Mit der Seawatch im Mittelmeer (1): Im Hafen mit der „Sea-Watch 5“
Seit zehn Jahren rettet Seawatch Geflüchtete auf dem Mittelmeer. Unser Autor begleitet die Crew ihres größten Schiffes auf einem Einsatz.

A ls ich am Montagabend von Bari aus mit dem Zug im süditalienischen Taranto ankomme, steht die Sonne bereits tief über dem glatten Mittelmeer. Die rostigen Kräne des Industriehafens leuchten im Abendrot und hinter einem glitzernden Schutthaufen erscheint auf blauem Stahl der Name „Sea-Watch 5“.
Empfohlener externer Inhalt

Die nächsten zwei bis drei Wochen werde ich die Crew des Seenotrettungsschiffs mit Platz für bis zum 500 Menschen bei ihrem Einsatz begleiten. Seawatch e.v., eine spendenfinanzierte NGO, hatte dieses Jahr ihr zehntes Jubiläum. Ein Grund zum Feiern ist das wohl nur bedingt – abhängig vom Blickwinkel.
Taranato ist eine staubige Hafenstadt mit klapprigen Fabrikhallen und Fassaden in Sandtönen. Früher gab es mal viel Industrie. Jemand aus der Crew erzählt mir später, dass hier jeder dritte bei der Marine arbeitet. Den Liegeplatz hinter dem Scherbenhauen bekommt Seawatch abgesehen von Gebühren für die Müllabfuhr gratis. Das zertrümmerte Sicherheitsglas blockiert den Pier so sehr, dass Frachtschiffe dort nicht be- und abladen könnten.
Zusammen mit Matilda von der Logistik steige ich aus dem Kleinwagen, mit dem sie mich von Bahnhof abgeholt hat. Sie führt mich auf dem Schiff herum, zeigt mir meine Kabine, ich schüttle viele Hände und dann gibt es Abendessen: Gegrillte Aubergine mit Tomatensoße, dazu Blumenkohl und ein dicker Brei, etwas zwischen Hirse und Polenta.
Zehn Jahre ist der Summer of Migration her, in dessen Verlauf hunderttausende Geflüchtete nach Deutschland kamen. Die taz widmet dem Thema einen Schwerpunkt – und hat einen Redakteur auf das Seenotrettungsschiff Seawatch 5. In dieser Online-Kolumne und auf den Social-Media-Kanälen der taz berichtete Fabian Schroer im Herbst 2025 zwei Wochen lang vom Rettungseinsatz auf dem Mittelmeer. Alle seine Berichte und Videos finden Sie hier im Bordtagebuch.
Auf dem Hauptdeck trinke ich noch mit Alberto, dem italienischen Fotojournalisten, der ebenfalls den Einsatz begleitet, ein alkoholfreies Bier. Dann lege ich mich in meine Koje und schlafe innerhalb von Minuten ein.
Die nächsten Tage auf dem 58 Meter langen Seenotrettungsschiff sind eng getaktet. Von morgens bis abends wird geübt, wie man Rettungswesten anzieht, eine Herzmassage durchführt, die Kombüse putzt oder das Schiff verlässt, wenn es brennt. Um dieses Training kommt auch ein mitreisender Journalist herum. Die „Sea-Watch 5“ wird den Hafen nicht verlassen, bis die dreißigköpfige Crew, bestehend aus Freiwilligen und festen Mitgliedern, bereit für den bevorstehenden Einsatz ist.
Viele an Bord engagieren sich seit vielen Jahren für flüchtende Menschen. Einige fahren zum ersten Mal mit raus aufs Mittelmeer, andere begleiten die NGO beinahe seit sie gegründet wurde. Obwohl Seawatch ein deutscher Verein ist, fahren Menschen aus der ganzen Welt mit. Einen Überhang an Deutschen gibt es wohl, doch die Schiffssprache ist Englisch.
Als es bei der allmorgendlichen Runde der Vorfall auf der „Ocean Viking“ zur Sprache kommt, bei dem im August das Rettungsschiff der NGO SOS Méditerrannée von der lybischen Küstenwache beschossen wurde, geht ein Hauch der Anspannung durch die Messe. Ein Crewmitglied sagt mir, in seiner süddeutschen Heimat erzähle er lieber nicht, für welche Organisation er arbeitet. Er sage immer nur, er arbeite auf einem Boot.
Am dritten Tag redet A.P., der dritte Offizier, merklich schneller als bei vorherigen Trainings. Heute geht es darum, wie man im Notfall ein Schiff mit 300 Personen an Bord evakuiert, die Rettungsinseln zu Wasser lässt und gleichzeitig potenzielle Feuer löscht. Doch die Eile ist nicht nur dem Thema geschuldet, denn es ist keine Zeit mehr zu verlieren. Bis es am Montag losgeht Richtung lybischer Küste, gibt es noch viel zu tun.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert