Mobbing-Beraterin über Angst am Arbeitsplatz: "Viele wollen nur noch weg"
Schlafstörungen, Erbrechen, Migräne - Mobbing greift neben der Psyche auch den Körper an, sagt die Beraterin Monika Hirsch-Sprätz. Die Opfer werden mit den Folgen alleingelassen.
taz: Frau Hirsch-Sprätz, wann wurden Sie das letzte Mal gemobbt?
Monika Hirsch-Sprätz: Vor dreizehn Jahren.
Und wie?
Ich wurde von Vorgesetzten ausgegrenzt. Es ging um Macht, Konkurrenz und mangelnde Führungskompetenz. Danach habe ich die Mobbingberatungsstelle Berlin-Brandenburg gegründet.
Wird seit Beginn der Krise vor einem Jahr mehr gemobbt?
Ganz offensichtlich. Seit einem Jahr kommen verstärkt Mobbingopfer zu uns mit Themen, die ganz direkt mit der Krise zusammenhängen: Umstrukturierungen in den Firmen, Entlassungen, Angst, verschärftes Vorgehen von Vorgesetzten.
Hat sich die Art, zu mobben, verändert?
Das Gespräch ist der aktuellen sonntaz vom 19./20. 9. entnommen - ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk.
Die Mobbingarten sind gleich geblieben: Degradierung, Beleidigung, Abmahnungen, Ausgrenzung, Schlechtmachen, Rufschädigung, Diskriminierung. Aber das Vorgehen ist rigider geworden, und manche Führungskräfte vergeben jetzt regelrechte Mobbingaufträge an Untergebene im mittleren Management. Gemobbt wird meist von oben nach unten. Mittlerweile wissen viele Führungskräfte genau, was sie machen können, wo die Grauzonen sind und wo sie rechtliche Probleme bekommen könnten. Sie wissen natürlich auch, mit wem sie es machen können.
Mit wem kann man es machen?
Menschen in extremen Abhängigkeiten: Alleinverdiener mit Familie, Alleinerziehende, ältere Arbeitnehmer, die bis zur Rente in der Firma bleiben wollen, Mütter und Väter, die aus der Elternzeit kommen. Früher kamen häufiger Frauen zu uns in die Beratung, jetzt sind es gleichermaßen viele Frauen und Männer.
Wer wehrt sich?
Die, die an ihre Schmerzgrenzen geraten und noch einen Funken Selbstwertgefühl besitzen. Und Menschen, die einspringen, wenn Kollegen gemobbt werden, und dann sagen: Da kann ich einfach nicht zusehen.
Dafür gibt es doch Betriebsräte.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass in großen Unternehmen auch mal Betriebsräte in Mobbingverfahren involviert sind. Wenn sich dann ein Mobbingopfer an den Betriebsrat wendet, ist eigentlich von vornherein klar, wie das Ganze ausgeht: Der Betriebsrat tut so, als würde er helfen, aber letztlich entscheidet er im Sinne des Unternehmens.
Warum tun Betriebsräte das?
Bestechung, Mangel an Zivilcourage, eigene Existenzängste und Furcht vor persönlichen Konsequenzen. Bei Angst reagiert der Mensch mit Gegenwehr oder mit Rückzug. Bei Stress wie Mobbing entscheiden sich die meisten Menschen für Rückzug, eben auch Betriebsräte. Weil sie hoffen, dass der Kelch dann an ihnen vorübergeht.
Geht der Kelch dann vorüber?
Es ist ja ein Kreislauf, der nicht durchbrochen wird, wenn etwas nicht offen gesagt wird. Diejenigen, die bleiben, tun das unter erniedrigenden Bedingungen.
Was macht Mobbing mit einem Menschen?
Es greift das Selbstwertgefühl an und zerstört das Vertrauen in das eigene Weltbild; man fühlt sich nur noch schlecht. Die Folgen sind Wahrnehmungsstörungen, Depressionen, Antriebslosigkeit, Verzweiflung, auch Selbstmordgedanken.
Hat das körperliche Folgen?
Ja natürlich, zum Beispiel Konzentrations- und Schlafstörungen, Erbrechen, Migräne, Herz-Kreislauf-Probleme. Das alles kann sich auf das Sozialverhalten auswirken: Verlust des Selbstvertrauens und der Konfliktfähigkeit, Minderung der Kommunikationsbereitschaft und Auftreten negativer Verhaltensweisen.
Wie viele Menschen suchen Rat bei Ihnen?
Wir sind 14 Mitarbeiter im Netzwerk. Ich allein hatte im vergangenen Jahr 480 Einzelberatungen hier im Büro. Dazu kommen Informationsveranstaltungen und Onlineberatungen, bei mir waren das so 150. Außerdem gibt es täglich 10 bis 15 Telefonanfragen. Manche Betroffene benötigen nur ein Gespräch, andere begleiten wir anderthalb Jahre.
Wer kommt zu Ihnen?
Einzelne Arbeitnehmer, ganze Teams und jetzt, durch die Krise, verstärkt auch Politiker und Führungskräfte, die spüren, dass in ihrem Unternehmen etwas nicht stimmt, und das ändern wollen.
Wie hoch ist Ihre Erfolgsquote?
Wir können fast jedem helfen. Manchmal reicht es schon, zu sagen, was die nächsten Schritte sein können. Dann erscheint die Situation nicht mehr ausweglos.
Was können Opfer tun?
Als Allererstes darüber reden und sich in der Firma Verbündete suchen. Dann sollte man die Mobbingattacken genau dokumentieren und eine Beratungsstelle aufsuchen oder gleich zum Anwalt gehen. Wenn jemand Unterstützung bekommt und merkt, dass ihm in kleinen Schritten geholfen wird, kann das schon viel bringen. Das Wichtigste ist, aus der Starre und der Ohnmacht herauszukommen, in die man durch Mobbing gedrängt wird.
Ist Mobbing als gesellschaftliches Phänomen anerkannt?
Leider nicht. Wir kämpfen seit Jahren dafür, dass sich Politiker, Krankenkassen und Unternehmer dieses Problems annehmen. Viele Krankenkassen lehnen die Finanzierung der Mobbingberatung ab - trotz stressbedingter Erkrankungen durch die Situation am Arbeitsplatz.
Danach behalten die Gemobbten ihre Jobs, und alles ist gut?
Manchmal ist es gar nicht das Ziel, den Job zu behalten. Nicht wenige wollen irgendwann nur noch weg aus der Firma. Aber das wollen sie in Würde tun, und dafür brauchen sie Unterstützung.
Leser*innenkommentare
Betroffene
Gast
Ich wurde auch schon jahrelang gemobbt, durch Kollegen mit Unterstützung des nächsten Vorgesetzten.
Auch ich litt zunächst unter dem Verlust des Selbstwertgefühls und unter Schlafstörungen. Hilfe war keine in Sicht - ich arbeite in einem großen Konzern, mit wechselnden Zuständigkeiten von vielen verschiedenen Betriebsräten. Im Zweifel ist keiner zuständig. Auch scheute ich mich, diese vermeintliche Schwäche einzugestehen - schließlich wurde mir auf Schritt und Tritt suggeriert, ich sei selbst an allem schuld.
Aber durch Gespräche mit Angehörigen und Freunden habe ich wieder zu mir selbst gefunden. Der direkte Vorgesetzte ist jetzt ein anderer. Hilfreich war auch die zeitweilige Versetzung in eine andere Stadt.
Ich bin geblieben und habe das Mobbing erfolgreich ausgesessen.
Inzwischen habe ich mich innerlich völlig von der Firma distanziert. Ich arbeite noch hier, weil ich sonst verhungern würde, an eine Karriere denke ich überhaupt nicht mehr. Ich engagiere mich allenfalls noch fachlich, näheren Kontakt pflege ich nur noch mit sehr wenigen Kollegen - und auch das ist überwiegend Smalltalk in der Kaffeeküche oder sachliche Informationen.
Weihnachtsfeiern und Ähnliches lasse ich grundsätzlich aus, ich will mit diesen Leuten nicht unbedingt privat zusammensitzen müssen. Auch wenn ich im Job natürlich imstande bin, mit allen sachlich zusammenzuarbeiten.
Die Kollegen sind mir einfach herzlich egal, gottseidank. So bin ich nicht mehr so angreifbar. Der Geschäftserfolg wird sowieso vom Management je nach Bedarf "zurechtgelogen", und ich kriege auch nichts dafür, wenn ich besonders viel oder gut arbeite.
Emotionales Engagement finde ich im Privatleben.
Insgesamt geht es mir heute nicht schlecht.
Man sieht, es gibt Überlebende.
Psy
Gast
Anscheinend ist Mobbing in Ländern verbreiteter, in denen es Kündigungsschutz gibt. Daher greift man zu Mitteln, wie psychisches Totschlagen. Denn nichts anderes ist Mobbing: Den Mitarbeiter arbeitsunfähig zu machen. Ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, in der immer stärker auch soziale Gewaltbereitschaft zu Tage tritt, oft unter heuchlerischen Masken.
Klaus-Dieter May
Gast
Ja, Mobbing und Bossing nimmt stetig zu, leider haben auch oftmals Betriebsrat- und Personalratsmitglieder Angst aus Sorge um den eigenen Arbeitsplatz und schauen daher lieber weg. ArbeitnehmerInnen die auf Hilfe hoffen, hoffen oft vergeblich.
Der erste Schritt sollte daher immer Information und kompetente Beratung sein, die auch zahlreichen Rechtsanwälte, die über langjährige Erfahrungen verfügen leisten. Dies insbesondere weil sodann die Betroffenen noch Geld sparen können, weil halt viele Betroffene häufig von der Mobbingberatung, sowieso an Rechtsanwälte weitergereicht werden - so auch meine eigenen Erfahrungen.
Bei psychischen oder psychosomatischen Beschwerden aufgrund von Mobbing sollte frühzeitig der Hausarzt / die Hausärztin zu Rate gezogen werden.
Angesichts der stetigen Zunahme von Mobbingsituationen am Arbeitsplatz und der gravierenden menschlichen und wirtschaftlichen Folgen für die Mobbing-Betroffenen, sollte die Bundesregierung und Politiker, sowie die Gerichte endlich adäquat reagieren.
MfG
Klaus-Dieter May
http://www.mobbingweb.de
"Pro Fairness gegen Mobbing"
marleen
Gast
sehr guter,interessanter artikel (grade für mich als ex-mobbingopfer),danke für den artikel,gut das es so etwas wie eine mobbingberatung gibt!auf mobbing müsste viel mehr aufmerksam gemacht werden,denn es führt meistens zu schwerwiegenden psychsichen folgen!
noevil
Gast
In meinem Leben bin ich dreimal gemobbt worden, davon zweimal in einem Arbeitsverhältnis und einmal von meinen Geschwistern, die drei Jahre lang grundlos um Erbschaften fürchteten. Erst als der Erbfall eintrat und sie feststellten, dass ich mir um nichts anderes als den Zusammmenhalt der Familie Gedanken gemacht hatte, änderte sich ihr unbeschreibliches Verhalten. Aber da war in mir bereits so viel zerstört, dass ich seitdem mit ihnen zu keiner entspannten Kommunikation mehr fähig bin. Als gleichzeitig die Flucht in die Arbeit wegen meines ersten beruflichen Mobbingtraumas nicht mehr möglich war, bin ich fast daran zerbrochen. ich stand kurz davor, mein Leben zu beenden.
Damals entdeckte ich erst, über welche Reserven ich verfügte. Dabei lernte ich, dass man sich im Leben wie im Beruf ab und zu auch höflich aber entschieden Respekt verschaffen muss und änderte mein Verhalten. d.h. ich fing an Grenzen zu setzen. Die wichtigste Grenze dessen, was man sich bieten lassen kann, liegt an dem Punkt, an dem die Selbstachtung zu schwinden beginnt.
Diese Erfahrungen konnte ich mir bei meinem 3.Mobbingerlebnis zunutze machen, aus dem ich auch als moralische Siegerin aus einem tätlichen Angriff eines meiner Chefs hervorging und schließlich die Firma zu dem von mir gewünschten Zeitpunkt zu meinen Bedingungen mit hoch erhobenem Haupt verließ.
Doch diese Erlebnisse gingen nicht spurlos an mir vorüber. Heute - Jahre danach - bin ich ausgebrannt und nicht mehr voll konfliktfähig. Aber eines habe ich mir zurück geholt - meine Selbstachtung. Denn niemand hat das Recht, diese zu zerstören.
Zum Schluss würde mich gerade angesichts der sich auffällig mehrenden Fälle von Übergriffen an und von Schülern interessieren, wieviele Grund- Hauptschüler und Gymnasiasten eine solche Beratung in Anspruch nehmen und ob es Bestrebungen gibt, diese anzubieten, falls es sie noch nicht gibt.
Ich befürchte, gerade bei denen, die es erst lernen müssen, die Selbstachtung anderer nicht zu beschädigen und die eigene nicht beschädigen zu lasen, besteht vermutlich enormer Bedarf an Aufklärung und Beratung, denn da sind Lehrer alles andere als firm, zumal sie selbst auch gelegentlich zu solchen Mitteln greifen.
Und die es tun, wissen gar nicht, was sie anrichten...