann sollen sie herkommen und mir helfen, sauberzumachen.“ Für ihn zähle erst mal das Leben der Menschen, die hinter der Kleidung stehen.
Queere Szene hat es schwer
Von diesen fällt immer wieder der begeisterte Satz: „Es ist ein Event von und für die Community, wir sind die Community.“ Es gibt wenig kulturelle Räume in Nairobi. Vor allem die queere Szene hat es in der Hauptstadt des sehr christlichen Landes schwer. In Kibera sollen aber alle Menschen mit Talent die Möglichkeit bekommen, sich zu zeigen.
Trans Frau Letoya Johnstone zum Beispiel, Stylistin und Model-Trainerin mit der Ausstrahlung einer Fashion Diva. Unter den Models und Stylisten genießt sie sichtlich Respekt. Einige von ihnen kommen selbst aus der LGBTQ-Community. Die meisten leben in Kibera oder in ähnlichen Siedlungen in Nairobi.
Am Samstag ist es so weit: der Tag der großen Show. Die Regenzeit sollte längst angebrochen sein, doch die Sonne knallt auf die staubigen Straßen von Kibera. Der Busplatz gleicht einer Baustelle. Nichts ist fertig. David Avido steht inmitten von Gerüsten, Boda-Boda-Fahrern und spielenden Kindern. Er habe die Nacht hier verbracht, sagt er, völlig verstaubt. Streetart-Künstler Bankslave sprayt seit drei Tagen das Mural an einen Container. Es ist fast fertig. Guinness und Keringet haben ihre Werbestände schon aufgebaut.
Unter dem halbfertigen Gerüst parken bunt bemalte Matatus – so heißen die Sammeltaxis in Kenia –, auf ihnen soll aus Kunststoffplatten der Runway entstehen. „Die Matatus sind ein Zeichen unserer Subkultur“, erklärt Obel Joseph, einer der Models. Er und die anderen Teilnehmer*innen werden im Haus der Foundation geschminkt. Man spürt die Aufregung. Gleich gibt es einen letzten Probelauf auf dem wackeligen Laufsteg über den Matatus.
Das Publikum ist stylisch gekleidet
Der Platz darunter füllt sich mit jungen Menschen, einer stylischer als der andere, der rote Sand des Eingangsbereichs wird zum roten Teppich. Die Besucher präsentieren stolz selbstgeschneiderte Kleidungsstücke in hochwertigen Stoffen, upgecycelte Jeansoutfits, extravagante Accessoires. Irgendwann betreten die Moderatoren der eigentlichen Modenschau die Bühne, der DJ legt Reggae und HipHop auf, schließlich spielt er die kenianische Hymne, die Modenschau beginnt.
Die Modedesigner feiern die Kulturen verschiedener kenianischer Stämme. Die Kollektionen schwanken zwischen traditionellen Einflüssen und westlichem Touch, zwischen Ghettoblaster und Stammesmaske, Schmuck aus Knochen und traditionellen Strohhüten, ostafrikanischen Mustern und Stoffen und perfekt gestrickten Kleidern. Da gibt es die Apocalypse Collection von Designer-Newcomer Pius Ochieng, die mit ihrem ausgewaschenen Grau und den alten Gasmasken an den Film „Mad Max“ erinnern soll und das auch tut.
Die Designerin Joyleen Chepngetich tritt in Patchwork-Jeansjacke auf die Bühne, ihre Kollektion Melanin zeigt viel Haut und ein Model im weißen Shirt mit schwarzer Aufschrift: „Black Is Beautiful“. Auch Gandanis Kollektion setzt ein Zeichen für Emanzipation, ist eine Mischung aus Zulu-Kriegsornamenten und der queeren Szene.
1.000 Menschen aus aller Welt
Die Models geben sich professionell, stolz, präsentieren voller Würde Kleidung und Körper. Lautes Kreischen des Publikums, Tanz- und Musikeinlagen begleiten die Show. Etwa 1.000 Menschen sind aus aller Welt gekommen, aber die meisten aus Kibera selbst. Die Treppe zum Laufsteg: Gerüstplatten, die ohne Befestigung an das Gerüst gelegt wurden. Letoya hilft den Models beim Hochlaufen. Im Backstagebereich – dem Raum zwischen und in den Matatus – tummeln sich Fotografen, Presseleuten, Stylisten, Models.
Es wird langsam dunkel und kühlt zum Glück ab. Die Stimmung bleibt, selbst als zwischendurch das Licht kurz ausfällt. Sie wird sogar noch durch Feuerschlucker angefacht, die jetzt die Bühne betreten.
Der letzte Act kommt: Octopizzo. Auch er stammt aus Kibera und ist mittlerweile ein gefeierter Rapper. Die Bühne droht zusammenzubrechen, als er auf ihr herumspringt und rappt. Die Anlage ist ziemlich schlecht, doch die Crowd scheint das nicht zu stören. „Asante sana“ heißt es zum Ende. „Danke“ auf Swahili.
In Kibera wird es langsam ruhig. Die Nacht legt sich über den Ort voller Energie und Kreativität, an dem alles möglich scheint und der am nächsten Morgen doch wieder als Slum erwachen wird.
Die Recherche für diese Reportage wurde vom Goethe-Institut unterstützt.
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